Aktenzeichen 10 CS 16.2512, 10 C 16.2513
§ 80 Abs. 5 Satz 1, § 113 Abs. 5 Satz 1, § 146 Abs. 4 Satz 6,
VwGO § 166 Abs. 1 Satz 1
§ 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. 2. Alt. AufenthG
Leitsatz
Ein Härtefall iSv § 31 Abs. 2 S. 2 AufenthG setzt nicht voraus, dass der nachgezogene Ehegatte die Unzumutbarkeit der ehelichen Lebensgemeinschaft dadurch dokumentiert, dass er selbst die Lebensgemeinschaft beendet. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
12 S 16/3280 2016-11-09 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Verfahren 10 CS 16.2512 und 10 C 16.2513 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 16.2512 wird zurückgewiesen.
III. Unter Abänderung der Nr. IV. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 9. November 2016 wird der Klägerin und Antragstellerin Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren (M 12 S 16.3280) und das Klageverfahren (M 12 K 16.3239) gegen Ratenzahlung in Höhe von monatlich 33,- Euro bewilligt und Rechtsanwalt R. K.,Bad Aibling, beigeordnet.
IV. Die Antragstellerin und Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens 10 CS 16.2512.
V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 16.2512 wird auf 2.500,- festgesetzt.
Gründe
Mit ihren Beschwerden verfolgt die Antragstellerin und Klägerin (im Folgenden: Antragstellerin) ihre in erster Instanz erfolglosen Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerichteten Klage (1.) sowie auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren M 12 S. 16.3280 und das Klageverfahren M 12 K 16.3239 unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts (2.) weiter.
Die Verbindung der Verfahren 10 CS 16.2512 und 10 C 16.2513 zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 122 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 Satz 1 VwGO.
1. Die zulässige Beschwerde im Verfahren 10 CS 16.2512 bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht beschränkt ist, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit der Begründung abgelehnt, der Antragstellerin stehe kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG zu. Von der Voraussetzung des dreijährigen rechtmäßigen Bestandes der ehelichen Lebensgemeinschaft könne in ihrem Fall nicht gemäß § 31 Abs. 2 AufenthG abgesehen werden; insbesondere liege keine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. 2. Alt. AufenthG vor. Gegen eine besondere Härte in diesem Sinn spreche indiziell, dass zunächst der Ehegatte der Antragstellerin die Ehe für gescheitert erklärt und die Scheidung beantragt habe. Eine solche Härte sei nicht aufgrund der von der Antragstellerin angegebenen körperlichen und psychischen Misshandlungen durch ihren früheren Ehemann anzunehmen. Ein Nachweis häuslicher Gewalt oder sexuellen Missbrauchs lasse sich nicht erbringen. Bei zentralen Punkten des von der Antragstellerin als unzumutbar empfundenen Verhaltens ihres früheren Ehemanns stünde Aussage gegen Aussage. Die Angaben der Antragstellerin in den zahlreichen polizeilichen Vernehmungen wichen insoweit teilweise stark voneinander ab. Auch aus den vorgelegten SMS, die zwar Kränkungen und Beleidigungen enthielten, würden sich keine bedrohlichen Inhalte ergeben. Eine besondere Härte ergebe sich schließlich nicht aus der Verurteilung des Ehemanns wegen Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs der Antragstellerin durch die Veröffentlichung von zwei Nacktfotos der Antragstellerin im Internet. Denn insofern fehle es an der erforderlichen Erheblichkeit der nachgewiesenen Straftat. Gegen eine Unzumutbarkeit des Festhaltens an der Lebensgemeinschaft spreche neben der geringen Strafe des Ehemanns (Geldstrafe von 30 Tagessätzen), dass die Antragstellerin nach der Veröffentlichung dieser Fotos wieder zu ihrem Ehegatten in die Wohnung zurückgekehrt sei und eine Ehegattenerklärung unterschrieben habe.
Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen vorbringt, die vorgelegten SMS und zahlreiche ähnlich geartete Kurznachrichten sowie die Verurteilung wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder und der Verbreitung von Nacktbildern der Klägerin offenbarten Charakterzüge des geschiedenen Ehemanns, aus denen sich die psychische Belastung der Antragstellerin während der Ehe objektiv nachvollziehen lasse, und reichten über normale Trennungsgründe wie in einer gescheiterten Ehe vorkommende Meinungsverschiedenheiten oder Kränkungen weit hinaus, rechtfertigt dies keine Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts.
