Verwaltungsrecht

Duldung rechtliches Abschiebungshindernis

Aktenzeichen  AN 5 E 19.02329

Datum:
2.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 230
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
AufenthG § 60a Abs. 2
ZPO § 114, § 121, § 920 Abs. 2

 

Leitsatz

Allein der Umstand, dass einem Vater das gemeinsame Sorgerecht für das bei der Mutter lebende Kind im Rahmen der Scheidung nicht entzogen wurde, reicht nicht aus, Schutzwirkungen des Art. 6 GG zu Gunsten des Vaters zu entfalten.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … wird abgelehnt.
2. Der Antrag wird abgelehnt.
3. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Der Streitwert wird auf 1.250,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Verpflichtung des Antragsgegners auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a AufenthG sowie Prozesskostenhilfe für das Verfahren.
Der am … 1981 geborene Antragsteller ist aserbaidschanischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben reiste er am 18. Mai 2015 mit seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein am 24. Juni 2015 gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 24. November 2016 abgelehnt. In dem Bescheid wurden weder dem Kläger, noch seinen Familienangehörigen eine Flüchtlingseigenschaft oder ein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller und seine Familienangehörigen wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. 30 Tage nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Eine gegen den ablehnenden Bescheid erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach (Az.: AN 16 K 16.32372) wurde mit Urteil vom 11. Mai 2018 abgewiesen, der beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gestellte Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 12. Juli 2018 abgelehnt.
Ein vom Antragsteller am 5. September 2018 gestellter Asylfolgeantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 15. Oktober 2018 als unzulässig abgelehnt. Bezüglich des Antrags auf Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurde der Antrag als (einfach) unbegründet abgelehnt. Die gegen diesen Folgebescheid am 29. Oktober 2018 erhobene Klage (Az.: AN 16 K 18.31293) ist noch anhängig.
Der Kläger war nach Aktenlage von 24. September 2018 bis 28. März 2019 im Besitz von Duldungsbescheinigungen.
Mit Schreiben vom 30. September 2019 teilte das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen dem Antragsgegner mit, der staatliche Migrationsdienst der aserbaidschanischen Republik habe der Rücknahme des Antragstellers zugestimmt.
Mit Schreiben vom gleichen Tag legte der Antragstellerbevollmächtigte eine Bestätigung der Botschaft der Republik Aserbaidschan vom 23. September 2019 über die Passbeantragung vor. Ausweislich der Bescheinigung dauert die Bearbeitung etwa drei bis vier Monate.
Am 2. Oktober 2019 beantragte der Antragsgegner beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen einen Heimreiseschein.
Mit Schreiben vom 30. September 2019 beantragte der Antragstellerbevollmächtigte unter Vorlage eines Scheidungsendbeschlusses des Amtsgerichts … vom 17. April 2019 für den Antragsteller die Erteilung einer Duldung. Aus dem familiengerichtlichen Beschluss ergebe sich, dass der Antragsteller weiter das gemeinsame Sorgerecht für seine beiden, in Deutschland lebenden Kinder habe.
Mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 erwiderte der Antragsgegner, dass eine Duldung für den vollziehbar ausreisepflichtigen Antragsteller nicht möglich sei. Duldungsgründe lägen nicht vor. Insbesondere begründe das gemeinsame Sorgerecht für die beiden Kinder kein Bleiberecht, da auch hinsichtlich der Exfrau und der Kinder nicht von einer längerfristigen Bleibeperspektive auszugehen sei.
Mit Schreiben vom 12. November 2019 bat der Antragstellerbevollmächtigte den Antragsgegner um Auskunft, warum die Kinder des Antragstellers keine Bleibeperspektive besäßen. Es stünde § 23a AufenthG im Raum. Sofern eine Entscheidung der Härtefallkommission noch nicht gefallen sei, liege erst recht ein Duldungsgrund vor.
Mit Schreiben vom 25. November 2019 hat der Antragstellerbevollmächtigte beantragt,
den Antragsgegner im Eilwege zu verpflichten, von Vollstreckungsmaßnahmen abzusehen und dem Antragsteller eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen.
Gleichzeitig hat der Antragstellerbevollmächtigte Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …
beantragt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, aus dem Umstand, dass der Antragsteller mit der Kindsmutter das gemeinsame Sorgerecht für seine beiden minderjährigen Kinder habe und der Mutter und den Kindern eine Duldungsbescheinigung derzeit bis 2. Januar 2020 ausgestellt sei, ergebe sich aus Art. 6 GG i.V.m. § 60a Abs. 2 AufenthG ein rechtliches Abschiebungsverbot. Aufgrund der ausgestellten Grenzübertrittsbescheinigung bestehe ein Anordnungsgrund.
