Aktenzeichen M 19L DB 17.2189
BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1
BeamtStG § 34 S. 1, S. 3, § 35 S. 2
Leitsatz
1. Auch bei Rechtswidrigkeit einer Untersuchungsanordnung hat der Beamte diese zu befolgen, da die Rechtmäßigkeit des angeordneten Handelns keine Voraussetzung für die Bindungswirkung einer Weisung ist; anderes gilt nur, wenn ein die Nichtbeachtung rechtfertigender Evidenzfall vorliegt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Nichterscheinen zu einer angeordneten polizeiärztlichen Untersuchung rechtfertigt eine Geldbuße in Höhe von 500 Euro, wenn diese eine erforderliche aber auch ausreichende Disziplinarmaßnahme darstellt. (Rn. 26 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Disziplinarverfügung des Polizeipräsidiums M. vom 18. April 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (Art. 3 Bayerisches Disziplinargesetz – BayDG – i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Die Disziplinarverfügung leidet nicht an einem formellen Fehler, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt. Die nach § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX vorgeschriebene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung, hier also vor Erlass der Disziplinarverfügung, hat mit Schreiben des Polizeipräsidiums M. vom 27. März 2017 stattgefunden. Die Schwerbehindertenvertretung äußerte sich mit Schreiben vom 6. April 2017. Zwar sieht § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auch vor, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen schwerbehinderten Menschen berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten hat, was hier vor oder bei Einleitung des Disziplinarverfahrens unterblieben ist. Mit der Anhörung vor Erlass der Disziplinarverfügung ist dieser Unterrichtungsverstoß jedoch analog § 95 Abs. 2 Satz 2 SGB IX als geheilt anzusehen und wirkt sich folglich nicht mehr auf die formelle Rechtmäßigkeit der Disziplinarverfügung aus.
2. Die streitgegenständliche Disziplinarverfügung legt dem Kläger in rechtmäßiger Weise zur Last, dass er den Termin zur polizeiärztlichen Untersuchung am 14. Dezember 2015 nicht eingehalten hat. Die weiteren im Disziplinarverfahren erhobenen Vorwürfe – Nichterscheinen zur polizeiärztlichen Untersuchung am 11. Januar 2016 und Nichtvorlage der Entlassungsberichte der Klinik St. … – wurden nicht weiter verfolgt.
Das Polizeipräsidium M. hat den Kläger mit Schreiben vom 5. und 24. November 2015 aufgefordert, zu der polizeiärztlichen Untersuchung am 14. Dezember 2015 zu erscheinen. Mit diesen Schreiben und bereits mit Schreiben vom 28. Juli 2015 hat es ihn auch darauf hingewiesen, dass er verpflichtet ist, nach seiner bereits fünfeinhalb Jahre andauernden Krankheit an der Klärung von Fragen zu seiner Dienstfähigkeit mitzuwirken und ihm für den Fall der Nichtmitwirkung disziplinarrechtliche Konsequenzen angedroht.
An der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung hat das Gericht keine Zweifel. Ein Beamter hat nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz die Dienstpflicht, sich nach Weisung des Dienstvorgesetzten ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel über seine Dienstunfähigkeit bestehen. Die Zweifel des Dienstherrn müssen sich auf konkrete Umstände stützen und dürfen nicht aus der Luft gegriffen sein (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 3 CE 15.172 – juris Rn. 16 f.). Die konkreten Umstände liegen hier in der lange andauernden Erkrankung des Klägers begründet. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht München die Untersuchungsanordnung in seinem Beschluss vom 8. Januar 2016 als rechtmäßig angesehen und hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung in seinem Beschluss vom 15. Februar 2016 bestätigt. Der Umstand, dass es dem Kläger trotz vorheriger anderslautender Zusage nicht gestattet war, eine Begleitperson zu der Untersuchung mitzubringen, stand der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung nach Auffassung beider Gerichte nicht entgegen.
