Aktenzeichen Au 2 S 17.30752
Leitsatz
1 Mit § 71a AsylG hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist (ebenso BVerwG BeckRS 2016, 111567). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Anwendung des § 71a AsylG setzt insbesondere voraus, dass das Bundesamt sich im Zuge der nach § 24 VwVfG gebotenen Amtsermittlung Kenntnis von den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedstaat verschafft hat; denn nur so kann das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen iSv § 51 VwVfG beurteilt werden (redaktioneller Leitsatz)
3 Kann das Bundesamt trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherten Erkenntnisse über den Ausgang des Erstverfahrens erlangen, muss es dem jeweiligen Antragsteller entsprechend den europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- bzw. Zweitantrag behandelt wird. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. Au 2 K 17.30751) gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 8. Februar 2017 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
1. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am … 1970 geboren und pakistanischer Staatsangehöriger. Er wurde am 8. November 2013 in … als Asylsuchender registriert.
Der Antragsteller stellte am 18. November 2013 einen förmlichen Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei legte der Antragsteller u.a. ein belgisches Personaldokument für Asylbewerber vom 29. Januar 2013 vor (Gültigkeit: bis 1.3.2013).
Im Rahmen einer Anhörung bei der Regierung von … vom 20. November 2013 gab der Antragsteller u.a. an, dass er 2009 in Brüssel (Belgien) einen Asylantrag gestellt habe, der abgelehnt worden sei. Ein eingelegter Rechtsbehelf hiergegen sei erfolglos gewesen. Er habe sodann eine Aufforderung erhalten, Belgien zu verlassen.
Im Rahmen einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 15. April 2016 gab der Antragsteller u.a. an, zum Stamm der Memon zu gehören, am 7. April 2009 nach Belgien eingereist zu sein und dort einen Asylantrag gestellt zu haben. Dieser sei 2013 endgültig abgelehnt worden, die belgischen Behörden hätten den Antragsteller aufgefordert, das Land zu verlassen. In Pakistan sei er zuletzt wohnhaft in der Stadt … gewesen. Grund für die Ausreise aus Pakistan sei gewesen, dass er in … in drei Organisationen aktiv gewesen sei. Hier sei zum einen die Organisation „Cutchi Memon Jamaat Gari Khata“ (Zweck: Sozialarbeit; Funktion Antragsteller: „Joint Sekretär“) zu nennen, daneben die Organisation „Dargah Hazrat Bachal Shah“ (Zweck: Unterhaltung eines Grabmals der gleichnamigen verstorbenen Person; Funktion Antragsteller: „Bürosekretär“) sowie die vom Antragsteller selbst gegründete „Rawara Group“. Daneben sei er Mitglied der Partei MQM. Wegen eines Streits um den Fortbestand der Benennung einer Straße nach „Dargah Hazrat Bachal Shah“ habe ein von 2001-2005 amtierender Bürgermeister der Partei PTI („Fried Khan“) Anzeige gegen den Antragsteller und zwei seiner Mitstreiter wegen versuchten Mordes erstattet. Der Bürgermeister hätte eine Straße nach seinem Vater benannt, der Antragsteller und seine Gruppe hätten daraufhin das neue Schild entfernt und ein Schild mit dem bisherigen Namen aufgestellt. Aufgrund der polizeilichen Anzeige aus dem Jahr 2007 sei der Antragsteller sodann im Jahr 2010 wegen des Austausches des Straßenschildes von einem Gericht zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Von 2007-2009 habe er sich in … versteckt, unterstützt von Freunden und Mitgliedern seiner Gruppierung. Schließlich sei er im April 2009 über … nach … (…) geflogen, von dort sei er mit dem Taxi weiter nach … (…). Die pakistanische Regierung verfolge überdies seit 2013 in der Stadt … Mitglieder der MQM, hier werde insbesondere eine Spezialeinheit der Sicherheitskräfte namens „Ranger“ tätig. Der Antragsteller gab zudem an, unter Seh- und Gehörbeschwerden zu leiden. Diese hätten ihre Ursache aus religiösen Streitigkeiten zwischen der Gruppe der Barelwie, zu denen der Antragsteller zähle, und der andersgläubigen Gruppe der Devo Bandi; er sei von Mitgliedern letzterer Gruppe in Pakistan geschlagen worden.
