Verwaltungsrecht

Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens

Aktenzeichen  AN 4 S 20.30214, AN 4 K 20.30215

Datum:
25.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 7685
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2, Abs. 5 S. 1
AsylG § 10 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 32, § 33 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 34 Abs. 1 S. 1, § 38 Abs. 1, § 75 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 2 S. 3

 

Leitsatz

Ist ein Ausländer untergetaucht, so lässt sein Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens das Bestehen einer drohenden Gefahr i.S.d. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Heimatland zweifelhaft erscheint. Vielmehr lieht ein deutliches Indiz dafür vor, dass der Antragsteller bislang keinen solchen Gefahren ausgesetzt war und ihm diese Gefahren auch bei einer Rückkehr nicht drohen. (Rn. 27 – 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts … … für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und das Hauptsacheverfahren (AN 4 K 20.30215) wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides vom 28. Februar 2020.
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben tadschikischer Staatsangehöriger und Pamiri. Er reiste am 1. Juni 2019 auf dem Landweg über Slowenien in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. Juli 2019 einen Asylantrag. Zugleich wurde der Antragsteller in der „Wichtigen Mitteilung“ über die Rechtsfolgen des Nichtbetreibens des Verfahrens und über seine Pflicht, insbesondere jeden Wohnungswechsel dem Bundesamt mitzuteilen, belehrt. Die Aushändigung einer schriftlichen Übersetzung der „Wichtigen Mitteilung“ bestätigte der Antragsteller mit seiner Unterschrift (Bl. 106, 113 Behördenakte).
In seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 4. Juli 2019 trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass sein Vater und sein Onkel Oppositionelle gewesen und während eines Konflikts mit der von Präsident Emomali Rahmon geschickten Armee am 24. Juni 2012 zusammen mit 28 anderen Personen getötet worden seien. Die Polizei habe den Antragsteller sechs bis sieben Mal verhaftet und geschlagen, um von ihm ein Geständnis zu erzwingen, dass sein Vater und sein Onkel Volksverräter und Terroristen seien. Dies sei im Jahr 2014 passiert. Er habe sich von 2014 an vier Jahre im Dorf … im Gebirge versteckt. Zuletzt sei er im Winter 2017 von der Polizei verhaftet, zwei Wochen im Gefängnis festgehalten und geschlagen worden, um ihn zu besagtem Geständnis zu zwingen. Nach seiner Freilassung habe er sich noch ungefähr zwei Jahre in dem erwähnten Dorf aufgehalten und sei dann am 23. April 2019 von Duschanbe nach Moskau geflogen. Die Ehefrau des Antragstellers halte sich derzeit legal in Deutschland auf.
Der Antragsteller legte dem Bundesamt einen vorläufigen Entlassungsbericht des Klinikums … … … vom 21. Juni 2019 mit den Diagnosen mittelgradige depressive Episode (F 32.1) und dissoziative Zustände bei V.a. PTBS vor (Bl. 164ff. Behördenakte). Der Antragsteller wurde mit Quetiapin in retadierter und unretadierter Form behandelt. Als weitere Empfehlungen wurden eine ambulante psychiatrische Anbindung mit Reevaluation der Medikation, eine ambulante Psychotherapie zur Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse in Tadschikistan sowie eine EKG-Kontrolle genannt. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf den Entlassungsbericht verwiesen.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab, stellte das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG fest, ordnete seine Abschiebung nach Slowenien an und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 13 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die nach Bestandskraft dieses Bescheides für den 18. November 2019 vorgesehene Überstellung des Antragstellers nach Slowenien wurde storniert, da der Antragsteller laut Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde vom 14. November 2019 (Bl. 298 Behördenakte) seit 11. November 2019 unbekannten Aufenthaltes war.