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2019 hat der Antragsgegner erwidert und beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Abschiebung des Antragstellers sei weder rechtlich, noch tatsächlich auf unabsehbare Zeit unmöglich. Bezüglich Art. 6 Abs. 1 GG seien insoweit eine gelebte Eltern-Kind-Beziehung, sowie ggf. die Folgen und die Dauerhaftigkeit einer abschiebungsbedingten Trennung entscheidend. Vorliegend sei in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Exfrau des Antragstellers und der beiden gemeinsamen Kinder nach Aktenlage kein offizieller Befassungsvorschlag der Härtefallkommission vorliege. Die Familienangehörigen seien damit weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig; von einem gesicherten Aufenthalt der Kinder des Antragstellers könne nicht ausgegangen werden. Die familiäre Gemeinschaft könne perspektivisch im Heimatland gelebt werden. Für den Fall einer zeitlich versetzten Aufenthaltsbeendigung sei die vorübergehende Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft über Telekommunikationsmedien möglich. Aufgrund des Alters der Kinder (elf und sechseinhalb Jahre) sei anzunehmen, dass diese den lediglich vorübergehenden Charakter der Trennung vom Vater verstehen könnten und nicht als endgültig begriffen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren war mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114, § 121 ZPO).
Zur Begründung wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der dem Antragsgegner untersagt wird, aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller zu vollziehen, ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat der Antragsteller sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Zwar ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf den ausgestellten Heimreiseschein und das beantragte Passersatzpapier von einem Anordnungsgrund auszugehen.
Der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anspruch auf vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) gem. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG wurde jedoch nicht glaubhaft gemacht. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben.
Der Antragsteller ist gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, da er den gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt.
Die Ausreisepflicht ist vorliegend gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auch vollziehbar aufgrund der im Bescheid des Bundesamtes vom 24. November 2016 verfügten und mittlerweile bestandskräftigen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung.
Tatsächliche oder rechtliche Gründe, die die Abschiebung unmöglich machen würden, wurden nicht substantiiert dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat insbesondere keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung im Hinblick auf den verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG glaubhaft gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen selbständigen Anspruch auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet; die in Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, entfaltet jedoch aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen und verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 17 ff.). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten (BVerfG, B.v. 23.1.2006 – 2 BvR 1935/05 – juris Rn. 16).
Art. 6 GG entfaltet Schutzwirkungen nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.1987 – 2 BvR 1226/83 – juris Rn. 87). Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 17.12.2018 – 10 C 18.2177 – juris Rn. 19; B.v. 28.7.2015 – 10 ZB 15.858 – juris Rn. 5). Es kommt darauf an, ob zwischen dem Ausländer und seinem Kind auf Grund des gepflegten persönlichen Umgangs ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht, das von der nach außen manifestierten Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt ist (VGH BW, U.v. 20.9.2018 – 11 S 240/17 – juris Rn. 80; U.v. 5.8.2002 – 1 S 1381/01 – juris Rn. 19). Außerdem ist angemessen zu berücksichtigen, ob im Falle einer Rückkehr des Vaters in sein Heimatland ein Abbruch des persönlichen Kontakts zu seinem Kind droht (vgl. BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 19 CE 18.1597 – juris Rn. 22).
Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung im Hinblick auf Art. 6 GG nicht glaubhaft gemacht, da ein konkreter, substantiierter Vortrag zu der mit den Kindern gelebten Vater-Kind-Beziehung und der tatsächlichen Verbundenheit des Antragstellers zu seinen Kindern schon nicht erfolgt ist. Insbesondere enthält der vom Antragstellerbevollmächtigten vorgelegte, familiengerichtliche Beschluss keine Ausführungen zum gelebten Umgang. Allein der Umstand, dass dem Antragsteller das gemeinsame Sorgerecht im Rahmen der Scheidung nicht entzogen wurde, ist insoweit nicht hinreichend. Aber auch bei Annahme einer gelebten Vater-Kind-Beziehung ist im Rahmen der vorzunehmenden umfassenden Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, dass sich die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers nicht berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten. Sie sind, wie der Antragsteller, aserbaidschanische Staatsangehörige und nach erfolglosem Asylverfahren ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig. Die bloße Behauptung eines Härtefalls i.S.d. § 23a AufenthG ändert an deren weiterhin bestehender und vollziehbarer Ausreisepflicht nichts.
Nachdem insofern sämtliche Familienmitglieder vollziehbar ausreisepflichtig sind, ist es diesen zumutbar, die familiäre Lebensgemeinschaft, so eine solche trotz Scheidung zumindest bezüglich der Kinder noch gegeben sein sollte, im Ausland zu führen. Wird der Antragsteller abgeschoben, kann die familiäre Lebensgemeinschaft durch eine freiwillige Ausreise der Familie jedenfalls zeitnah wiederhergestellt werden. Dem Antragsteller ist insofern zumutbar, die Lebensgemeinschaft und den Umgang mit den Kindern zur Gänze im Ausland zu führen. Anhaltspunkte, weshalb die familiäre Gemeinschaft bzw. der Umgang mit den Kindern nicht auch außerhalb des Bundesgebietes gelebt werden kann, wurden nicht glaubhaft gemacht.
Nach alldem ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.
Hinsichtlich der Ziffer 1) gilt folgende

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