Unabhängig davon wäre der Kläger auch bei Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung an diese Weisung gebunden gewesen. Die Rechtmäßigkeit des angeordneten Handelns ist keine Voraussetzung für die Bindungswirkung einer Weisung. Ein Beamter hat grundsätzlich auch objektiv rechtswidrige Anordnungen zu befolgen (Zängl, Bayer. Disziplinarrecht, MatR II Rn. 264). Könnte der einzelne Beamte den Ablauf und Vollzug einer in den Bereich seiner Dienstaufgaben fallenden Verwaltungsentscheidung hemmen, weil er eine von der Weisung abweichende Rechtsauffassung vertritt, wäre ein effektives Arbeiten der Verwaltung nicht möglich und damit die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernsthaft gefährdet (Zängl, a.a.O.). Die Pflicht zur Beachtung entfällt nur in Evidenzfällen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 4 BeamtStG); ein solcher Evidenzfall liegt hier jedoch nicht vor, weil die Untersuchungsanordnung gerade nicht offensichtlich rechtswidrig ist. Sieht der Beamte in der dienstlichen Anordnung eine Verletzung seiner eigenen Rechtssphäre, kann er dagegen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Aber selbst die Antragstellung oder Klageerhebung entbindet ihn nicht von der Pflicht zur sofortigen Ausführung der Weisung (Zängl, a.a.O.).
Ohne Bedeutung für die Befolgenspflicht der Untersuchungsanordnung ist hier der rechtzeitiger Zugang der Schreiben des Polizeipräsidiums M. vom 11. Dezember 2015 an die Bevollmächtigte. Bereits in vorangegangenen Schreiben des Polizeipräsidiums war klar gestellt worden, dass der Kläger der Untersuchungsanordnung nachzukommen hat. Unerheblich ist vorliegend weiter, dass der Polizeiärztliche Dienst der Anregung der Bevollmächtigten, sich mit dem behandelnden Arzt in der Klinik St. … in Verbindung zu setzen, nicht nachgekommen ist. Es obliegt dem begutachtenden Amtsarzt, auf welchem Erkenntnisweg er das angeforderte Gutachten erstellt.
3. Durch die ihm zur Last gelegte Tat hat der Kläger innerdienstlich ein Dienstvergehen begangen, weil er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat.
Durch sein Verhalten hat der Kläger gegen die Pflicht, dienstliche Anordnungen auszuführen (§ 35 Satz 2 BeamtStG), und gegen die Pflicht, sich achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG), verstoßen.
Im vorliegenden Fall liegt ein innerdienstliches Fehlverhalten vor. Ein solches ist gegeben, weil das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und die dienstlichen Pflichten des Beamten eingebunden war (BVerwG, B.v. 5.7.2016 – 2 B 24.16 – juris Rn. 14; U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 11). Die Untersuchungsanordnung betrifft den innerdienstlichen Pflichtenkreis des Klägers.
Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger positive Kenntnis von dem Untersuchungstermin am 14. Dezember 2015 hatte und bewusst nicht zu der polizeiärztlichen Untersuchung erschienen ist. Ihm ist daher Vorsatz anzulasten.
Selbst wenn, wie erstmals in der mündlichen Verhandlung anklang, der Kläger zu der polizeiärztlichen Untersuchung am 14. Dezember 2015 deshalb nicht erschienen ist, weil er nach Rückkehr aus der Klinik St. … am 24. November 2015 seinen Briefkasten nicht gelehrt hat und von seiner Bevollmächtigten nicht explizit zum Erscheinen aufgefordert worden war, entlastet ihn dies nicht. Bereits durch seine Teilnahme am Präventionsgespräch vom 9. September 2015 war ihm bewusst, dass sein Dienstherr die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung beabsichtigte, weshalb er jederzeit mit dem Eintreffen der Untersuchungsanordnung rechnen musste. Er hätte deshalb durch eigenes Verhalten oder durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen müssen, dass er von der zu erwartenden Untersuchungsanordnung unverzüglich Kenntnis erlangt. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, er sei zu entsprechenden Vorkehrungen nicht verpflichtet gewesen oder er habe wegen des Widerrufs der Zusage hinsichtlich der Begleitperson nicht zu dem Untersuchungstermin erscheinen müssen, liegt ein vermeidbarer Verbotsirrtum vor, der sein Verschulden nicht entfallen lässt (vgl. VG Ansbach, U.v. 16.2.2016 – AN 13a D 15.582 – juris Rn. 114). Ein etwaiges Verschulden seiner Bevollmächtigten, die ihn wegen ihrer eigenen Auffassung der Rechtswidrigkeit der Untersuchungsanordnung möglicherweise nicht ausreichend deutlich zum Erscheinen zu der polizeiärztlichen Untersuchung aufgefordert hat, muss sich der Kläger zurechnen lassen (vgl. Art. 3 BayDG, § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO).