Denn das Verwaltungsgericht hat mit Blick auf den Zweck dieser Bestimmung, den nachgezogenen Ehegatten nicht auf Gedeih und Verderb zur Fortsetzung einer unerträglichen Lebensgemeinschaft zu zwingen (vgl. etwa Tewocht in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand 1.11.2016, § 31 Rn. 22), zu Recht und von der Antragstellerin unwidersprochen insbesondere darauf verwiesen, dass diese auch nach der Veröffentlichung dieser Bilder im März 2013 wieder zu ihrem Ehegatten in die Wohnung zurückgekehrt ist und eine Ehegattenerklärung unterschrieben hat. Ebenfalls zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass sich aus den vorliegenden SMS ungeachtet ihres kränkenden oder beleidigenden Inhalts keine Drohungen ergeben, die die Unzumutbarkeit des Festhaltens an der Ehe für die Antragstellerin begründen könnten.
Im Übrigen hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats für einen Härtefall im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. 2. Alt. AufenthG nicht vorausgesetzt, dass der nachgezogene Ehegatte (die Antragstellerin) die Unzumutbarkeit der ehelichen Lebensgemeinschaft dadurch dokumentiert, dass er selbst die Lebensgemeinschaft beendet. Vielmehr hat es diesen Umstand im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände nur als ein Indiz dafür gewertet (vgl. BayVGH, B.v 17.1.2014 – 10 ZB 13.1783 – juris Rn. 4), dass ihr die Aufrechterhaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht unzumutbar war.
2. Die Beschwerde, mit der sich die Antragstellerin gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage und das diesbezügliche Eilverfahren ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts wendet, ist dagegen begründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegen Ratenzahlung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1, § 115 ZPO und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO liegen bezüglich beider Verfahren vor.
Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin, die nach der vorgelegten Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nur in Raten aufbringen kann, bietet zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 10.2.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn. 3 m.w.N.) im Klagewie im Eilverfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bewilligungs- oder Entscheidungsreife tritt regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie nach einer Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO; BayVGH, B.v. 10.2.2016 a.a.O.) ein, also im vorliegenden Fall jedenfalls mit Eingang der Erwiderung der Antragsgegnerin beim Verwaltungsgericht am 18. August 2016. Zum danach maßgeblichen Zeitpunkt haben die Klage und der Eilantrag hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil offen ist, ob die Ablehnung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG nicht infolge eines entsprechenden Anspruchs der Antragstellerin rechtswidrig und die Antragstellerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Verfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen; das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr des BVerfG, vgl. z.B. B.v. 8.7.2016 – 2 BvR 2231/13 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Beschluss das Vorliegen einer besonderen Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. 2. Alt. AufenthG bei der Antragstellerin aufgrund der von ihr beschriebenen körperlichen und psychischen Misshandlungen durch ihren Ehemann vor allem deshalb verneint, weil bei diesbezüglichen zentralen Fragen Aussage gegen Aussage stehe, ein dahingehendes Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei, die Angaben der Antragstellerin in polizeilichen Vernehmungen teilweise stark voneinander abwichen und der Ehemann ihr in vielen zentralen Punkten diametral widersprochen habe.
Damit werden vom Erstgericht aber letztlich Beweiswürdigungen vorweggenommen und bislang ungeklärte Tatfragen im Verfahren der Prozesskostenhilfe entschieden, die bei einer Beweisaufnahme insbesondere durch die Einvernahme der Antragstellerin und möglicher Zeugen (der geschiedene Ehemann, gegebenenfalls die im Ermittlungsverfahren vernommene Zeugin H.) und einer Klärung in dem dafür vorgesehenen Hauptsacheverfahren in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden könnten.
Von einer Darstellung der für die Festsetzung der Monatsraten gemäß § 115 ZPO durchgeführten Berechnung wird im Hinblick auf § 127 Abs. 1 Satz 3 ZPO abgesehen.
Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren 10 CS 16.2512 folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Kostenentscheidung im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren 10 C 16.2513 bedarf es nicht. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Kostenerstattung ist sowohl für das Bewilligungsals auch für das Beschwerdeverfahren ausgeschlossen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 und § 127 Abs. 4 ZPO).
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren 10 CS 16.2512 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).