Verwaltungsrecht

Definition der Fluchtalternative im Irak – Erfordernis des Nachweises ausreichend sozialer und familiärer Verbindungen

Aktenzeichen  20 ZB 17.30918

Datum:
26.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 119304
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1 lit. a, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1 Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 „Darlegen“ bedeutet mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis zu geben. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 3 K 17.31220 2017-06-07 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird verworfen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung ist bereits unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) nicht in einer den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechenden Weise dargelegt wurde.
1. Die Kläger werfen zunächst folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam auf:
„ob es im Irak generell eine inländische Fluchtalternative gibt oder ob nur dann eine inländische Fluchtalternative überhaupt in Erwägung gezogen werden kann, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass die betroffene Person im dortigen Gebiet über ausreichende soziale und familiäre Verbindungen verfügt, die ein Überleben ermöglichen.“
Insoweit ist die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt. Denn diese Darlegung erfordert, dass der Rechtsmittelführer eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufzeigt, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist. Ferner muss dargelegt werden, weshalb der Frage eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). „Darlegen“ bedeutet schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich einen allgemeinen Hinweis. Etwas „darlegen“ bedeutet vielmehr so viel wie „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“ (BVerwG, B.v. 2.10.1961 – 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90/91; B.v. 9.3.1993 – 3 B 105.92 – NJW 1993, 2825). Der Orientierungspunkt dieser Erfordernisse ist die Begründung der angefochtenen Entscheidung, mit der sich die Begründung des Zulassungsantrags substantiiert auseinandersetzen muss (BVerfG, B.v. 2.3.2006 – 2 BvR 767/02 – NVwZ 2006, 683). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen der Kläger im Zulassungsantrag nicht gerecht. Es fehlt an einer Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage. Denn das Verwaltungsgericht hat zur Begründung der Klageabweisung hinsichtlich der begehrten Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zunächst auf den Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, in welchem diese Zuerkennung mit der Begründung versagt wurde, dass die vom Kläger zu 1) vorgetragenen Verfolgungshandlungen nicht an ein Merkmal i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG anknüpften, sondern kriminelles Unrecht darstellten. Des Weiteren hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen (UA S. 6/8) ausgeführt, dass die Ausführungen der Kläger wegen der aufgetretenen Widersprüche auch nicht glaubhaft seien. Schließlich hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass der Kläger zu 1) auf die Frage, ob er auf andere Teile Kurdistans ausweichen könne, ausweichend geantwortet habe (UA S. 8). Damit haben die Kläger nicht dargelegt, inwieweit ihnen ein Ausweichen auf andere Regionen im Herkunftsland, insbesondere im kurdischen Autonomiegebiet, nicht möglich wäre. Es kam daher aus der maßgeblichen Sichtweise des Erstgerichts nicht auf die Frage der Zumutbarkeit des internen Schutzes i.S.d. § 3e AsylG an, was das Verwaltungsgericht auch ausdrücklich klargestellt hat (UA S. 8).
2. Im Hinblick auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG haben die Kläger die Entscheidungserheblichkeit der o.g. Frage ebenfalls nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf den Umstand gestützt, dass in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht von einem bewaffneten Konflikt i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG gesprochen werden könne. Es hat damit bereits die erste Tatbestandsvoraussetzung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG verneint, so dass es auch insoweit nicht entscheidungserheblich auf den gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG beim subsidiären Schutz entsprechend anzuwendenden § 3e AsylG ankam.
3. Des Weiteren halten die Kläger die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
„ob nicht die Situation im Irak zwischenzeitlich sich derart verschlechtert hat, dass ein Konflikt – sowohl zwischen den Glaubensrichtungen, als auch zwischen Regionalfürsten und Stammesfürsten, als auch gegenüber völlig unparteiischen Personen – vorliegt, wie er typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen zu finden ist.“
Auch hier haben die Kläger die grundsätzliche Bedeutung nicht dargelegt. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass im Irak derzeit zwar ein militärischer bewaffneter Konflikt stattfinde, der aber keine landesweite Konfliktsituation darstelle, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr bestehe. Mit dieser Feststellung setzen sich die Kläger in ihrem Zulassungsantrag nicht auseinander. Zur Darlegung einer Grundsatzfrage, die im Berufungsverfahren anders als vom Verwaltungsgericht beantwortet werden soll, gehört es jedoch, dass sich der Antrag auf Zulassung der Berufung mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts substantiell auseinandersetzt und eine gewisse Wahrscheinlichkeit aufzeigt, dass die Frage anders zu beantworten ist als vom Verwaltungsgericht. Daran fehlt es hier jedoch.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Antrags wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen