Aktenzeichen M 21 K 17.42562
Leitsatz
Diabetes mellitus ist in Nigeria eine Volkskrankheit. Mit dieser Krankheit geht daher eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung Nigerias einher, die grds. einer Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG vorbehalten ist (BVerwG BeckRS 9998, 54794). (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Über die Klage konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zwar überwiegend zulässig, insoweit aber im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang offensichtlich unbegründet.
Nur hinsichtlich des gesetzlich angeordneten und behördlich befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbots ist die ausdrücklich als solche erhobene Anfechtungsklage mangels Statthaftigkeit unzulässig (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris Rn. 59). Darauf hat das Gericht in der mündlichen Verhandlung hingewiesen. Dennoch ist diese Anfechtungsklage vom Klägerbevollmächtigten aufrechterhalten worden.
Im Übrigen ist die Klage offensichtlich unbegründet.
Das Gericht folgt zunächst der Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (vgl. § 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
Bei der Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet, welche die Unanfechtbarkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils zur Folge hat (§ 78 Abs. 1 AsylG), sind nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und an die Urteilsbegründung zu stellen. Es muss sich die auf der Hand liegende Aussichtslosigkeit der Klage zumindest eindeutig aus der Entscheidung selbst ergeben (vgl. nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem den unbestimmten Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin ausgelegt, dass Offensichtlichkeit im Sinne des § 30 Abs. 1 AsylG dann vorliegt, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (hier: § 77 Abs. 1 Halbs. 1 AsylG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt. Dieselben Anforderungen sind auch an eine gerichtliche Entscheidung über das offensichtliche Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG, auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris Rn. 21) und an die Abweisung der Klage auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG als offensichtlich unbegründet zu stellen (vgl. zu all dem nur BVerfG, B.v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3 m.w.N.; BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 18 m.w.N.). Die Darlegung, worauf das Offensichtlichkeitsurteil im Einzelnen gestützt wird, erfordert vor allem dann besondere Sorgfalt, wenn das Bundesamt den Antrag lediglich als (schlicht) unbegründet abgelehnt hat (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – juris Rn. 10 m.w.N.). Steht, wie im Fall der Abweisung der Klage als offensichtlich unbegründet (§ 78 Abs. 1 AsylG), nur eine Instanz zur Verfügung, so verstärkt dies die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Verfahrens im Hinblick auf die Wahrheitserforschung (vgl. nur BVerfG, B.v. 7.11.2008 – 2 BvR 629/06 – juris Rn. 12 m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang als offensichtlich unbegründet abzuweisen.
Die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigte und für die Zuerkennung des internationalen Schutzes liegen offensichtlich nicht vor (§ 30 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Das (teils nicht asylrelevante) Vorbringen ist in wesentlichen Punkten unsubstantiiert, teils in sich widersprüchlich und damit insgesamt unglaubhaft. So hat sich die Klägerin auch unglaubwürdig gemacht. Zudem muss sie sich hinreichend gesichert auf internen Schutz verweisen lassen. Es wäre somit bereits Sache des Bundesamts gewesen, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Im Einzelnen:
Im Kern hat die Klägerin, die nach eigenem Vorbringen auf dem Landweg (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG) eingereist ist, beim Bundesamt geltend gemacht, infolge der Vergewaltigungen durch ihren Onkel in ihrer Heimatstadt stigmatisiert zu sein.
Dieses Vorbringen ist nicht asylrelevant, weil es keinen Bezug zu einem asylerheblichen Merkmal der Klägerin hat.
Das Vorbringen ist zudem in wesentlichen Punkten unsubstantiiert, teils in sich widersprüchlich und damit insgesamt unglaubhaft.
Datums- und umstandsgenaue Angaben zu den behaupteten Gefahren, insbesondere zu den die Ausreise verursachenden Umständen, fehlen. Das Vorbringen ist insoweit durchweg substanzlos und oberflächlich geblieben. Damit ist es unglaubhaft. Wäre die Klägerin wirklich von ihrem Onkel vergewaltigt worden, hätte sie in der Bundesamtsanhörung das genaue Datum ihrer Ausreise angeben können und müssen, weil es sich dann dabei um ein für sie besonders einprägsames Ereignis gehandelt hätte. Stattdessen war die Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung nur dazu in der Lage, das Datum ihrer Ausreise auf das Jahr 2002 einzugrenzen. Hätten die behaupteten Vergewaltigungen wirklich stattgefunden, hätte die Klägerin zu diesen Taten in der Bundesamtsanhörung konkrete Angaben machen können und müssen, zumal sie damals jeweils ausdrücklich auf eine weibliche Dolmetscherin und auf die Beiziehung einer Sonderbeauftragten verzichtet hatte und zumal die Klägerin damals in Begleitung einer Vertrauensperson war. Hätte die Klägerin ihren Onkel bei der zweiten Vergewaltigung überwältigen können, wäre es mindestens höchst erklärungsbedürftig gewesen, warum es dann überhaupt zu Vergewaltigungen hat kommen können. Schwer in sich widersprüchlich ist das Vorbringen zur Frage, ob sich die Klägerin wegen der angeblich an ihr begangenen Verbrechen an nigerianische Sicherheitskräfte gewandt hat. In der Bundesamtsanhörung hat sie das implizit verneint, indem sie insbesondere behauptet hat, „sie hätten keine Polizei“. In der mündlichen Verhandlung hat sie dagegen die Behauptung aufgestellt, doch bei der Polizei gewesen zu sein.