4. Das festgestellte Dienstvergehen liegt im mittelschweren Bereich. Vorliegend ist der Orientierungsrahmen bis zur Kürzung der Dienstbezüge (Art. 9 BayDG) eröffnet.
Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens, der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit, dem Persönlichkeitsbild des Beamten und dem bisherigen dienstlichen Verhalten zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12; U.v. 18.6.2015 – 2 C 9.14 – juris Rn. 25; BayVGH, U.v. 5.10.2016 – 16a D 14.2285 – juris Rn. 55). Gegenstand der disziplinarrechtlichen Bewertung ist die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrecht zu erhalten (BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 36).
Maßgebendes Kriterium für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens. Sie ist richtungsweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich zum einen nach Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale), zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte, insbesondere nach den Höhe des entstandenen Schadens (vgl. BayVGH, U.v. 25.10.2016 – 16b D 14.2351 – juris Rn. 73).
Die Missachtung einer Weisung zu einer fachärztlichen Untersuchung kann bereits die Kürzung der Dienstbezüge rechtfertigen (BayVGH, B.v. 15.7.2016 – 16a DZ 14.557 – juris Rn. 3; B.v. 18.10.2010 – 16a DZ 08.2916 – juris Rn. 26). Die Kürzung ist nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayDG um höchstens ein Fünftel auf längstens drei Jahre zulässig.
5. Von einer Bezügekürzung war hier jedoch – wie in der Disziplinarverfügung geschehen – wegen der vorliegenden Milderungsgründe abzusehen. Das Gericht sieht die verhängte Geldbuße als erforderliche, aber auch ausreichende Disziplinarmaßnahme an.
Von einer Disziplinarmaßnahme ist gegebenenfalls zugunsten einer weniger strengen Disziplinarmaßnahme abzusehen, wenn ein Milderungsgrund vorliegt. Dabei stellen die – ursprünglich zu den Zugriffsdelikten entwickelten – anerkannten Milderungsgründe keinen abschließenden Kanon der bei Dienstvergehen berücksichtigungsfähigen Entlastungsgründe dar. Zu berücksichtigen sind vielmehr alle für die Entscheidung bedeutsamen belastenden und entlastenden Ermessensgesichtspunkte, die in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Selbst wenn keiner der vorrangig zu prüfenden anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht anerkannter Milderungsgründe vergleichbar ist. Entlastungsmomente können sich dabei aus allen denkbaren Umständen ergeben (vgl. BayVGH, U.v. 29.6.2016 – 16b D 13.993 – juris Rn. 44 f.).
Für den Kläger spricht hier, dass er weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist. Weiter spricht für ihn, dass das Polizeipräsidium M. ursprünglich die Teilnahme einer Begleitperson an der polizeiärztlichen Untersuchung zugesagt hat. Besonders ins Gewicht fällt seine psychische Erkrankung. Nach dem Gesundheitszeugnis vom 10. August 2016 liegt aus psychiatrischer Sicht eine chronifizierte seelische Gesundheitsstörung mit sich hieraus ergebender erheblich verminderter Belastbarkeit vor. Diese Erkrankung führt zwar nicht zu einer verminderten Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 Strafgesetzbuch (StGB), weil der Kläger seine Verpflichtung einsehen konnte, der Untersuchungsanordnung zu folgen, und auch in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln; sie hat aber als Milderungsgrund Berücksichtigung zu finden.
Angesichts dieser Umstände erscheint die verhängte Geldbuße, die nach Art. 8 Satz 1 BayDG bis zur Höhe der monatlichen Dienstbezüge auferlegt werden kann, hier aber nur im unteren Bereich auferlegt wurde, ausreichend, zur Pflichtenmahnung aber auch erforderlich.
Die Klage war daher abzuweisen. Der unterlegene Kläger trägt nach Art. 72 Abs. 4 Satz 1 BayDG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei (Art. 73 Abs. 1 Satz 1 BayDG).