Aktenzeichen RN 9 S 20.2520
Leitsatz
Tenor
I. Der Eilantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 12.500,– EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller, syrische Staatsangehörige, reisten nach eigenen Angaben am 9. Februar 2019 ohne gültige Reisedokumente in das Bundesgebiet ein. Am 20. Februar 2020 beantragten sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihre Anerkennung als Asylberechtigte sowie die Zuerkennung internationalen Schutzes. Infolge eines am 5. März 2019 an Italien gerichteten Übernahmeersuchens nach der Dublin-III-Verordnung erklärten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 6. März 2020 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO. Daraufhin lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 7. März 2019 unter gleichzeitiger Anordnung ihrer Abschiebung nach Italien die Asylanträge der Antragsteller als unzulässig ab; Abschiebungsverbote wurden nicht festgestellt. Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage der Antragsteller zu 1 bis 4 vor dem Verwaltungsgericht Ansbach (AN 14 K 19.50319) wurde noch nicht entschieden. Ein diesbezüglicher Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der Antragsteller zu 1 bis 4 wurde mit Beschluss vom 25. April 2019 abgelehnt (AN 14 S 19.50318). Der Bescheid für den Antragsteller zu 5 ist bestandskräftig geworden. Die Überstellung der Antragsteller nach Italien ist für den 19. Oktober 2020 geplant und wurde den Antragstellern angekündigt. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie verlangt Italien nach Mitteilung des Antragsgegners hinsichtlich COVID-19 ein negatives Testergebnis, welches nicht älter als 72 Stunden sein darf. Bereits auf telefonische Rückfrage des Gerichts vom 12. Oktober 2020 im Verfahren RN 9 K 20.2474 war vom Antragsgegner mitgeteilt worden, dass seitens der italienischen Behörden für den 72-Stunden-Zeitraum auf die Vornahme des Tests und nicht das Vorliegen des Testergebnisses abgestellt wird.
Mit Bescheid der Regierung von Niederbayern – Zentrale Ausländerbehörde – vom 13. Oktober 2020, der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller zugestellt am 14. Oktober 2020, wurde unter Aufhebung des Bescheid vom 9. Oktober 2020 über eine entsprechende Verpflichtung für den 12. Oktober 2020 (RN 9 S 20.2774 und RN 9 K 20.2475) angeordnet, dass sich die Antragsteller am Freitag, den 16. Oktober 2020, um 10:00 Uhr bei der Gemeinschaftspraxis G* … in H* … einzufinden haben, um dort eine Testung auf COVID-19 durchführen zu lassen (Ziffer 2). Für den Fall, dass die Antragsteller den Aufforderungen und Verpflichtungen unter Ziffer 2 nicht nachkommen, wurde ihnen die zwangsweise Vorführung zu einem neuen Termin zur Feststellung der Reisefähigkeit angedroht (Ziffer 3). Sofortvollzug wurde hinsichtlich Ziffer 1 des Bescheids angeordnet (Ziffer 4). Hinsichtlich der Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
Am 16. Oktober 2020 ließen die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg gegen den Freistaat Bayern (RN 9 K 20.2521) erheben und gleichzeitig vorliegenden Eilantrag stellen. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt des Schreibens vom 16. Oktober 2020 verwiesen.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf Ziffer 2 des Bescheides der Regierung von Niederbayern vom 13. Oktober 2020 wiederherzustellen und in Bezug auf Ziffer 3 des Bescheids anzuordnen.
Der Antragsgegner hat bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch keinen Antrag gestellt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Gerichts- und Behördenakte in den Verfahren RN 9 S 20.274 und RN 9 K 20.2475 Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag hat keinen Erfolg. Im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erweist sich der streitgegenständliche Bescheid als voraussichtlich rechtmäßig, weshalb die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzt werden und ihre Klage in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird (§§ 80 Abs. 5, 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Zunächst ist festzustellen, dass sich der Eilantrag bereits aufgrund der fehlenden Passivlegitimation des Antragsgegners als unbegründet erweist. So steht die streitgegenständliche Verpflichtung der Antragsteller in Zusammenhang mit der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 7. März 2020, wonach der Asylantrag der Antragsteller mit Blick auf die Zuständigkeit Italiens als unzulässig abgelehnt und deren Abschiebung nach Italien angeordnet wurde. Während der Bescheid dem Antragsteller zu 5) gegenüber bereits bestandskräftig geworden ist, ist über die insofern vor dem Verwaltungsgericht Ansbach anhängige Klage noch nicht entschieden; ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist indes erfolglos geblieben. Die vorliegend angegriffene Verpflichtung dient nun dem Vollzug der Entscheidung des Bundesamtes im Rahmen des von dort geführten Dublin-III-Verfahrens, weshalb richtiger Antragsgegner die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsträgerin des Bundesamtes und das Verfahren im Übrigen vor dem Verwaltungsgericht Ansbach zu führen wäre.
2. Ungeachtet dessen erweist sich der vorliegende Eilantrag auch inhaltlich als unbegründet, da die streitgegenständliche Verpflichtung nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist.
Die streitgegenständliche Anordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 82 Abs. 4 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Demgemäß kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich erscheint sowie eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist. Kommt der Ausländer einer solchen Anordnung nicht nach, kann sie zwangsweise durchgesetzt werden (§ 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG).