Der Antragsteller legte ein Psychiatrisches Gutachten von … …, Facharzt für Psychiatrie/Psychotherapie, vom 26. Juli 2019 vor. In diesem werden eine rezivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode (F33.2) und eine Posttraumatische Belastungsreaktion (F43.1) diagnostiziert. Bezüglich der Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2020 hob das Bundesamt den Bescheid vom 17. Juli 2019 auf, da auf Grund des Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO die Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland übergegangen sei.
Am 28. Februar 2020 vermerkte das Bundesamt in der Behördenakte, dass das AZR (Ausländerzentralregister) gesichtet worden sei und der Antragsteller seit 11. November 2019 als unbekannt verzogen gelte (Bl. 330 Behördenakte).
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 28. Februar 2020 (Gz. …), als Einschreiben am 3. März 2020 zur Post gegeben, stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziffer 1) und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Tadschikistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 18 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Das Bundesamt begründete die Entscheidung damit, dass der Antragsteller seit dem 11. November 2019 als untergetaucht gelte. Weder dem Bundesamt noch der Ausländerbehörde sei der derzeitige Aufenthaltsort des Antragstellers bekannt. Deshalb gelte der Asylantrag gemäß § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG als zurückgenommen und sei die Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 32 AsylG festzustellen. Auf den Inhalt des Bescheides wird ergänzend Bezug genommen.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat am 12. März 2020 Klage (AN 4 K 20.30215) auf Aufhebung des Bescheides vom 28. Februar 2020, hilfsweise auf Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erhoben und beantragt zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums gegen Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Februar 2020 (Gz. …) anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 17. März 2020,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verwies sie auf den angefochtenen Bescheid. Auf Nachfrage des Gerichts erklärte die Antragsgegnerin, dass bei Stellung eines zweiten Wiederaufnahmeantrags gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG nach erneuter Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens die Rechtmäßigkeit der ersten Einstellungsentscheidung nicht geprüft werde, da diese bereits unanfechtbar sei.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
a) Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO ist statthaft. Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung, da kein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vorliegt, sondern sich die Ausreisefrist aufgrund der angenommenen Rücknahme des Asylantrags aus § 38 Abs. 2 AsylG ergibt.
b) Dem Antrag fehlt nicht schon das Rechtsschutzbedürfnis.
Der Einzelrichter hält an seiner bisherigen Auffassung, wonach es bei der Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrages binnen neun Monaten ohne weitere Vorbedingungen an dem Rechtsschutzbedürfnis fehlt, nicht fest. Die Antragsgegnerin hat selbst erklärt, dass die erstmalige Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens sachlich nicht noch einmal geprüft wird. Der Wiederaufnahmeantrag ist daher keine einfachere und effektivere Möglichkeit, die Beschwer zu beseitigen.
Das gilt ungeachtet dessen, dass die Antragsgegnerin in der Praxis nach Maßgabe ihrer eigenen Dienstvorschrift den Einstellungsbescheid aufhebt. Die Ankündigung der Antragsgegnerin mit der „Bestandskraft“ des aufgehobenen Bescheides zu argumentieren ist offenkundig rechtsirrig und löst jedenfalls den Bedarf gerichtlichen Rechtsschutzes gegen den angekündigten Rechtsschein aus.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet, da die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers ausfällt.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem in § 75 AsylG vorgesehenen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abwägt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung ist die Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens. Diese ist in einer im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu ermitteln. Ergibt die summarische Prüfung, dass der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg haben wird, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann kein öffentliches Interesse bestehen. Erweist sich der Bescheid hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (BayVGH, B. v. 4.12.2019 – 15 CS 19.2048 – juris Rn. 21; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 148).
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung nach summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (a) und keine Umstände vorliegen, die eine von § 75 Abs. 1 AsylG abweichende Entscheidung rechtfertigen (b).
a) Die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides vom 28. Februar 2020 ist nach summarischer Prüfung unbegründet, da die Abschiebungsandrohung in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist §§ 34 Abs. 1 Satz 1, 38 Abs. 2 AsylG. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach §§ 59 und 60 Abs. 2 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn (Nr. 1) der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, (Nr. 2) dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, (Nr. 2a) dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird, (Nr. 3) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und (Nr. 4) der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Nach § 38 Abs. 2 AsylG beträgt die Ausreisefrist im Fall der Rücknahme des Asylantrags eine Woche.
bb) Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG liegen vor.
