Verwaltungsrecht

Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde gegen baurechtswidrige Zustände

Aktenzeichen  9 ZB 15.255

Datum:
7.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 113658
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Bauaufsichtsbehörde darf sich bei ihrem Einschreiten auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe anzuführen vermag. Insbesondere ist es auch mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar, wenn die Behörde zunächst nur Fälle aufgreift, in denen eine Verschlechterung des bestehenden Zustands droht, was bei Neubauten wegen der größeren Gefahr von Bezugsfällen als bei vor vielen Jahren errichteten Altbauten grundsätzlich der Fall (vgl. BayVGH BeckRS 2003, 31157). (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 13.1998, AN 9 K 13.01999 2014-12-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens je zur Hälfte.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 6.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen die zwangsgeldbewehrten Anordnungen der Beklagten vom 17. Oktober 2013, mit denen sie verpflichtet wurden, die auf ihrem Grundstück FlNr. …, Gemarkung W* … vorhandene Grenzbebauung in Form einer Kfz-Stellplatzüberdachung (Carport) und eines Gartenhauses insoweit zu beseitigen, als sie die Gesamtlänge von 9,00 m an der westlichen Grundstücksgrenze überschreitet. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat die Klagen mit Urteil vom 8. Dezember 2014 abgewiesen. Hiergegen richten sich die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung.
II.
Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Kläger berufen sich auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Wertung des Verwaltungsgerichts, wonach die Ermessensausübung durch die Beklagte nicht zu beanstanden ist, lässt keine ernstlichen Zweifel aufkommen. Nach dessen Sachverhaltswürdigung ist die Beklagte hier anlassbezogen als Reaktion auf eine konkrete Nachbarbeschwerde vorgegangen. Zusätzlich ist von der Beklagten dabei berücksichtigt worden, dass die formell und materiell rechtswidrige Grenzbebauung der Kläger erst im Jahr 2012 hinzugekommen ist.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Beklagte willkürlich gegen die Grenzbebauung der Kläger eingeschritten ist. Die Bauaufsichtsbehörde darf sich bei ihrem Einschreiten auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe anzuführen vermag (vgl. BVerwG, B.v. 24.7.2014 – 4 B 34/14 – juris Rn. 4 m.w.N.). Insbesondere ist es auch mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn die Behörde zunächst nur Fälle aufgreift, in denen eine Verschlechterung des bestehenden Zustands droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.2.1992 – 7 B 106/91 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 9 ZB 11.1119 – juris Rn. 7). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist dies bei Neubauten wegen der größeren Gefahr von Bezugsfällen als bei vor vielen Jahren errichteten Altbauten grundsätzlich der Fall (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2003 – 14 ZB 02.1303 – juris Rn. 5).
Soweit die Kläger auch in ihrem Zulassungsvorbringen auf zwei Anwesen in der Nachbarschaft mit vergleichbaren Grenzbebauungen verwiesen haben, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte hiergegen nicht vorgehen wird, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen, wie dies der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 8. Dezember 2014 bekundet hat. Gründe an der Ernsthaftigkeit dieser Erklärung zu zweifeln, ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Ein willkürliches Vorgehen gegen die Kläger folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte nicht schon im Laufe des gerichtlichen Verfahrens gegen die Kläger eingeschritten ist. Eine allgemeingültige zeitliche Grenze für ein unterschiedliches Vorgehen gegen baurechtswidrige Zustände gibt es nicht (vgl. BayVGH, B.v. 10.6.2016 – 9 ZB 16.308 – juris Rn. 6 m.w.N.).
Ebenso wenig ist der pauschale Einwand der Kläger, es gebe im gesamten Stadtgebiet der Beklagten, insbesondere in den Stadtteilen mit Einzelhausbebauung und Hausgärten „allerorts“ eine „Vielzahl von Grenzbebauungen (Gartenhäuser, Carports und überdachte/begehbare Holzlegen) von abstandsflächenrechtlicher Relevanz, geeignet, ein willkürliches Vorgehen der Beklagten gegen die Kläger zu begründen. Abgesehen davon, dass dieses Zulassungsvorbringen völlig unsubstantiiert bleibt, gibt es keine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde zu einer flächendeckenden Bestandsaufnahme aller rechtswidriger Grenzbebauungen in ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich. Vielmehr kommt ein Sanierungskonzept zur Vermeidung sachwidriger Differenzierungen im Regelfall nur dann in Betracht, wenn die betreffenden Anlagen in einem engen räumlichen oder sachlichen Zusammenhang stehen (vgl. BayVGH, U.v. 19.5.2004 – 20 B 03.3187 – juris Rn. 17; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 76 Rn. 20; Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, die neue Bayerische Bauordnung, Stand: Oktober 2016, Art. 76 Rn. 173; Molodowsky/Famers, BayBO, Stand: November 2016, Art. 76 Rn. 96; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand: August 2016, Art. 76 Rn. 232).
Ernstliche Zweifel am verwaltungsgerichtlichen Urteil ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen der Kläger, eine Duldung der Grenzbebauung wäre hier das mildere Mittel, weil die Beklagte per Email vom 29. November 2012 ihnen gegenüber einen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, indem dort lediglich ausgeführt worden sei, der Carport dürfe für sich genommen nicht länger als 9 m und im Mittel nicht höher als 3 m ausgeführt werden. Denn das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass diese Email kein schutzwürdiges Vertrauen der Kläger erzeugt hat. Zwar habe die Email der Bauordnungsbehörde keinen Hinweis auf die zulässige Gesamtlänge aller Nebengebäude enthalten. Von den Klägern sei aber auch nur eine ganz allgemeine Auskunft für die Errichtung eines grenzständigen Carports ohne Einreichung eines schriftlichen Bauantrags und vor allem ohne Erwähnung des bereits vorhandenen, ebenfalls grenzständigen Gartenhauses mit überdachtem Freisitz erfragt worden. Zudem sei in der Email der Bauordnungsbehörde ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die Information ohne Kenntnis aller baurechtlich erheblichen Umstände erteilt werde und es sich dabei nicht um eine verbindliche Zusicherung handle. Diesen überzeugenden Ausführungen sind die Kläger nicht entgegengetreten.
2. Es liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Die Kläger rügen eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil das Verwaltungsgericht keine Bestandsaufnahme der formell und materiell rechtswidrigen Anlagen in der Nachbarschaft des klägerischen Anwesens herbeigeführt hat. Eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht kann aber grundsätzlich dann nicht geltend gemacht werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter – wie hier die Kläger – es in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.3.2017 – 9 ZB 15.785 – juris Rn. 21 m.w.N.; B.v. 13.6.2016 – 6 ZB 14.2405 – juris Rn. 22 m.w.N.). Dem Verwaltungsgericht musste sich insoweit auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsermittlung nicht aufdrängen. Wie dem Urteil entnommen werden kann, hat das Verwaltungsgericht eine selbständige Bestandsaufnahme der formell und materiell rechtswidrigen Anlagen in der Nachbarschaft des klägerischen Anwesens nicht als erforderlich für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung durch die Beklagte gehalten. Vielmehr hat es als ausreichend angesehen, dass die Beklagte hier anlassbezogen gegen eine Neuanlage eingeschritten ist und der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 8. Dezember 2014 erklärt hat, dass alle in der näheren Umgebung des klägerischen Anwesens bekannt gewordenen Fälle einer rechtswidrigen Grenzbebauung aufgegriffen und überprüft werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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