Die Anordnung zur Durchführung der Untersuchung umfasst sowohl das persönliche Erscheinen beim Arzt als auch die Duldung der Untersuchung (GK-AufenthG/Funke-Kaiser Rn. 122). Der Zweck der Untersuchung ist auf die Feststellung der Reisefähigkeit beschränkt. Sie dient nicht der Überprüfung sonstiger inlands- oder zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse (BeckOK AuslR/Kluth Rn. 42; NK-AuslR/Hofmann Rn. 54; etwas anderes könnte sich aus der Gesetzesbegründung ergeben, BT-Drs. 15/420, 96). Ihre Anordnung darf nur erfolgen, wenn die Ausländerbehörde tatsächlich aufenthaltsbeendende Maßnahmen plant und sie für den Betroffenen nicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden ist (BeckOK MigR/Zimmerer, 5. Ed. 1.7.2020, AufenthG § 82 Rn. 26, 27).
Vorliegend steht mit der für den 19. Oktober 2020 anberaumten Abschiebung der Antragsteller nach Italien im Rahmen des Dublin-III-Verfahrens eine aufenthaltsbeendende Maßnahme im Sinne des Aufenthaltsgesetzes bevor. Zu diesem Zweck ist nach Mitteilung des Antragsgegners die Durchführung eines COVID-19-Tests für die Einreise nach Italien erforderlich.
a. Hierbei handelt es sich – entgegen dem Vorbringen der Antragstellerbevollmächtigten – auch um Maßnahmen zur Feststellung der Reisefähigkeit.
Zum einen ist die Untersuchung auf COVID-19 bereits unter die Reisefähigkeit im engeren Sinn zu fassen. Die Reisefähigkeit umfasst die Frage, ob der Betroffene gesundheitlich in der Lage ist, in ein anderes Land überführt zu werden. Darunter fällt auch die Frage, ob der Betreffende an einer (ansteckenden) Krankheit leidet, die einer Verbringung in den Aufnahmestaat entgegensteht, somit auch um eine Maßnahme der Gesundheitsvorsorge. Dass der Gesetzgeber bei Regelung des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine pandemische Situation wie aktuell nicht vor Augen hatte bzw. haben konnte, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Vielmehr ist hier vom Sinne und Zweck der Regelung auszugehen, die darauf abzielt, im Rahmen der Reisefähigkeit gesundheitliche Risiken für den Betroffenen im Rahmen der Ausreise auszuschließen.
Selbst wenn man die Untersuchung auf COVID-19 nicht als Reisefähigkeit im engeren Sinn verstehen möchte, so handelt es sich jedenfalls um eine Frage der Reisefähigkeit im weiteren Sinne dahingehend, ob der aufnehmende Mitgliedstaat aufgrund des gesundheitlichen Zustands des Betroffenen zu dessen Aufnahme bereit ist. Auch hier ist vom oben genannten Sinn und Zweck der Regelung auszugehen.
Unabhängig davon könnte – sollte man im Anschluss an das Vorbingen der Antragstellerbevollmächtigten argumentieren – die Maßnahme jedenfalls auf § 46 Abs. 1 AufenthG gestützt werden. Demgemäß kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen (§ 46 Abs. 1 Hs. 1 AufenthG). Der Argumentation der Antragstellerseite folgend würde diese Vorschrift auch nicht durch § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im Sinne einer Spezialregelung blockiert, da ausgehend von deren Verständnis es sich gerade nicht um eine Maßnahme in Zusammenhang mit der Reisefähigkeit der Antragsteller handeln würde.
b. In beiden Fällen – egal, ob § 82 Abs. 4 Satz 1 oder § 46 Abs. 1 AufenthG als Rechtsgrundlage dient – muss sich die Maßnahme als verhältnismäßig, d.h. als geeignet, erforderlich und angemessen erweisen. Dies ist vorliegend der Fall.
De Durchführung eines COVID-19-Tests ist geeignet, die Frage der Ausreisefähigkeit der Antragsteller zu klären und damit (aufenthaltsbeendende) Maßnahmen im Sinne des Aufenthaltsgesetzes zu fördern. Auch erweist sich die Testung als erforderlich, da ohne negativen COVID-19-Test eine Aufnahme seitens Italien abgelehnt würde. Soweit vorliegend moniert wird, dass die Testung aus zeitlichen Gründen zum Zeitpunkt der Ausreise bereits veraltet wäre, ist festzustellen, dass nach Mitteilung des Antragsgegners die Testung selbst nicht älter als 72 Stunden sein darf. Anders als noch im vorangegangenen Antrag (RN 9 S 20.2474), in dem die Maßnahme als aus zeitlichen Gründen nicht erforderlich und damit rechtswidrig gewertet werden musste, liegt die nun bevorstehende Testung innerhalb des von Italien geforderten Zeitrahmens. Sollte es sich um ein paar Stunden Differenz handeln, wird sich diese voraussichtlich als marginal und daher unbeachtlich erweisen, da der Flug jedenfalls am 19. Oktober 2020 stattfinden soll. Zuletzt ist die Maßnahme auch angemessen. Insbesondere stehen einer solchen Testung weder die informationelle Selbstbestimmung der Antragsteller noch ihre körperliche Unversehrtheit entgegen. So handelt es sich bei der Durchführung des Tests zwar um einen körperlichen Eingriff. Dieser ist jedoch geringfügig und nicht mit (der Befürchtung von) körperlichen Schädigungen verbunden. Darüber hinaus dient er mit den oben geschilderten Maßnahmen einer legitimen Zielsetzung. Gleiches gilt für die Übermittlung personenbezogener Daten, die zwar einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Antragsteller beinhaltet, jedoch wiederum geringfügigen Charakters und durch einen legitimen Zweck gerechtfertigt ist.
Danach war der Eilantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.