Verwaltungsrecht

Ein Zweitantrag setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus

Aktenzeichen  Au 7 S 17.30833

Datum:
13.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1, Art. 34

 

Leitsatz

§ 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus, so dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen; bloße Mutmaßungen genügen nicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az.: Au 7 K 17.30832) gegen die in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. Februar 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) angedrohte Abschiebung nach Nigeria.
Der Antragsteller ist eigenen Angaben zufolge nigerianischer Staatsangehöriger, vom Volk der Ibo und christlichen Glaubens. Er reiste nach eigenen Angaben am 30. April 2014 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 12. Mai 2014 beim Bundesamt einen Asylantrag.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 12. Mai 2014 zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats gab der Antragsteller u.a. an, er habe im Mai 2011 in Italien einen Asylantrag gestellt. Er habe eine einjährige Aufenthaltsgenehmigung bekommen, die jeweils im Mai 2012 und Mai 2013 um ein Jahr verlängert wurden.
Eine EURODAC-​Abfrage ergab am 13. Juni 2014 einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 (*) für Italien. Das am 2. Juli 2014 an Italien gerichtete Wiederaufnahmegesuch, gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin III-VO), haben die italienischen Behörden nicht beantwortet. Nachdem es dem Bundesamt nicht möglich war, die sechsmonatige Überstellungsfrist einzuhalten, wurde die Entscheidung über den Asylantrag des Antragstellers ins nationale Verfahren übernommen.
Am 18. Januar 2017 erfolgte die persönliche Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt. Er gab u.a. an, dass er am 3. Mai 2009 sein Heimatland verlassen habe. Von 2009 bis 2011 sei er in Libyen gewesen und von 2011 bis 2014 in Italien. Sein in Italien gestellter Asylantrag sei im Jahr 2012 abgelehnt worden. Er habe sich dann einen Rechtsanwalt genommen und in Italien ein einjähriges Aufenthaltsrecht erhalten, das dann nicht mehr verlängert worden sei. Da er in Italien keine Arbeit gehabt habe, sei er nach Deutschland gekommen.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 7. Februar 2017, zur Post gegeben am 9. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziff. 1 des Bescheids) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2 des Bescheids). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Nigeria aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4 des Bescheids).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem Antrag des Antragstellers um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG handle. Der Antragsteller habe nicht konkret dargelegt, wie das Asylverfahren im Mitgliedstaat ausgegangen sei. Sei das Asylverfahren noch offen oder lägen keine Erkenntnisse über den Verfahrensstand vor, sei von einer sonstigen Entscheidung ohne Schutzgewährung auszugehen. Wiederaufgreifensgründe lägen nicht vor. Es habe sich weder die Sach-, noch die Rechtslage geändert. Auch konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG seien in Bezug auf das Heimatland nicht vorgetragen oder ersichtlich. Ergänzend wird auf die Begründung im Bescheid verwiesen.
Ebenfalls am 7. Februar 2017 stellte das Bundesamt hinsichtlich des Antragstellers ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Dublin III-VO an Italien, betreffend den Aufenthaltstitel, den Antrag auf internationalen Schutz sowie die Entscheidung. Als Zweck der Anfrage wurde „Prüfung eines Zweitantrags“ angegeben.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers erhob am 17. Februar 2017 Klage und beantragte die Aufhebung des Bescheids vom 7. Februar 2107 (Verfahren Au 7 K 17. 30832).
Zudem wurde der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gestellt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, es sei Aufgabe des Bundesamts zu prüfen, ob die Voraussetzungen für einen Zweitantrag vorlägen. Aus dem Bescheid gehe nicht hervor, dass das Bundesamt die Voraussetzungen für einen Zweitantrag geprüft hätte oder dass das Asylverfahren in Italien erfolgreich gewesen wäre.
Am 23. Februar 2017 legte das Bundesamt die Behördenakten elektronisch vor; eine Antragstellung unterblieb.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll.
Die Antragstellung erfolgte auch fristgerechnet innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
2. Der Antrag ist auch begründet.
Gemäß §§ 71a Abs. 4 i.V.m. 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrages, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99). Dies ist hier im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, den von dem Antragsteller im Bundesgebiet gestellten Antrag als unzulässigen Zweitantrag zu bewerten, rechtmäßig ist.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen; andernfalls ist der Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig zurückzuweisen.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22 ff.; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24 ff.). Hierbei muss – entgegen der im streitgegenständlichen Bescheid ersichtlichen Auffassung der Antragsgegnerin – der vorangegangene negative Ausgang eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt werden und feststehen; bloße Mutmaßungen genügen nicht (Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 71a AsylG, Rn. 3 und 9 m.w.N.). Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, um sich in der Folge auf die Prüfung von Wiederaufnahmegründen beschränken zu dürfen. Eine solche Prüfung beinhaltet unter anderem, dass das Bundesamt Kenntnis von der Entscheidung und den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedsstaat hat (vgl. VG München B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris; VG Regensburg, B.v.12.10.2016 – RN 7 S. 16.32477 – unveröffentlicht; VG Schleswig-Holstein, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7 ff.; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 – juris Rn. 18; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20, BeckOK AuslR/Schönenbroicher, AsylG, § 71a Rn. 1f.).
In der vorgelegten Behördenakte ist ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Italien dokumentiert. Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung angegeben, dass sein Asylantrag in Italien abgelehnt worden und ihm ein einjähriger Aufenthaltstitel erteilt worden sei, der anschließend zwei Mal, jeweils um ein Jahr, verlängert worden sei. Lediglich der Verweis auf diese Angaben des Antragstellers bezüglich eines erfolglosen Ausgangs eines Asylverfahrens in einem Mitgliedstaat genügt aber für die Anwendung des § 71a AsylG nicht. Der Antragsteller ist auch in der Regel nicht in der Lage, über den Verfahrensablauf ausreichend Auskunft geben zu können (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 22). Selbst bei unterstelltem Asylantrag bleibt offen, ob in Italien ein Asylverfahren mit inhaltlicher Prüfung und abschließender Sachentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris) durchgeführt wurde und ob gegebenenfalls die Möglichkeit der Wiederaufnahme insbesondere hinsichtlich möglicher neuer Beweismittel besteht. Die fehlende Aufklärung geht zu Lasten der Antragsgegnerin (vgl. BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 41). Dass aber auch die Antragsgegnerin augenscheinlich davon ausgeht, dass sie weitere Erkenntnisse über das Asylverfahren und dessen Abschluss in Italien einholen muss, zeigt ihre sog. Info-Request-Anfrage vom 7. Februar 2017 an Italien gemäß Art. 34 Abs. 1 und 2 der Dublin III-VO. Nach Aktenlage haben die italienischen Behörden diese Anfrage bisher nicht beantwortet, jedenfalls hat das Bundesamt bis zum Zeitpunkt dieser Entscheidung dem erkennenden Gericht keine weiteren Informationen der italienischen Behörden zum dort betriebenen Asylverfahren des Antragstellers übermittelt. Damit ist davon auszugehen, dass weitere Erkenntnisse derzeit nicht vorliegen.
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dem Antrag war daher unter der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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