(1) Dem Antragsteller wurde weder die Asylberechtigung anerkennt, noch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, noch subsidiärer Schutz gewährt (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 2a AsylG), da sein Asylantrag nach § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG als zurückgenommen gilt, was das Bundesamt in Ziffer 1 des Bescheides zusammen mit der Einstellung des Asylverfahrens gemäß § 32 Satz 1 AsylG richtigerweise festgestellt hat. Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, was gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG vermutet wird, wenn er untergetaucht ist. Diese Vermutung gilt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Untertauchen auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hat. Der Antragsteller war untergetaucht. Untergetaucht ist der Ausländer, „wenn er für die staatlichen Behörden nicht auffindbar ist“ (Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7538 S. 17; BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 4 B 18.30514 – juris Rn. 18). Das Bundesamt durfte auf Grund der Mitteilung der Zentralen Ausländerbehörde vom 14. November 2019, nach welcher der Antragsteller seit 11. November 2019 unbekannten Aufenthaltes war, und der Sichtung des Ausländerzentralregisters am 28. Februar 2020, aus dem sich kein abweichender Sachverhalt ergab, von der Unauffindbarkeit und damit vom Untertauchen des Antragstellers ausgehen. Eine weitergehende Nachforschungspflicht traf das Bundesamt nicht. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Neufassung des § 33 AsylG den Zweck, in Fällen fehlender Mitwirkungsbereitschaft des Ausländers im Asylverfahren das Bundesamt von der Weiterführung dieser Verfahren zu entlasten (Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/7538 S. 16). Mit diesem Entlastungszweck wäre es unvereinbar, vom Bundesamt weitere Ermittlungen zum Aufenthaltsort des Ausländers zu verlangen, sofern keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit der Mitteilung der Ausländerbehörde bestehen. Dafür spricht auch, dass § 10 Abs. 1 AsylG den Ausländer verpflichtet, jeden Wechsel seiner Anschrift unverzüglich anzuzeigen. Über diese Mitwirkungspflicht ist der Antragsteller gemäß § 10 Abs. 7 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen worden. Die Unauffindbarkeit des Antragstellers bestand mindestens im Zeitraum vom 11. November 2019 bis 28. Februar 2020 und erstreckte sich damit über einen nicht unerheblichen Zeitraum von mehreren Monaten. Anhaltspunkte, dass die Unauffindbarkeit auf Umstände zurückzuführen war, auf die der Antragsteller keinen Einfluss gehabt hat, sind weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Der Antragsteller ist auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen des Nichtbetreibens des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 4 AsylG schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen worden.
