Aktenzeichen 11 ZB 17.30326
Leitsatz
1 Es lässt sich nicht allgemein die Aussage treffen, dass alle Binnenflüchtlinge oder bestimmte Gruppen davon in der Ukraine von „Separatisten“ oder Nationalisten politisch verfolgt werden, ohne dass ihnen eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehen würde. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es ist nicht ersichtlich, dass die allgemeine Situation der Binnenflüchtlinge in der Ukraine oder bestimmter Gruppen von Binnenflüchtlingen ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK begründen könnte, weil ihnen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 7 K 16.30540 2016-12-12 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der am … 1970 geborene Kläger begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung von subsidiärem Schutz oder die Feststellung von Abschiebungshindernissen.
Nach eigenen Angaben ist der Kläger armenischer Volkszugehöriger und lebte seit dem Jahr 1990 in der Ukraine, ohne einen ukrainischen Pass zu besitzen. Seit dem Jahr 1996 habe er mit den Klägern im Parallel-Verfahren 11 ZB 17.30327 zusammen gewohnt (Lebensgefährtin und vier gemeinsame Kinder). Am 16. Juli 2015 reiste die gesamte Familie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 18. November 2015 Asylanträge. Der Kläger gab bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) an, er habe von 2011 bis 2014 mit seiner Familie in der Stadt Avdeevka in der Nähe von Donezk gelebt. Danach habe er bis zu seiner Ausreise bei Bekannten in Orlovka gewohnt. Den Lebensunterhalt für sich und seine Familie habe er stets durch eigene Berufstätigkeit in unterschiedlichen Bereichen verdient. Er habe auch etwas gespart gehabt und habe sich eigentlich ein Grundstück kaufen wollen. Der Grund für die Ausreise sei gewesen, dass sie keine Papiere gehabt und als Ausländer Schwierigkeiten bekommen hätten. Er habe mehrfach versucht, einen ukrainischen Pass zu erhalten, dies sei ihm aber nicht gelungen. Im Oktober 2014 seien sie von vermummten Personen überfallen worden. Es sei bei ihnen eingebrochen und er sei geschlagen worden. Er sei deshalb beim Arzt gewesen. Der habe gesagt, es sei psychosomatisch und habe ihm Arzneimittel gegeben. Die hätten aber nicht geholfen. In Orlovka sei ihnen nichts zugestoßen, es sei nur ständig geschossen worden.
Mit Bescheid vom 22. April 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung ab, erkannte subsidiären Schutz nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nicht vorliegen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Er habe zum Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine bzw. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ukrainischen Staatsangehörigkeitsgesetzes im August und November 1991 seinen ständigen Wohnsitz in der Ukraine gehabt und sei daher wohl ukrainischer Staatsangehöriger. Weshalb er kein ukrainisches Ausweisdokument bekommen habe, sei nicht nachvollziehbar. Eine an ein asylrelevantes Merkmal geknüpfte Verfolgungshandlung habe der Kläger nicht vorgetragen. In der Ostukraine herrsche zwar ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Es könne aber kein Gefährdungsgrad für Zivilpersonen angenommen werden, der eine erhebliche individuelle Gefahr darstelle. Das Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, liege weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt. Darüber hinaus stehe ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung. Er könne sich in den übrigen, von der ukrainischen Regierung kontrollierten Landesteilen niederlassen. Er habe vor seiner Ausreise auch schon eine Zeit in einem anderen Ort gelebt. Abschiebungsverbote seien ebenfalls nicht ersichtlich. Schlechte humanitäre Verhältnisse könnten nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung anzusehen sein. Nach den Feststellungen des Auswärtigen Amts im Lagebericht sei die Grundversorgung für Rückkehrer knapp ausreichend. Binnenvertriebene aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten könnten auch Leistungen in den anderen Landesteilen erhalten. Zudem gebe es Hilfsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisteten.
Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 12. Dezember 2016 abgewiesen. Der Kläger habe keine Verfolgungsgründe glaubhaft gemacht. Er sei entweder ukrainischer Staatsangehöriger oder habe als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine gehabt. Es sei ihm und seiner Familie zuzumuten, sich in einem anderen Teil der Ukraine niederzulassen. Mit dem ukrainischen Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) stehe eine Rechtsgrundlage zur Verfügung, die die Registrierung, Versorgung und Unterbringung gewährleiste. Ukrainische Staatsbürger, Ausländer, Staatenlose und Flüchtlinge, die ihren rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine haben, hätten auch Anspruch auf soziale Unterstützung seitens des Staates. Darüber hinaus wurde nach § 77 Abs. 2 AsylG auf den Bescheid verwiesen.
Dagegen wendet der Kläger sich mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, die Berufung sei zuzulassen, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden. Es sei fraglich, ob das ukrainische Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 auf ihn anwendbar sei, da er staatenlos sei. Er habe sich nicht rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten und sich behördlich dort nie gemeldet. Er habe auch vor seiner Flucht keinen rechtmäßigen Wohnsitz in der Ukraine gehabt. Deshalb könne er auch nicht in andere Landesteile ausweichen. Dort könne wegen der fehlenden Papiere auch nicht von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausgegangen werden. Ernstliche Zweifel ergäben sich auch daraus, dass das Urteil sich pauschal den Ausführungen des Bundesamts anschließe und sich mit den Gegenargumenten nicht näher beschäftigte.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils in § 78 Abs. 3 AsylG nicht vorgesehen und dessen Geltendmachung daher nicht beachtlich ist.
Mit der Begründung des Zulassungsantrags ist auch keiner der in § 78 Abs. 3 AsylG genannten Berufungszulassungsgründe hinreichend dargelegt.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Eine solche Frage lässt sich dem Zulassungsantrag nicht entnehmen.
Soweit der Kläger geltend macht, er sei staatenlos und es sei daher fraglich, ob das ukrainische Gesetz zur Sicherung von Rechten und Freiheiten der Binnenflüchtlinge vom 19. November 2014 (IDP-Gesetz) für ihn gelte und ob er in den Genuss von Sozialleistungen kommen könne, da er nicht registriert gewesen sei, kann diesem Vortrag keine grundsätzliche Fragestellung entnommen werden, sondern es geht um die persönliche Situation des Klägers. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht nicht festgestellt, dass der Kläger staatenlos ist, sondern hat diese Frage offen gelassen, da es nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht auf die Staatsangehörigkeit, sondern auf den gewöhnlichen Aufenthalt in der Ukraine ankam. Auch der Vortrag des Klägers, er sei in der Ukraine nicht registriert gewesen, erscheint widersprüchlich. Gemäß dem von ihm selbst in das Verfahren eingeführten „Länderinformationsblatt Ukraine“ des Bundesamts und der Internationalen Organisation für Migration vom August 2013 ist in der Ukraine sowohl für die Aufnahme einer Arbeit als auch für die medizinische Behandlung eine Registrierung erforderlich. Der Kläger ist nach eigenen Angaben in verschiedenen Berufen und an verschiedenen Arbeitsstellen berufstätig gewesen, hat sich auch ärztlich behandeln lassen und hatte ein Kraftfahrzeug zugelassen. Seine vier Kinder sind in der Ukraine geboren, in die Schule gegangen und dort teilweise auch ärztlich behandelt worden. Wie dies entgegen den Auskünften im Länderinformationsblatt ohne Registrierung möglich gewesen soll, hat der Kläger nicht näher dargelegt. Darüber hinaus ist der Kläger arbeitsfähig, hat bisher seinen Lebensunterhalt selbst verdient und konnte sogar noch Ersparnisse zum geplanten Kauf eines Grundstücks bilden. Es erscheint daher möglich, dass er auch bei einer Rückkehr in die Ukraine gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin den Lebensunterhalt für sich und seine Familie wieder selbst erwirtschaften kann.
Unabhängig davon kann die tatsächliche (und rechtliche) Situation von Familien, die aus dem Osten der Ukraine kommen, nicht „grundsätzlich“ geklärt werden, sondern es kommt auf den konkreten Einzelfall an. Es lässt sich zum einen nicht allgemein die Aussage treffen, dass alle Binnenflüchtlinge oder bestimmte Gruppen davon in der Ukraine von „Separatisten“ oder Nationalisten politisch verfolgt werden, ohne dass ihnen eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehen würde. Ebenso ist nicht ersichtlich, dass die allgemeine Situation der Binnenflüchtlinge in der Ukraine oder bestimmter Gruppen von Binnenflüchtlingen ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen könnte, weil ihnen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nach dem „Länderinformationsblatt Ukraine“ stehen in der Ukraine neben dem IDP-Gesetz auch noch andere Sozialleistungen (Soziale Unterstützung, Kindergeld, Unterstützung für Senioren und alleinstehende Frauen, Alters-, Behinderten- und Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosenunterstützung sowie Obdachlosenunterstützung) zur Verfügung. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 7. Februar 2017 (Lagebericht) ist die Grundversorgung für Rückkehrerinnen und Rückkehrer knapp ausreichend, die Versorgung mit Nahrungsmitteln ist gesichert (Lagebericht, S. 15). Zusätzlich werden Binnenflüchtlinge nach der Erkenntnislage auch von zahlreichen Nichtregierungsorganisationen sowie dem UNHCR und deren Unterorganisation OCHA unterstützt (Auskunft der Auswärtigen Amts vom 21.1.2015 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Der Kläger hat auch keine Erkenntnismittel genannt, aus denen sich ergibt, dass Rückkehrern aus der Ostukraine in die von der Regierung kontrollierten Gebiete eine unmenschliche Behandlung drohe. Die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 16. März 2016 beschreibt nur die Aufstockung der humanitären Hilfe für bedürftige Menschen in der Ukraine, enthält aber keine Aussage dazu, ob dort trotz der humanitären Hilfe unmenschliche Bedingungen herrschen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).