Verwaltungsrecht

Ein Zweitantrag setzt den nachgewiesenen erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus

Aktenzeichen  M 25 S 17.38595

Datum:
10.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 26a, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34 Abs. 1, § 36 Abs. 4 S. 1, § 71a Abs. 4
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 34

 

Leitsatz

§ 71a AsylG setzt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus, d.h. der Asylantrag muss entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. der gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden sein (BVerwG BeckRS 2016, 111567). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers im Verfahren M 25 K 17.38593 gegen die im Bescheid des Bundesamts für … vom 24. April 2017 in Nr. 3 verfügte Androhung der Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die vom Bundesamt für … (Bundesamt) angedrohte Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo.
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo und stellte am 14. August 2013 in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag. Laut Aktenvermerk der Beklagten vom 22. August 2013 ergab eine Eurodac-Auswertung einen Treffer der Kategorie 1 hinsichtlich Ungarns. Auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin vom 20. Dezember 2013 teilte die ungarische Dublin-Behörde am 3. Januar 2014 mit, dass der Asylantrag des Antragstellers vom 11. Juli 2017 am 29. November 2013 abgelehnt worden sei. In der Zwischenzeit sei der Antragsteller verschwunden.
Bei seiner Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats für das Asylverfahren am 10. März 2014 gab der Antragsteller an, auf dem Landweg über Ungarn und Österreich kommend in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Er habe am 10. Juli 2013 in Ungarn Asyl beantragt.
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 27. März 2016 zur Asylfolgeantragstellung gab der Kläger an, er wisse nicht, ob man seinen Asylantrag in Ungarn abgelehnt habe und er habe keinen Brief erhalten, da er Ungarn zuvor verlassen habe. Seine Anhörung sei im Jahr 2013 im Winter erfolgt. In Deutschland halte er sich seit Anfang September 2013 auf, er könne sich keine Daten merken.
Mit Bescheid vom 24. April 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung in die Demokratische Republik Kongo aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem Antrag des Antragstellers um einen Zweitantrag nach § 71a AsylG handle, ein Asylverfahren sei nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht durchzuführen. Wiederaufgreifensgründe für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 51 VwVfG lägen nicht vor. Auch konkrete individuelle Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Aufenthaltsgesetz seien in Bezug auf das Heimatland nicht gegeben. Die Abschiebung werde nach § 71 Abs. 4 i.V.m. § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Aufenthaltsgesetz angedroht. Die Ausreisefrist von einer Woche ergebe sich aus § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG.
Mit Schriftsatz vom 27. April 2017, bei Gericht am selben Tag eingegangen, ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 24. April 2017 (M 25 K 17.38593) erheben und mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers anzuordnen.
Zur Begründung wurde Bezug genommen auf den Vortrag des Antragstellers im Verwaltungsverfahren.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakte in elektronischer Form vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auch der des Hauptsacheverfahrens und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat Erfolg. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist anzuordnen.
1. Der Antrag ist zulässig, soweit damit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 75 i.V.m. §§ 71a Abs. 4, 36 AsylG) sofort vollziehbare Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids erreicht werden soll. Der Antrag wurde auch innerhalb der gesetzlichen Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die von der Antragsgegnerin gewählte Vorgehensweise, den vom Antragsteller Bundesgebiet gestellten Antrag als unzulässigen Zweitantrag abzulehnen, rechtmäßig ist.
Gemäß § 71a Abs. 4 i.V,m, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1615/93 – juris Rn. 99). Dies ist im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) der Fall.
Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; andernfalls ist der Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig zurückzuweisen.
§ 71a AsylG setzt damit den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat voraus (vgl. BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 – juris Rn. 24, bestätigt durch BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22). Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahren setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. die der gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist (BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 29).
Der Antragsgegnerin liegt die Mitteilung der ungarischen Dublin-Behörde vor, dass der Asylantrag des Klägers in Ungarn vom 11. Juli 2013 am 29. November 2013 abgelehnt wurde. Aus dieser Mitteilung ergibt sich nicht, ob diese Entscheidung rechtskräftig ist.
Insbesondere im Hinblick auf die Regelungen zum Informationsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten in Art. 34 Dublin III-VO hat es die Antragsgegnerin bislang versäumt, die notwendigen Tatsachen über den Abschluss des Asylverfahrens in Ungarn zu ermitteln. Die Antragsgegnerin ist nach Auffassung des Gerichts bei summarischer Prüfung diesbezüglich ihrer Amtsermittlungspflicht nicht vollständig nachgekommen. Die (noch) fehlende Aufklärung geht im Eilverfahren deshalb zulasten der Antragsgegnerin.
Ein erfolgloser Abschluss des Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat ist somit nicht hinreichend nachgewiesen, so dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids bestehen.
Dementsprechend war die aufschiebende Wirkung der Klage in Bezug auf die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
3. Die Antragsgegnerin trägt als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO). Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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