(2) Es bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Das Bundesamt verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten mit der Begründung, dass das augenscheinliche Desinteresse an der Weiterführung des Asylverfahrens drohende Gefahren i.S.d. § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Heimatland zweifelhaft erscheinen lasse und dies ein deutliches Indiz dafür sei, dass der Antragsteller bislang keinen solchen Gefahren ausgesetzt war und ihm diese Gefahren auch bei einer Rückkehr nicht drohen. Diese Begründung greift deutlich zu kurz. Nach § 32 Satz 2 AsylG ist – auch über das Vorliegen von Abschiebungsverboten – nach der Aktenlage zu entscheiden. Das Bundesamt hat sich aber weder mit dem Vortrag des Antragstellers in der persönlichen Anhörung noch mit den vorgelegten medizinischen Dokumenten auseinandergesetzt. Jedoch kommt das Gericht im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS. 2 AsylG) zu dem Ergebnis, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Nach § 60 Abs. 5 AsylG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
In Betracht kommt zunächst eine Verletzung des Art. 3 EMRK, der Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung verbietet. Ausgehend vom Vortrag des Antragstellers in seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt drohen dem Antragsteller im Fall seiner Abschiebung nach Tadschikistan weder Folter noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Der Antragsteller trug vor, dass er sechs bis sieben Mal von der Polizei verhaftet und geschlagen worden sei, um von ihm ein Geständnis zu erzwingen, dass sein Vater und sein Onkel Volksverräter und Terroristen seien. Er habe sich von 2014 an vier Jahre im Dorf … im Gebirge versteckt. Zuletzt sei er im Winter 2017 von der Polizei verhaftet, zwei Wochen im Gefängnis festgehalten und geschlagen worden, um ihn zu besagtem Geständnis zu zwingen. Nach seiner Freilassung habe er sich noch ungefähr zwei Jahre in dem erwähnten Dorf aufgehalten und sei dann am 23. April 2019 mit dem Flugzeug von Duschanbe nach Moskau ausgereist. Zunächst einmal ist nicht ersichtlich, welchen Nutzen besagtes Geständnis für die Polizei haben sollte, wenn doch der Vater und der Onkel des Antragstellers bereits seit Juni 2012 tot sind und der Antragsteller nach eigener Aussage selbst nicht politisch aktiv war (Bl. 188 Behördenakte). Eine Erklärung hierfür hatte der Antragsteller auf Nachfrage selbst nicht (Bl. 189 Behördenakte). Selbst wenn die Polizei Interesse an einem solchen Geständnis gehabt haben sollte, ist zu berücksichtigen, dass seit dem Tod des Vaters und des Onkels mittlerweile fast acht Jahre vergangen sind, sodass dieses Interesse zwischenzeitlich deutlich nachgelassen haben dürfte. Des Weiteren hat der Antragsteller nicht vorgetragen, dass es seit Winter 2017 zu weiteren Verhaftungen oder anderweitigen Vorfällen gekommen ist. Der Antragsteller konnte sich also vom Winter 2017 bis zu seiner Ausreise im April 2019, sprich fast eineinhalb Jahre, von der Polizei unbehelligt in dem Dorf im Gebirge aufhalten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass es ihm auch nach seiner Rückkehr nach Tadschikistan möglich sein wird, sich vor der Polizei verborgen zu halten, sollte diese es nach wie vor auf ihn abgesehen haben. Dass sich das Interesse des tadschikischen Staates an der Person des Antragstellers in Grenzen hält, ergibt sich auch daraus, dass es dem Antragsteller problemlos möglich war, am 23. April 2019 von Duschanbe aus nach Moskau zu fliegen. Er ist an der Ausreise nicht gehindert worden.
Eine Verletzung des Art. 3 EMRK bei Abschiebung des Antragstellers ergibt sich vorliegend auch nicht aus den derzeitigen humanitären Bedingungen in Tadschikistan. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können nur in begründeten Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier indes nicht vor. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist im Großen und Ganzen gewährleistet, für bedürftige Personen gibt es nur eine marginale und unzureichende Unterstützung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.7.2019, Stand Juni 2019, S. 15). Der Antragsteller ist ein 27-jähriger gesunder Mann, der nach eigenen Angaben von seinem Vater die Tätigkeit eines elektrischen Ingenieurs gelernt und bei seinem Vater mitgearbeitet hat sowie nach dem Tod des Vaters finanziell von Freunden und Verwandten unterstützt worden sei (Bl. 187 Behördenakte). Dem Antragsteller ist es zuzumuten, sich nach seiner Rückkehr in sein Heimatland um eine Arbeit zu bemühen und damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, notfalls sich erneut an seine Freunde und Verwandten mit der Bitte um finanzielle Unterstützung zu wenden. Zudem lebt die Ehefrau des Antragstellers momentan legal in Deutschland und könnte ihn von hier aus finanziell unterstützen. Individuelle, gefahrerhöhende Umstände wurden vom Antragsteller weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Das Vorliegen eines krankheitsbedingten Abschiebungsverbotes kann auf Grundlage der vom Antragsteller vorgelegten medizinischen Dokumente nicht festgestellt werden, da diese nicht den Anforderungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügen.
