Aktenzeichen 10 CE 18.2177
Leitsatz
1 Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Es kommt darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn eine Hausgemeinschaft zwischen dem Ausländer und seinen Kindern nicht bestanden hat oder besteht, kommt einem regelmäßigen Umgang und der Erbringung von Betreuungs- und Erziehungsleistungen zur Glaubhaftmachung des Vorliegens einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft erhebliche Bedeutung zu. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 24 E 18.3989 2018-09-27 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm eine Duldung auszustellen, weiter.
Der Antragsteller, ein nigerianischer Staatsangehöriger, ist seit dem rechtskräftigen, negativen Abschluss seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Wegen Passlosigkeit bzw. Dokumentenprüfung erhielt er seit dem 22. August 2016 Duldungen. Am 19. Januar 2017 legte er einen Nationalpass vor. Das Asylverfahren hatte er unter einer anderen Identität betrieben.
Am 22. November 2016 erkannte er die Vaterschaft für den am 18. April 2011 in Nigeria geborenen E. und den am 1. August 2016 in München geborenen K. an. Seit 23. Juli 2018 hat er mit der Mutter das gemeinsame Sorgerecht inne.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 kündigte die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Abschiebung nach Nigeria an und setzte ihm eine Ausreisefrist bis 30. Juni 2018.
Der Antragsteller beantragte daraufhin bei der Antragsgegnerin, ihm wegen der familiären Lebensgemeinschaft mit seinen beiden Söhnen eine Duldung auszustellen.
Am 10. August 2018 stellte er beim Bayerischen Verwaltungsgericht München den Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung eine Duldung auszustellen.
Mit Beschluss vom 27. September 2018 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag ab. Ob der Antragsteller der Vater der beiden Kinder sei, könne offen bleiben. Die Kinder seien ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig und nur wegen Passlosigkeit in Besitz einer Duldung. Das Gleiche gelte für die Mutter. Im Übrigen sei auch nicht glaubhaft gemacht, dass zwischen dem Antragsteller und den Kindern eine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bestehe. Im Melderegister sei er als ledig und ohne Familienangehörige eingetragen. Die eidesstattlichen Versicherungen seien substanzlos. Die Trennung des Antragstellers von den Kindern sei weder für ihn noch für diese unzumutbar.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 27. September 2018 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen durchzuführen und wieder eine Duldungsbescheinigung auszustellen.
Zur Begründung bringt er vor, inzwischen habe die Mutter seiner beiden Söhne eine Tochter geboren, die deutsche Staatsangehörige sei. Seine Söhne würden daher zumindest eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erhalten. Sie könnten daher nicht darauf verwiesen werden, die familiäre Lebensgemeinschaft auch außerhalb Deutschlands fortzusetzen. Es könne auch glaubhaft gemacht werden, dass zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern eine familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft bestehe. Es werde auf die eidesstattlichen Versicherungen der Mutter, des Antragstellers und einer Nachbarin verwiesen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller habe keine neuen Gesichtspunkte vorgebracht, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten. Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung seien nicht ausreichend, um von einer tatsächlichen schützenswerten Verbundenheit zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern auszugehen.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens reichte der Antragsteller eine Stellungnahme der Leiterin der Unterkunft, in der die Mutter der Kinder wohnt, sowie eine eidesstattliche Versicherung eines Freundes und mehrere Fotos, die den älteren Sohn bei der Einschulung zeigen, nach.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die vom Antragsteller in seiner Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof in seiner Prüfung beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen es nicht, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Abschiebung des Antragstellers nicht aufgrund von Art. 6 GG rechtlich unmöglich ist (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
Die dagegen im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe greifen nach Auffassung des Senats nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffender Begründung die vom Antragsteller geltend gemachte familiäre Bindung zu seinen Kindern gewürdigt und bei der Interessenabwägung die Bedeutung und Schutzwürdigkeit dieser familiären Beziehung nicht verkannt (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2016 – 10 CS 16.408 – juris; BVerfG, B.v. 22.5.2018 – 2 BvR 941/18 – juris). Das Verwaltungsgericht hat hierbei seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern nicht glaubhaft gemacht wurde. Der Antragsteller hat auch durch die im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht mit einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO genügenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht, dass tatsächlich eine familiäre Lebensgemeinschaft besteht und welche konkreten Betreuungs- und Erziehungsleistungen er erbringt.
Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Hilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (BVerfG, B.v. 9.1.2009 – 2 BvR 1064/08 – FamRZ 2009, 579).
Bei der vorzunehmenden Bewertung der familiären Beziehungen verbietet sich eine schematische Einordnung und Qualifizierung als entweder aufenthaltsrechtlich grundsätzlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft oder Beistandsgemeinschaft oder aber als bloße Begegnungsgemeinschaft ohne aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen, zumal auch der persönliche Kontakt mit dem Kind in Ausübung eines Umgangsrechts unabhängig vom Sorgerecht Ausdruck und Folge des natürlichen Elternrechts und der damit verbundenen Elternverantwortung ist und daher unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG steht. Erforderlich ist daher, dass der Sorgeberechtigte nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seines minderjährigen Kindes übernimmt (BayVGH, B.v. 28.7.2015 – 10 ZB 15.858 – juris Rn. 5). Der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft steht nicht entgegen, dass ein Elternteil nur ausschnittsweise am Leben teilnimmt und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft. Es kommt darauf an, ob die vorhandenen Kontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis zum Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird. Außerdem ist es angemessen zu berücksichtigen, wenn im Falle einer Rückkehr des Vaters in sein Heimatland ein Abbruch des persönlichen Kontakts zu seinem Kind droht und auch dessen finanzielle Versorgung in Frage steht. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der familiären Gemeinschaft und der Zumutbarkeit einer (vorübergehenden) Trennung sowie der Möglichkeit, über Briefe, Telefonate und Besuche auch aus dem Ausland Kontakt zu halten, spielt schließlich das Alter des Kindes eine wesentliche Rolle (BVerfG, B.v. 8.12.2005 – 2 BvR 1001/04 – juris Rn. 37).
Dies zugrunde gelegt, lässt sich auch den im Beschwerdeverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht entnehmen, dass der Antragsteller bislang nach außen erkennbar in ausreichendem Maße Verantwortung für die Betreuung und Erziehung seiner Kinder übernommen hat und dass tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung die Kinder zu ihrem Wohl angewiesen sind. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sind wenig konkret, in sich widersprüchlich und daher auch in ihrer Gesamtheit wenig glaubhaft.
Der Antragsteller selbst trägt in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 15. Oktober 2018 bis auf die allgemeine Bekundung, dass er versuche, jede freie Minute mit seinen Söhnen zu verbringen, nichts Konkretes und Nachprüfbares über die Häufigkeit oder die Intensität des Kontakts zu seinen Söhnen vor. Es fehlen nachvollziehbare Angaben dazu, ab welchem Zeitpunkt eine familiäre Lebensgemeinschaft aufgenommen wurde und wie sich konkret der familiäre Alltag gestaltet hat. Von anderer Seite behauptete Kontakte und Beziehungen, nämlich dass er seine Kinder von der Kinderbetreuung oder der Schule abhole und seine Söhne während der Geburt der Tochter der Lebensgefährtin betreut sowie seine ehemalige Lebensgefährtin finanziell unterstützt habe, erwähnt er selbst nicht einmal. Für den angeblichen Aufenthalt der Kinder und seiner ehemaligen Lebensgefährtin in seiner Unterkunft gibt es z. B. keine Bestätigung des Hausmeisters oder der Unterkunftsleitung. Zudem hat der Antragsteller bei Beantragung seiner Duldung am 22. August 2016 noch nicht einmal angegeben, dass er eine Lebensgefährtin und zwei Söhne hat, obwohl der jüngere Sohn am 1. August 2016 geboren wurde.
Hinsichtlich der eidesstattlichen Versicherung der ehemaligen Lebensgefährtin und Mutter der beiden Söhne ist festzustellen, dass sie sich in ihren eidesstattlichen Versicherungen (vom 13.6.2018 und 15.10.2018) in wesentlichen Punkten widerspricht. Während sich nach den ursprünglichen Angaben die ganze Familie am Wochenende getroffen hat, sollen die Söhne nun zeitweise das Wochenende mit dem Antragsteller allein verbracht und bei ihm auch übernachtet haben. Einerseits soll der Antragsteller seine Söhne fast täglich besuchen, andererseits gibt sie an, dass er das Frauenhaus nicht betreten dürfe. Noch im Juni 2018 erklärte sie, sie wünsche sich nichts sehnlicher als mit dem Antragsteller und den Kindern zusammenzuleben (ihre Tochter aus der anderen Beziehung ist am 11. Mai 2018 geboren), während sie jetzt einräumt, dass sie mit dem Antragsteller schon seit Sommer letzten Jahres nicht mehr zusammen ist. Die abweichenden Erklärungen lassen sich auch nicht, wie vorgebracht, durch bloße Übersetzungsfehler erklären. Ihre Angaben, wonach der Antragsteller seine Söhne aus der Kindertagesstätte und aus der Schule abhole – der Antragsteller selbst gab entsprechendes nicht an – sind nicht durch z. B. Bestätigungen dieser Einrichtungen belegt. Auch bei ihr fehlen konkretere Angaben zur Gestaltung der Beziehung zwischen dem Antragsteller und seinen Söhnen.
Die zuletzt vorgelegte eidesstattliche Versicherung des Freundes des Antragstellers vom 3. Dezember 2018 steht wiederum teilweise in Widerspruch zu den Erklärungen des Antragstellers und der Mutter der Söhne, insbesondere hinsichtlich der Wochenendbesuche der Kinder. Die Mutter bringt vor, dass die Söhne gelegentlich das ganze Wochenende bei ihrem Vater verbringen und gelegentlich auch dort übernachten würden bzw. dass die Familie das Wochenende gemeinsam verbracht habe. Der Freund versichert demgegenüber, dass der Antragsteller am Sonntag nach der Kirche mit den Kindern in seine Wohnung komme, bis er am Abend die Kinder wieder zu ihrer Mutter bringe. Der Antragsteller selbst äußert sich dahingehend, dass sich seine gesamte Familie vor der Trennung von der Lebensgefährtin bei ihm in der Unterkunft aufgehalten habe. Über die Betreuung der Söhne während des „Wochenbetts“ der Mutter kann der Freund nur vom „Hörensagen“ berichten. Auch bleibt unklar, wie er „mitbekommen haben“ will, dass der Antragsteller seine Kinder zusammen mit der Mutter ins Krankenhaus oder zum Arzt gebracht hat.
Die durch Lichtbilder belegten Kontakte zwischen dem Antragsteller und seinen Söhnen sagen nichts über die tatsächliche Erbringung einer Betreuungs- und Erziehungsleistung aus. Die Stellungnahme der Unterkunftsleitung vom 31. Oktober 2018 gibt lediglich wieder, was die Mutter der Söhne berichtet hat. Eigene Wahrnehmungen zum Kontakt des Antragstellers zu den Kindern, z.B. dass er sie in der Unterkunft abgeholt hätte, finden sich darin nicht.
Da eine Hausgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und seinen Söhnen nicht bestanden hat oder besteht, kommt einem regelmäßigen Umgang und der Erbringung von Betreuungs- und Erziehungsleistungen zur Glaubhaftmachung des Vorliegens einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft erhebliche Bedeutung zu. Die vagen und insbesondere teilweise widersprüchlichen Angaben in den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen reichen zur Überzeugung des Senats hierfür nicht aus. Nennenswert zum Unterhalt seiner Kinder beigetragen hat der Antragsteller bislang nicht. Alleine aus einem möglicherweise gesicherten Aufenthaltsstatus der Söhne, der Vaterschaftsanerkennung und dem gemeinsamen Sorgerecht ergibt sich noch keine nach Art. 6 GG schützenswerte Beziehung.
Sollte der Antragsteller im weiteren Verfahren glaubhaft machen bzw. nachweisen können, dass eine familiäre Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen ihm und seinen Söhnen besteht und er einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels hat, wäre er grundsätzlich auf die Durchführung des Visumverfahrens zu verweisen. Hierzu ist der Antragsteller als erfolgloser Asylbewerber grundsätzlich verpflichtet (BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 10 CE 18.1830 – Rn. 5). Allein der Umstand, dass die Familienangehörigen eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssten, würde für eine Unzumutbarkeit auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Familie durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK noch nicht ausreichen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.6.2018 – 10 CE 18.993 – juris Rn. 5; B.v. 21.7.2015 – 10 CS 15.859 u.a. – juris Rn. 67; zum Ehegattennachzug BVerwG, Vorlagebeschluss v. 26.1.2017 – 1 C 1.16 – juris Rn. 36).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).