Durch den Vortrag zur angeblichen Gefahr der (erneuten) Beschneidung hat sich die Klägerin vollends unglaubwürdig gemacht. Vom Thema der Beschneidung war in der Bundesamtsanhörung überhaupt keine Rede. Dieser Vortragsteil ist ersichtlich nach der Bundesamtsanhörung aus asyltaktischen Gründen konstruiert worden.
Hinsichtlich der geltend gemachten Gefahren muss sich die Klägerin zudem hinreichend gesichert auf internen Schutz verweisen lassen (§ 3e AsylG).
Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, insbesondere Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dies kann allerdings ausnahmsweise mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, in dem keine Mitglieder ihrer Familie bzw. erweiterten Verwandtschaft oder der Dorfgemeinschaft leben (vgl. zu all dem nur Lagebericht 2017, S. 18).
Einen solchen, engen Ausnahmefall kann die Klägerin, die nach eigenem Vortrag noch ihren Vater, ihren Bruder, ihre Schwester, drei Onkel und zwei Tanten in Nigeria hat, offensichtlich nicht für sich in Anspruch nehmen. Sie war nicht nur in Nigeria bereits beruflich tätig und hat zudem als junge, gesunde und arbeitsfähige Frau nicht zuletzt durch ihre Reise nach Europa bewiesen, dass sie sich in einer für sie unbekannten Umgebung behaupten kann. Hervorzuheben ist insoweit, dass die Klägerin nicht mit einem Schlepper unterwegs gewesen, sondern die ganze Reise nach Europa alleine organisiert haben will. Somit ist sie jedenfalls auch auf andere Landesteile als Edo State zu verweisen.
Die Klägerin hat nach den vorstehenden Darlegungen und unter Berücksichtigung sämtlicher zu ihrem Gesundheitszustand vorliegenden Stellungnahmen auch offensichtlich keinen Anspruch auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots, insbesondere des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Vermutung, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG) ist offensichtlich nicht widerlegt, weil keine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht ist (§ 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG). Anwaltliche Ausführungen genügen insoweit offensichtlich nicht.
Selbst wenn die Klägerin – wie anwaltlich behauptet – an Diabetes mellitus litte, scheiterte die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG für sie bereits offensichtlich an der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG.
Die Auswertung der dazu vorliegenden, aktuellen und allgemeinkundigen Quellen ergibt, dass Diabetes mellitus auch in Nigeria eine Volkskrankheit ist. Mit dieser Krankheit geht daher eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung Nigerias einher, die grundsätzlich einer Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG vorbehalten ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1998 – 9 C 13/97 – juris Leitsatz 1; BVerwG, U.v. 29.7.1999 – 9 C 2/99 – juris Rn. 9), an der es fehlt.
Laut dem in der englischen Ausgabe des World Journal of Diabetes vom 15. Dezember 2014 enthaltenen Aufsatz Diabetes mellitus in Nigeria: The past, present and future (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4265879/pdf/WJD-5-905.pdf), wird die gegenwärtige Prävalenz von Diabetes mellitus in Nigeria auf zwischen acht und zehn Prozent der Bevölkerung geschätzt. Auch in Nigeria ist der Diabetes mellitus Typ 2 die am weitesten verbreitete Form von Diabetes mellitus, die etwa 90 bis 95% aller Fälle von Diabetes mellitus ausmacht (World Journal of Diabetes vom 15. Dezember 2014, S. 906).
Da Nigeria aktuell zirka 190 Millionen Einwohner hat (vgl. nur Lagebericht 2017, S. 7), sind in diesem Land folglich zwischen 15,2 und 19 Millionen Menschen von Diabetes mellitus betroffen. Diese Größenordnung der Betroffenen verdeutlicht den Vorbehalt einer politischen Leitentscheidung im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG.
In solchen Konstellationen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung und Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder aufgrund der allgemeinen Verhältnisse oder aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. nur BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 16 m.w.N.). Die Voraussetzungen einer solchen landesweiten Extremgefahr sind im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Insbesondere den zum Gesundheitszustand der Klägerin vorliegenden Stellungnahmen lässt sich dafür kein Ansatzpunkt entnehmen.
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 2 AsylG).