Dem vorläufigen Entlassungsbericht des Klinikums … vom 21. Juni 2019 lassen sich bereits nicht die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, entnehmen (vgl. § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG). Es wird zwar eine ambulante psychiatrische Anbindung mit Reevaluation der Medikation, eine ambulante Psychotherapie und eine EKG-Kontrolle empfohlen, jedoch keine Aussage dazu getroffen, welche Auswirkungen ein Abbruch der medikamentösen Behandlung oder ein Unterbleiben der Psychotherapie auf den Gesundheitszustand des Antragstellers voraussichtlich haben würden.
Was die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsreaktion (F43.1) im Psychiatrischen Gutachten des Facharztes für Psychiatrie/Psychotherapie … … vom 26. Juli 2019 anbelangt, genügt dieses Gutachten nicht den nach der Rechtsprechung zu stellenden inhaltlichen Anforderungen an die Substantiierung eines Vorbringens einer Erkrankung an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (im Folgenden PTBS). Dazu gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie einer vielfältigen Symptomatik regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Erkrankung, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben (BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21/12 – juris Rn. 7; BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7). Das Psychiatrische Gutachten von … … genügt diesen Anforderungen nicht.
Der Arzt setzt sich mit dem vom Antragsteller in der Anamnese geschilderten Sachverhalt nicht ansatzweise auseinander. Eine irgendwie geartete Interpretation der Angaben erfolgt nicht. Dem Gutachten lässt sich nicht einmal entnehmen, was genau das traumaauslösende Ereignis gewesen sein soll. Der Antragsteller nannte dem Arzt mehrere Ereignisse, die zumindest potentiell geeignet wären, eine PTBS auszulösen (Tod des Sohnes, des Vaters, des Onkels, des Bruders, religiös motivierte Auseinandersetzungen, körperliche Gewalt). Dennoch unterlässt es der Arzt zu eruieren, welches bzw. welche Ereignisse konkret die PTBS ausgelöst hat bzw. haben.
Wenn der Arzt sodann ausführt, dass im Fall einer Abschiebung ins Heimatland als dem Ort der Traumatisierung mit einer Retraumatisierung zu rechnen sei (Bl. 259 Behördenakte), wird mangels Benennung des traumatisierenden Ereignisses schon nicht klar, wodurch genau diese Retraumatisierung erfolgen sollte. Dass keine Benennung des traumatisierenden Ereignisses erfolgt ist, mag auch daran liegen, dass der Arzt den Antragsteller am Tag der Gutachtenerstellung das erste Mal untersucht hat. Angesichts der Komplexität und Schwierigkeit der PTBS ist in der Regel ein längerer Zeitraum der Befassung des Arztes mit dem Patienten erforderlich, da tragfähige Aussagen zur Traumatisierung regelmäßig erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich sind (VG Köln, U.v. 23.5.2012 – 14 K 449/11.A – juris Rn. 41; VG München, B.v. 20.1.2010 – M 17 S 09.60107 – juris Rn. 23; VG Würzburg, B.v. 22.12.2003 – W 5 K 02.31232 – juris Rn. 19; VG München, U.v. 4.12.2000 – M 30 K 00.51692 – juris Rn. 103).
Der Arzt führt auch nicht aus, ob die vom Antragsteller geschilderten Beschwerden (er müsse immer wieder an das Geschehene denken, schlafe schlecht, sei völlig kaputt, Bl. 257 Behördenakte) durch den psychopathologischen Befund bestätigt werden. Anamnese und Befund stehen kommentarlos nebeneinander. Der Arzt folgert ohne Begründung, dass der Antragsteller an oben genannten psychischen Störungen leide (Bl. 258 Behördenakte).
Im Gutachten finden sich auch keine Angaben über die konkret benötigte Behandlung. Laut Arzt benötige der Antragsteller dringendst eine störungsadäquate Behandlung bestehend aus psychiatrischer Pharamkotherapie und Psychotherapie (Bl. 258 Behördenakte). Weder wird eine Aussage über die konkret benötigte Medikation noch über die voraussichtliche Dauer der Therapie getroffen.
Ohne dass es angesichts der bereits genannten Mängel des Gutachtens noch entscheidend darauf ankäme, bestehen weiter erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit des dem Gutachten zugrunde liegenden Vortrags des Antragstellers. Es fällt auf, dass der Antragsteller im Vergleich zu seiner persönlichen Anhörung beim Bundesamt widersprüchliche Angaben machte. In der Anhörung trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass sein Vater und sein Onkel wegen ihrer oppositionellen Tätigkeit getötet worden seien, er selbst mehrmals mit polizeilicher Gewalt zu dem Geständnis gezwungen werden sollte, dass sein Vater und sein Onkel Terroristen und Volksverräter seien und er sich deshalb versteckt habe. Dem Arzt berichtete er nun von religiös motivierten Auseinandersetzungen, dass er Schiit sei, die Regierung die Sunniten unterstütze, es wie im Krieg sei und er deshalb das Land verlassen habe (Bl. 256 Behördenakte). Weder erwähnte der Antragsteller in der Anhörung beim Bundesamt diese angeblichen religiösen Auseinandersetzungen, noch nannte er diese als Grund für seine Ausreise. Auch was die dem Arzt gegenüber erwähnte Tötung seines Sohnes anbelangt, bestehen erhebliche Widersprüche. In der Anhörung beim Bundesamt gab der Antragsteller an, seine Frau sei in Tadschikistan schwanger gewesen und habe durch den Stress und die ganzen Vorfälle das Kind verloren (Bl. 177 Behördenakte). Gegenüber den Ärzten des Klinikums … gab der Antragsteller an, das Kind sei im Alter von zwei Monaten verstorben (Bl. 165 Behördenakte). Wenn er nun angibt, sein Sohn sei umgebracht worden (Bl. 256 Behördenakte), erscheint dies angesichts der verschiedenen Versionen dieser Geschichte unglaubhaft.
Auch wenn die strengen Anforderungen an die Substantiierung einer PTBS nicht auf andere psychische Störungen übertragen werden können, ist das Psychiatrische Gutachten von … … auch hinsichtlich der diagnostizierten rezivierenden depressiven Störung (F33.2) nicht ausreichend, um deren Vorliegen oder eine wesentliche Verschlechterung durch die Abschiebung hinreichend zu begründen. Das Vorliegen dieser psychischen Störung stellt der Arzt ohne nähere Begründung fest (Bl. 258 Behördenakte). Bezüglich der erforderlichen Behandlung und der voraussichtlichen Folgen eines Behandlungsabbruchs (Bl. 258 Behördenakte) wird nicht zwischen PTBS und rezivierender depressiver Störung unterschieden, sodass nicht klar ist, wie die rezivierende depressive Störung konkret zu behandeln wäre und welche Folgen sich aus einem diesbezüglichen Behandlungsabbruch ergeben könnten.
(3) Der Antragsteller besitzt keinen Aufenthaltstitel (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG).
cc) Die Ausreisefrist beträgt gemäß § 38 Abs. 2 AsylG eine Woche, da der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gilt.
b) Es liegen auch keine Umstände vor, die ein Abweichen von der gesetzgeberischen Grundentscheidung für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 75 Abs. 1 AsylG rechtfertigen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
4. Mit Verweis auf die vorstehenden Ausführungen hat die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, sodass der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, verbunden mit dem Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwaltes, unabhängig von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers, abzulehnen ist (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Da der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen war, kommt auch keine Beiordnung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 ZPO in Betracht.
5. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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