Verwaltungsrecht

Curricularnormwert beim Studiengang der Humanmedizin

Aktenzeichen  7 CE 17.10096

Datum:
21.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
BayHZV BayHZV § 50, § 53

 

Leitsatz

1 Die Curricularnormwerte, die sich an der maximalen Auslastung der Hochschulen orientieren, sind abstrakte Normwerte, die aus vielen konkreten Studienplänen abgeleitet wurden. Sie abstrahieren im Interesse einer gleichmäßigen Auslastung der Hochschulen den Ausbildungsaufwand des jeweiligen Studiengangs und sind für die Kapazitätsberechnungen der einzelnen Hochschulen verbindlich. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Studienbewerber haben keinen Anspruch auf Unterschreitung des festgesetzten Curricularnormwerts und damit auf eine Erhöhung der Ausbildungskapazität (Anzahl der Studienplätze) zu Lasten der an eine ordnungsgemäße Ausbildung der Studierenden zu stellenden Anforderungen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für die Berechnung der Aufnahmekapazität und die gerichtliche Prüfung der Kapazitätsberechnung kommt es bei Vorgabe eines Curricularnormwerts – anders als bei der normativen Vorgabe lediglich einer „Bandbreite“ möglichen Ausbildungsaufwands eines Studiengangs – auf die von der jeweiligen Hochschule gewählte studiengangspezifische Organisation der Ausbildung nicht an. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 3 E L 16.10248 2017-03-27 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerinnen tragen jeweils die Kosten der Beschwerdeverfahren.
III. Der Streitwert für die Beschwerdeverfahren wird jeweils auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Zulassung zum Studium der Humanmedizin (Vorklinik) im ersten Fachsemester an der L.-M.-Universität M. (LMU) nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2016/2017. Sie machen geltend, die LMU habe ihre tatsächliche Ausbildungskapazität nicht ausgeschöpft.
Das Bayerische Verwaltungsgericht München hat die Anträge mit Beschlüssen vom 27. März 2017 abgelehnt.
Mit den Beschwerden verfolgen die Antragstellerinnen ihr Rechtsschutzziel weiter. Sie tragen vor, der Curriculareigenanteil der Lehreinheit Vorklinische Medizin sei zu hoch. Außerdem seien Zweit- und Doppelstudierende der Medizin nicht hinreichend berücksichtigt. Ferner sei die Schwundberechnung zu beanstanden und die Zahl der eingeschriebenen Studierenden zu überprüfen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Antragstellerinnen vom 14. Juni 2017 verwiesen.
Der Antragsgegner widersetzt sich den Beschwerden.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), begründet den geltend gemachten Anordnungsanspruch der Antragstellerinnen nicht.
1. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die LMU ihre Ausbildungskapazität im Studiengang Humanmedizin (Vorklinik) ausgeschöpft hat. Der Senat folgt den Gründen der angefochtenen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ergänzend ist zu bemerken:
a) Der Curriculareigenanteil der streitgegenständlichen Lehreinheit Vorklinische Medizin (1,9541) ist – wie der Senat bereits entschieden hat (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 26.8.2014 – 7 CE 14.10084 u.a. – juris Rn. 12 ff.) – nicht als überhöht zu beanstanden, weil er – in der Summe mit den Curricularanteilen der übrigen am Lehrangebot beteiligten Lehreinheiten – den für den Studiengang Humanmedizin (vorklinischer Teil) maßgebenden Curricularnormwert (2,42) nicht überschreitet.
aa) Der Curricularnormwert für den Studiengang Humanmedizin (vorklinischer Teil) ist nach der Anlage 7 zu § 50 der Verordnung über die Hochschulzulassung an den staatlichen Hochschulen in Bayern (Hochschulzulassungsverordnung – HZV) vom 18. Juni 2007 (GVBl S. 401; BayRS 2210-8-2-1-1-K), zuletzt geändert durch Verordnung vom 27. April 2017 (GVBl S. 96), mit dem Wert 2,42 festgesetzt. Der Curricular-normwert bestimmt den in Deputatstunden gemessenen Aufwand aller beteiligten Lehreinheiten, der für die ordnungsgemäße Ausbildung eines Studierenden in dem jeweiligen Studiengang erforderlich ist (§ 50 Abs. 1 Satz 1 HZV). Bei der Berechnung der jährlichen Aufnahmekapazität sind die in Anlage 7 aufgeführten Curricularnormwerte anzuwenden (§ 50 Abs. 1 Satz 2 HZV). Zur Ermittlung der Lehrnachfrage in den einzelnen Lehreinheiten wird der Curricularnormwert auf die am Lehrangebot für den Studiengang beteiligten Lehreinheiten aufgeteilt (Bildung von Curricularanteilen). Die Angaben für die beteiligten Lehreinheiten sind aufeinander abzustimmen (§ 50 Abs. 4 Satz 1 und 2 HZV).
Die Curricularnormwerte, die sich an der maximalen Auslastung der Hochschulen orientieren, sind abstrakte Normwerte, die aus vielen konkreten Studienplänen abgeleitet wurden (vgl. Bahro/Berlin, Hochschulzulassungsrecht, 4. Aufl. 2003, § 13 Kapazitätsverordnung Rn. 2 ff.). Sie abstrahieren im Interesse einer gleichmäßigen Auslastung der Hochschulen den Ausbildungsaufwand des jeweiligen Studiengangs und sind für die Kapazitätsberechnungen der einzelnen Hochschulen verbindlich. Die Studienbewerber haben deshalb auch keinen Anspruch auf Unterschreitung des festgesetzten Curricularnormwerts und damit auf eine Erhöhung der Ausbildungskapazität (Anzahl der Studienplätze) zu Lasten der an eine ordnungsgemäße Ausbildung der Studierenden zu stellenden Anforderungen. Für die Berechnung der Aufnahmekapazität und die gerichtliche Prüfung der Kapazitätsberechnung kommt es daher bei Vorgabe eines Curricularnormwerts – anders als bei der normativen Vorgabe lediglich einer „Bandbreite“ möglichen Ausbildungsaufwands eines Studiengangs – auf die von der jeweiligen Hochschule gewählte studiengangspezifische Organisation der Ausbildung nicht an (vgl. auch BayVGH, B.v. 14.6.2012 – 7 CE 12.10025 u.a. – juris Rn. 12 f.).
bb) Die LMU ist im Rahmen des geltenden Curricularnormwerts in der Gestaltung von Lehre und Studium frei. Sie entscheidet eigenverantwortlich und im Rahmen des ihr zustehenden Organisationsermessens, welche Lehreinheiten in welchem Umfang an der Ausbildung der Studenten im jeweiligen Studiengang beteiligt sind (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.1.2012 – 7 ZB 11.783 – juris Rn. 11 m.w.N.). Solange sie den Curricularnormwert in der Summe nicht überschreitet, ist ihre Aufteilung des Curricularnormwerts auf die an der Ausbildung der Studenten beteiligten Lehreinheiten vom Gericht nicht zu beanstanden. Die spezifischen Einwände der Antragstellerinnen in Bezug auf die von der LMU gewählten Gruppengrößen, Anrechnungsfaktoren oder den Aufwand einzelner Lehrveranstaltungen greifen damit im Ergebnis ebenso wenig durch wie die Einwände (in Bezug auf die Wahlfächer oder Seminare mit klinischen Bezügen) gegen den jeweiligen Umfang der Beteiligung anderer Lehreinheiten an der Ausbildung der Studierenden.
Vorliegend hat die LMU die genannten normativen Vorgaben beachtet. Sie hat im streitgegenständlichen Wintersemester 2016/2017 den nach der Anlage 7 zu § 50 Abs. 1 Satz 2 HZV auf 2,42 festgelegten Curricularnormwert für den Studiengang Humanmedizin (vorklinischer Teil) auf die an der Ausbildung beteiligten Lehreinheiten aufgeteilt und in der Summe nicht überschritten (beteiligte Lehreinheiten sind: Biologie mit einem Curricularanteil von 0,0489, Chemie mit einem Curricularanteil von 0,0489, Physik mit einem Curricularanteil von 0,0579, Medizin Vorklinik mit einem Curricularanteil von 1,9541, Klinisch-theoretische Medizin mit einem Curricularanteil von 0,0927 und Klinisch-praktische Medizin mit einem Curricularanteil von 0,1993). Die LMU hat damit Lehrpersonal anderer Lehreinheiten für die Ausbildung der Studenten im Studiengang Humanmedizin (vorklinischer Teil) eingesetzt, soweit sie dies fachlich und organisatorisch für möglich und sachgerecht erachtet hat. Zu einer weiteren Beteiligung des Lehrpersonals anderer Lehreinheiten und damit verbunden einer Erhöhung der Curricularanteile anderer Lehreinheiten zulasten des sich entsprechend verringernden Curriculareigenanteils der Lehreinheit Vorklinische Medizin ist die LMU nicht verpflichtet (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2012 – 7 ZB 11.783 – juris Rn. 10 ff. m.w.N).