Im Rahmen der Anhörung legte der Antragsteller Unterlagen zu seinen Aktivitäten in den genannten Organisationen in Pakistan vor. Ferner legte er die Kopie eines Schreibens eines Rechtsanwalts aus … vom 11. März 2014 vor, das abstrakt zu den rechtlichen Möglichkeiten des Antragstellers Stellung nimmt, mit den nach Angaben des Antragstellers in … gegen ihn anhängigen Gerichtsverfahren umzugehen. Daneben wurde eine Kopie eines Dokuments eines pakistanischen Gerichts vom 18. Januar 2010 vorgelegt, nach dem der Vollzug eines Haftbefehls gegen den Antragsteller nicht möglich gewesen sei, da dieser unbekannten Aufenthalts sei; der Haftbefehl werde aufrechterhalten, das Eigentum des Antragstellers beschlagnahmt. Im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt legte der Antragsteller ferner ein Attest zweier Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie vom 27. Januar 2015 vor. Hiernach befinde sich der Antragsteller in ambulanter neurologisch-psychiatrischer Behandlung. Es bestehe eine rezidivierende depressive Störung. Unter medikamentöser Behandlung und suppurativen Gesprächen sei es in den letzten Monaten immer wieder zu einer recht guten Stimmungsaufhellung beim Antragsteller gekommen. Der Antragsteller habe sodann zuversichtlicher in die Zukunft geblickt und sei auch aktiver geworden. Die Störung werde auch dadurch unterhalten, dass sich der Antragsteller hinsichtlich seines Aufenthalts in Deutschland in einer unsicheren Situation befinde.
Mit Schreiben vom 22. April 2016 teilten die belgischen Behörden dem Bundesamt auf Nachfrage mit, dass der Antragsteller am 7. April 2009 einen Asylantrag in Belgien gestellt habe. Dieser sei mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 abgelehnt worden. Ein Rechtsbehelf hiergegen sei am 11. Januar 2010 zurückgewiesen worden. Bereits am 18. November 2009 habe der Antragsteller einen Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis aus medizinischen Gründen gestellt; dieser Antrag sei am 27. März 2013 abgelehnt worden, der Antragsteller sei aufgefordert worden, Belgien zu verlassen.
Ausweislich eines vorgelegten ärztlichen Attests eines Hals-Nasen-Ohrenarztes vom 19. April 2016 leide der Antragsteller an einer linksbetonten Schwerhörigkeit sowie einer ausgeprägten Schwerhörigkeit links. Der Antragsteller sei wohl 2006 in Pakistan misshandelt worden. 2010 sei eine Hörgerätversorgung in Belgien erfolgt. Bei der nunmehr durchgeführten Kontrolluntersuchung sei keine relevante Verschlechterung festzustellen gewesen. Mit einer Besserung sei definitiv nicht zu rechnen. Einen vergleichbaren Befund enthielt bereits ein vorgelegtes Attest desselben Hals-Nasen-Ohrenarztes vom 5. Dezember 2013.
Ausweislich eines vorgelegten Attests eines Augenarztes vom 26. April 2016 bestehe beim Antragsteller eine beidseitige Myopie (Kurzsichtigkeit) kombiniert mit Astigmatismus (Hornhautverkrümmung). Die Sehschärfe betrage rechts 0,5 und links 1,0 (jeweils in der Ferne). Der Visus in der Nähe betrage rechts 0,5 und links 1,0. Es bestehe schon immer eine sog. Amblyopie (relative Sehschwäche), der sonstige organische Augenbefund sei beidseits regelgerecht.
Mit mehreren Schreiben vom 24. Mai 2016 teilte der Antragsteller dem Bundesamt zur Korrektur des übersandten Anhörungsprotokolls u.a. mit, dass er richtigerweise der MQM (Altaf Hussain Group) angehöre, die in Pakistan seit September 2013 Ziel von Ranger-Operationen der Regierung sei. Der Name der von ihm gegründeten Gruppe laute zudem richtigerweise „Zia Rawra Group“. Der Mann namens „…“ (Sohn von …) sei richtigerweise derzeit ein „Counselor“ (gemeint wohl: Stadtrat) in, wie auch bereits von 2001-2005. Die pakistanische Gruppe, die ihm die Verletzungen zugefügt habe, die zu seinen Seh- und Gehörbeschwerden geführt habe, heiße richtigerweise „Deobandi“ und stehe in Verbindung zur Awami National Party. In diesem Rahmen legte der Antragsteller zahlreiche pakistanische Dokumente und Zeitungsausschnitte – überwiegend auf Urdu – sowie Lichtbilder jeweils in Kopie vor. Ebenfalls wurden Kopien von Bescheinigungen zur Bestätigung der Aktivitäten in Organisationen in … vorgelegt.
Einem Vermerk des Bundesamts vom 19. Juli 2016 ist zu entnehmen, dass im Fall des Antragstellers kein Dublin-Verfahren durchzuführen sei, da die maßgeblichen Fristen der Dublin-III-Verordnung abgelaufen seien. Es sei eine Entscheidung im nationalen Verfahren zu treffen.
2. Das Bundesamt lehnte sodann den Antrag des Antragstellers mit Bescheid vom 7. Februar 2017 – dem Antragsteller übermittelt mit Schreiben vom 8. Februar 2017 – als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Pakistan wurde angedroht (Nr. 3). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Asylantrag des Antragstellers unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens in Deutschland nicht vorlägen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i.V.m. § 71a AsylG und § 51 VwVfG). Der Asylantrag in Deutschland vom 18. November 2013 sei als Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylG anzusehen, da der Antragsteller bereits in einem sicheren Drittstaat erfolglos ein Asylverfahren betrieben habe. Insoweit wurde auf die Mitteilung der belgischen Behörden vom 22. April 2016 verwiesen. Wiederaufgreifensgründe i.S.v. § 51 VwVfG seien im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Insbesondere habe der Antragsteller im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt angegeben, die gleichen Asylgründe wie in Belgien vorzutragen. Im Kern beziehe sich der Antragsteller insoweit weiterhin auf eine Auseinandersetzung seiner Rawara-Gruppierung mit einem Lokalpolitiker in … um ein Straßenschild, weswegen er im Jahr 2010 zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden sei. Belege hierfür seien jedoch nicht vorgelegt worden. Die gesundheitlichen Beschwerden des Antragstellers seien zudem nicht derart erheblich, dass sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnten.
3. Hiergegen hat der Antragsteller am 14. Februar 2017 Klage erhoben (Az. Au 2 K 17.30751), über die noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig beantragt er (sinngemäß),
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 3 des Bescheids des Bundesamts vom 8. Februar 2017 anzuordnen.
4. Am 22. Februar 2017 übermittelte das Bundesamt dem Gericht die elektronische Behördenakte. Ein Antrag wurde nicht gestellt.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig.
Der Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO richtet sich bei Auslegung des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers nach § 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids (vgl. § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 AsylG). Der so verstandene Antrag ist zulässig, da nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG Klagen gegen ablehnende Asylentscheidungen nur im Falle einer einfachen Ablehnung i.S.v. § 38 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben. Dies ist somit bei dem als unzulässig i.S.v. § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG abgelehnten Asylantrag des Antragstellers nicht der Fall.
Das Gericht geht gemäß § 122 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 88 VwGO in sachgerechter Auslegung des Antrags überdies davon aus, dass sich der Eilantrag nicht gegen das auf § 11 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthalts- und Einreiseverbot nach der Abschiebung (Nr. 4 des Bescheids) richtet. Ein derartiger Antrag wäre mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. NdsOVG, B.v. 14.12.2015 – 8 PA 199/15 – juris Rn. 5; VG München, B.v. 10.6.2016 – M 4 S. 16.31042 – juris Rn. 14).
Der Antrag wurde auch rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG gestellt.
2. Der Antrag ist auch begründet.
a) Gegenstand des gerichtlichen Eilverfahrens ist die Abschiebungsandrohung als aufenthaltsbeendende Maßnahme, beschränkt auf die Frage ihrer sofortigen Vollziehbarkeit. Die sofortige Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässigen Zweitantrag und ist deren Folge. Anknüpfungspunkt der gerichtlichen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes muss daher die Frage sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht als unzulässigen Zweitantrag abgelehnt hat, ohne dass deshalb der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. zum Ganzen: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. – juris Rn. 93 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
Im Falle einer Ablehnung des Asylantrags und des Antrags auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft als unzulässige Zweitanträge darf gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 71a Abs. 4 AsylG und § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/189 ff. – juris Rn. 99 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamts, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung aus § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur Rechtslage nach dem dem Abschiebungsverbot gemäß § 60 AufenthG entsprechenden § 51 AuslG 1990: BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221; vgl. zum Ganzen: VG München, B.v. 5.7.2016 – M 16 S. 16.31362 – juris Rn. 15 – zur Ablehnung als offensichtlich unbegründet).
b) Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze bestehen vorliegend ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamts hinsichtlich der Ablehnung des gegenständlichen Antrags als unzulässigen Zweitantrag i.S.v. § 71a AsylG.
Ein Asylantrag ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG u.a. unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Stellt der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag), so ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.
Mit § 71a AsylG hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 25)
Vorliegend durfte das Bundesamt voraussichtlich nicht von einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG ausgehen.
aa) Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann; ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 29-37; BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 24 f.).
Der „erfolglose Abschluss des Asylverfahrens“ in einem anderen Mitgliedstaat muss überdies zur Anwendung des § 71a Abs. 1 AsylG gesichert feststehen. Bloße Mutmaßungen bzw. Vermutungen einer konkludenten Antragsrücknahme durch Ausreise aus dem anderen Mitgliedstaat genügen insoweit nicht. Angaben des Ausländers selbst zum Verlauf des in einem anderen Mitgliedstaat durchführten Asylverfahrens stellen in aller Regel keine hinreichend verlässliche Tatsachenbasis für eine Zulässigkeitsentscheidung nach § 71a AsylG dar. Ist dem Bundesamt der aktuelle Stand des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat nicht bekannt bzw. fehlen Kenntnisse darüber, ob überhaupt ein Verfahren einem anderen Mitgliedstaat betrieben wurde oder wird, muss es diesbezüglich daher zunächst von Amts wegen weitere Ermittlungen anstellen (vgl. § 24 VwVfG). Kann das Bundesamt trotz aller möglichen und zumutbaren Ermittlungen keine gesicherten Erkenntnisse über den Ausgang des Erstverfahrens erlangen, muss es dem jeweiligen Antragsteller entsprechend den europarechtlichen Vorgaben die Möglichkeit einräumen, das Verfahren fortzuführen, ohne dass es als Folge- bzw. Zweitantrag behandelt wird; dies folgt aus Art. 28 Abs. 2 UAbs. 1 EU-Asylverfahrensrichtlinie und Art. 18 Abs. 2 UAbs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 22; OVG NW, U.v. 16.9.2015 – 13 A 2159/14.A – juris Rn. 141 f.; VG Regensburg, B.v. 3.11.2016 – RN 7 S. 16.32724 – juris; VG Schleswig, B.v. 14.9.2016 – 1 B 50/16 – juris Rn. 16; VG Schwerin, U.v. 8.7.2016 – 15 A 190/15 As – juris Rn. 20; VG Wiesbaden, B.v. 20.6.2016 – 5 L 511/16.WI.A – juris Rn. 20; VG Leipzig, B.v. 17.6.2016 – 5 L 224/16.A – juris Rn. 22; VG Augsburg, U.v. 10.5.2016 – Au 7 K 16.30181 – Rn. 30 und 36 des Entscheidungsumdrucks; VG Ansbach, U.v. 7.1.2016 – AN 3 K 15.30960 – juris Rn. 33 f.; U.v. 29.9.2015 – AN 3 K 15.30829 – juris Rn. 23; B.v. 16.6.2015 – AN 4 S. 15.30850 – juris Rn. 31; VG Lüneburg, B.v. 11.5.2015 – 2 B 13/15 – juris Rn. 9-17; VG Osnabrück, B.v. 24.4.2015 – 5 B 125/15 – juris Rn. 3-11; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 71a Rn. 14; Bruns in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 9; Schönenbroicher in: Beck-OK AuslR, Stand: 15.8.2016, § 71a AsylG Rn. 2).
Die Anwendung des § 71a AsylG setzt insbesondere voraus, dass das Bundesamt sich im Zuge der nach § 24 VwVfG gebotenen Amtsermittlung Kenntnis von den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedstaat verschafft hat; denn nur so kann das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen i.S.v. § 51 VwVfG beurteilt werden (vgl. VG Greifswald, B.v. 24.2.2017 – 4 B 41/17 As HGW – juris Rn. 18; VG Dresden, B.v. 13.1.2017 – 3 L 7/17.A – juris Rn. 15; VG München, B.v. 3.1.2017 – M 23 S. 16.34080 – juris Rn. 19; B.v. 27.12.2016 – M 23 S. 16.33585 – juris Rn. 19 unter Bezugnahme auf VG Regensburg, B.v. 12.10.2016 – RN 7 S. 16.32477 – unveröffentlicht; VG Augsburg, B.v. 19.10.2016 – Au 3 S. 16.31954 – Rn. 22 des Entscheidungsumdrucks; U.v. 10.5.2016 – Au 7 K 16.30181 – Rn. 30 des Entscheidungsumdrucks; VG Gelsenkirchen, B.v. 17.10.2016 – 2a L 2399/16.A – juris Rn. 8; VG Magdeburg, U.v. 26.9.2016 – 9 A 764/15 – juris Rn. 25; VG Schleswig, B.v. 7.9.2016 – 1 B 54/16 – juris Rn. 7; VG Ansbach, U.v. 26.7.2016 – AN 3 K 15.31264 – juris Rn. 39; U.v. 7.1.2016 – AN 3 K 15.30960 – juris Rn. 30; VG Göttingen, B.v. 8.6.2015 – 2 B 115/15 – juris Rn. 8; VG Lüneburg, B.v. 11.5.2015 – 2 B 13/15 – juris Rn. 10; VG Stade, B.v. 3.3.2015 – 3 B 256/15 – BeckOnline; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 71a Rn. 17; Schönenbroicher in BeckOK AusländerR, Stand: 1.11.2016, § 71a AsylG Rn. 2). Allein der Umstand, dass der Erfolg weiterer Ermittlungsmaßnahmen von der Mitwirkung ausländischer Behörden abhängt, begründet für sich genommen noch keine Unzumutbarkeit im Rahmen einer gebotenen Amtsermittlung (vgl. BVerwG, B.v. 18.2.2015 – 1 B 2/15 – juris Rn. 4 – zur Ermittlung des Inhalts von Asylentscheidungen anderer Mitgliedstaaten).
Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG ist der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs nach der Dublin-III-VO. Denn dem unionsrechtlichen Zuständigkeitsübergang infolge einer Fristversäumung ist immanent, dass der zuständig gewordene Mitgliedstaat das Verfahren in dem Stadium übernimmt, den es zum Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs erreicht hatte (vgl. zum Ganzen: BayVGH, U.v. 3.12.2015 – 13a B 15.50069 u.a. – juris Rn. 25; VGH BW, U.v. 29.4.2015 – A 11 S 121/15 – juris Rn. 36; offen gelassen in BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 40; a.A. VG Cottbus, B.v. 16.9.2016 – 1 L 326/14.A – juris Rn. 7: Asylantrag in Deutschland als maßgeblicher Zeitpunkt; so auch VG Potsdam, U.v. 9.12.2015 – VG 6 K 2153/14.A – juris Rn. 18; Bruns in: Hofmann, AusländerR, 2. Aufl. 2016, § 71a AsylG Rn. 5; in diese Richtung wohl auch VGH BW, B.v. 19.1.2015 – A 11 S 2508/14 – juris Rn. 8).
Ein Asylverfahren i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG ist jedes Asylverfahren, das im Einklang mit den Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durchgeführt wurde; systemische Mängel des Asylsystems im anderen Mitgliedstaat schließen mithin das Vorliegen eines Asylverfahrens i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG aus (vgl. VG München, U.v. 26.10.2016 – M 17 K 15.31601 – juris Rn. 39; VG Aachen, B.v. 4.8.2015 – 8 L 171/15.A – juris Rn. 15).
bb) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze durfte das Bundesamt vorliegend nicht von einem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat i.S.v. § 71a Abs. 1 AsylG ausgehen.
Zwar ist in der vorgelegten Verwaltungsakte ein Schreiben der belgischen Behörden vom 22. April 2016 (Blatt 73 der Verwaltungsakte) enthalten. Hiernach hat der Antragsteller am 7. April 2009 einen Asylantrag in Belgien gestellt, der mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 abgelehnt worden ist. Ein Rechtsbehelf hiergegen ist am 11. Januar 2010 zurückgewiesen worden.
Jedoch setzt – wie ausgeführt – die Anwendung des § 71a AsylG insbesondere voraus, dass das Bundesamt Kenntnis von den Entscheidungsgründen der Ablehnung des Antrags im anderen Mitgliedstaat hat; denn nur so kann das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen i.S.v. § 51 VwVfG beurteilt werden. Hieran fehlt es vorliegend, denn auch das Schreiben der belgischen Behörden vom 22. April 2016 enthält keine Informationen zu den Gründen der Ablehnung des dortigen Asylantrags.
3. Nach alledem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).