b) Im Hinblick auf die Doppel- und Zweitstudenten der Human- und der Zahnmedizin hält der Senat an seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung fest. Danach bestehen in Bezug auf die Ermittlung der Kapazität für neu aufzunehmende Studienanfänger deshalb keine Anhaltspunkte für maßgebliche Minderungen der Lehrnachfrage, weil ein Doppelstudium (Parallelstudium) in zwei zulassungsbeschränkten Studiengängen nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 42 Abs. 2 Satz 4 Bayerisches Hochschulgesetz (BayHSchG) möglich und regelmäßig nicht genehmigungsfähig ist, und Zweitstudenten sich wegen Anrechnung ihrer bereits erbrachten Studienleistungen sogleich in einem höheren Fachsemester immatrikulieren lassen können (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.8.2010 – 7 CE 10.10278 u.a. – juris Rn. 32 m.w.N.).
c) Zweifel an der Richtigkeit der Schwundberechnung der LMU bestehen ebenfalls nicht.
Die Studienanfängerzahl ist nach der Bestimmung des § 53 HZV dann zu erhöhen, wenn zu erwarten ist, dass wegen Aufgabe des Studiums oder Fachwechsels oder Hochschulwechsels die Zahl der Abgänge an Studierenden in höheren Fachsemestern größer ist als die Zahl der Zugänge (Schwundquote). Maßgebend für die Ermittlung der Zugänge und Abgänge sind die jeweiligen statistischen Erhebungen über den Bestand der im betreffenden Studiengang vorhandenen (eingeschriebenen) Studierenden.
Eine von den Antragstellerinnen gewünschte „Korrektur“ der in die Schwundberechnung einbezogenen Bestandszahlen der Studenten kommt nach der Rechtsprechung des Senats nur dann in Betracht, wenn sich die Studentenzahlen aufgrund außergewöhnlicher Einflussfaktoren in „atypischer“ Weise entwickeln und diese im sonstigen Studienverlauf ungewöhnliche Entwicklung in geeigneter Weise rechnerisch auszugleichen oder zu neutralisieren ist. Dies kann etwa bei gerichtlich nachträglich zugelassenen Studenten der Fall sein, wenn sich bei Zugrundelegung der Bestandszahlen eine „ganz ungewöhnliche („positive“) Schwundquote“ ergeben würde (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.8.2009 – 7 CE 09.10352 u.a. – juris Rn. 24 ff.). Eine derartige Situation ist im Hinblick auf die streitgegenständliche Schwundberechnung jedoch nicht gegeben.
d) Schließlich ist auch der von den Antragstellerinnen erhobene Einwand in Bezug auf die (nach Angaben der Antragstellerinnen 25) Studierenden, die aufgrund eines für das Wintersemester 2015/2016 geschlossenen Vergleichs nachträglich für das streitgegenständliche Wintersemester 2016/2017 zugelassen worden sind, für die gerichtliche Entscheidung nicht erheblich. Auch wenn diese 25 Studierenden aus der Zahl der im streitgegenständlichen Wintersemester 2016/2017 eingeschriebenen und kapazitätsrechtlich zu berücksichtigenden Studienanfänger (909) herauszurechnen wären, verblieben insgesamt 884 eingeschriebene und kapazitätsrechtlich zu berücksichtigende Studierende im ersten Fachsemester, mit denen die festgesetzte Zulassungszahl von 882 Studienanfängern bereits in vollem Umfang ausgeschöpft wird. Darüber hinaus verfügt die LMU über keine Ausbildungskapazität mehr.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 18.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung in den erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen