Aktenzeichen 10 CS 19.2058
BayVersG Art. 7 Nr. 1, Art. 15 Abs. 1
GG Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 21
Leitsatz
Zur Frage der einschüchternden Wirkung des Tragens „ziviler Parteikleidung“ der Partei „Der Dritte Weg“ bei einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel. (Rn. 6 – 7)
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit versammlungsrechtlicher Beschränkungen einer vom Antragsteller für den 19. Oktober 2019 unter dem Motto „Volkstreu und grün: Der Bauernstand macht stark das Land“ angemeldeten Versammlung des Gebietsverbands Süd der Partei „Der Dritte Weg“ mit Auftakt-, Zwischen- und Abschlusskundgebung sowie einem längeren Demonstrationszug im Stadtgebiet der Antragsgegnerin.
Die Beschwerde des Vertreters des öffentlichen Interesses richtet sich gegen die vom Verwaltungsgericht – unter Ablehnung des Eilantrags im Übrigen – hinsichtlich der Ziffer 11 des streitbefangenen Bescheids der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2019 angeordneten aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers.
Diese von der Antragsgegnerin im angefochtenen Bescheid verfügte Beschränkung der Versammlung lautet: „Die geplante ‚zivile Parteikleidung‘ (siehe Beschreibung in der Anzeige) wird abgelehnt, da sie als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen wird und dadurch eine einschüchternde Wirkung entsteht (vgl. Art. 7 BayVersG).“
Das Verwaltungsgericht hat diese auf der Grundlage von Art. 15 Abs. 1 des Bayerischen Versammlungsgesetzes (BayVersG) verfügte Beschränkung nach summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig erachtet, weil nicht hinreichend dargelegt worden sei, inwieweit alleine durch das Tragen der vom Antragsteller aufgeführten zivilen Parteikleidung von – wenn auch dunkelfarbigen – T-Shirts, Kapuzenpullovern und Jacken die gemäß Art. 7 Nr. 1 BayVersG erforderliche einschüchternde Wirkung entstehe. Die in den Ziffern 9 und 10 des Bescheids getroffenen Verbote von Fackeln und Pyrotechnik sowie des Schlagens des Marschtakts mit Trommeln habe der Antragsteller nicht angegriffen.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses wendet mit seiner Beschwerde demgegenüber ein, die Hauptsacheklage des Antragstellers werde auch insoweit voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Durch das Tragen der gleichartigen zivilen Parteikleidung in militärähnlichen Farben mit darauf aufgebrachten Abzeichen sowie die Verwendung von Fahnen werde eine Erinnerung an einen militärischen Aufmarsch erweckt, der eine einschüchternde Wirkung auslöse. Alle vom Antragsteller insoweit verwendeten Farben (grün, schwarz und beige) wiesen historische Anklänge an die Uniformen der Wehrmacht, der SS und der SA auf. Wichtig sei aber vor allem die Symbolik der Abzeichen, die auf der zivilen Parteikleidung verwendet würden. So fänden sich vielfältige Parallelen zur NS-Propaganda durch das Parteilogo, ein nach oben geöffneter Lorbeerkranz zusammen mit drei Säulen, die für die Zahl drei stünden, die auf der Kleidung verwendeten Darstellungen von gekreuztem Hammer und Schwert sowie das verwendete Zahnrad. Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass mit Fahnen marschiert werden solle. Aus der Kombination dieser Aspekte ergebe sich eine bewusste Anknüpfung an die NS-Zeit und die erforderliche einschüchternde Wirkung dieser Uniformierung. Schließlich ergebe sich die Drohkulisse auch aus dem auf der Kleidung abgedruckten Slogan „National – Revolutionär – Sozialistisch“, wodurch unmittelbar Bezug auf die NS-Zeit genommen werde.
Damit zeigt der Vertreter des öffentlichen Interesses aber bei einer auch aufgrund der Eilbedürftigkeit nur möglichen summarischen Prüfung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts auf, es seien im konkreten Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte dargelegt, dass das angezeigte Tragen dieser „Parteikleidung“ für sich geeignet ist, die nach der versammlungsrechtlichen Verbotsnorm des Art. 7 Nr. 1 BayVersG erforderliche einschüchternde Wirkung im Sinne suggestiv-militanter Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz (vgl. dazu die an die Entscheidung des BVerfG vom 27.4.1982 – 1 BvR 1138/81 – NJW 1982, 1803 anknüpfende Gesetzesbegründung zu Art. 7, LT-Drs. 15/10181 S. 15) auszulösen bzw. entstehen zu lassen. Bei den streitbefangenen Kleidungsstücken der Parteikleidung des Antragstellers handelt es sich zwar um gleichartige Kleidungsstücke im Sinne dieser Vorschrift, die auch als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung getragen werden. Da – wie historische Erfahrungen bestätigen – das Tragen speziell von Uniformen als Ausdruck politischer Gesinnung geeignet ist, nicht nur die Außenwirkung kollektiver Äußerungen zu verstärken, sondern darüber hinaus suggestiv-militante Effekte in Richtung auf einschüchternde uniforme Militanz auszulösen, ist der Gesetzgeber wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des freien Meinungskampfes von Verfassung wegen nicht gehindert, diese Meinungsäußerungsform des öffentlichen Uniformtragens oder gleichartiger Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu unterbinden (BVerfG a.a.O. Nr. 1). Zu solchen Umgehungsformen kann insbesondere das gemeinsame Tragen solcher (ziviler) Kleidungsstücke gehören, die im Wesentlichen einheitlich aussehen und erkennbar Bezüge zur uniformen Bekleidung historisch bekannter militanter Gruppierungen aufweisen. Von ihrer Gleichartigkeit mit Uniformen kann dabei umso eher ausgegangen werden, wenn die Anlehnung durch zusätzliche Umstände (Abzeichen, Auftreten mit militärischem Gebaren) verstärkt wird (BVerfG a.a.O.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat insoweit anschließt, ist es dabei ausreichend, dass die genannte suggestiv-militante, einschüchternde Wirkung durch die Versammlung erzielt werden kann (BGH, U.v. 11.1.2018 – 3 StR 427/17 – juris Rn. 22). Die Frage, ob bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung im Zeitpunkt der Maßnahme hinreichende konkrete Tatsachen vorlagen, die die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG durch Verwirklichung des Verbotstatbestands nach Art. 7 Nr. 1 BayVersG begründen, unterliegt voller gerichtlicher Nachprüfung (stRspr, vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Ls. 2). Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 GG) sowie Art. 21 GG darf die Behörde allerdings auch bei dem Erlass von Beschränkungen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich; bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen hierzu nicht aus; die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine versammlungsrechtliche Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Versammlungsbehörde.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Bewertung des Verwaltungsgerichts unter Berücksichtigung der Gesamtumstände zum maßgeblichen Zeitpunkt danach rechtlich nicht zu beanstanden. Dabei sind für den Senat folgende Erwägungen entscheidend: Entgegen dem Beschwerdevorbringen ergeben sich allein durch das Tragen der gleichartigen zivilen Parteikleidung (T-Shirts, Kapuzenpullover und Jacken in den betreffenden Farben und mit den genannten Symbolen bzw. Aufschriften) noch keine hinreichend tragfähigen Gesichts- bzw. Anhaltspunkte für eine suggestiv-einschüchternde Wirkung im oben dargelegten Sinn. Denn durch die nicht angefochtenen weiteren versammlungsrechtlichen Beschränkungen der Verwendung von Fackeln und Pyrotechnik sowie des Schlagens des Marschtakts mit Trommeln werden trotz des angezeigten Mitführens von Fahnen für den objektiven Betrachter deutlich erkennbare (weitere) Bezüge bzw. wahrnehmbare Anknüpfungen an militärische Aufmärsche der NS-Zeit unterbunden. Zudem ist die in der Beschwerdebegründung im Einzelnen aufgeführte Symbolik im Parteilogo des Antragstellers und den verwendeten Symbolen und Aufschriften aus der Sicht eines objektiven Betrachters der Versammlung ungeachtet der vom Antragsteller in der Beschwerdeerwiderung insoweit geltend gemachten grundsätzlichen Einwände jedenfalls nicht so eindeutig und offensichtlich wahrnehmbar bzw. erkennbar, wie sie der Vertreter des öffentlichen Interesses schildert. Schließlich ist weder von Seiten des Antragsgegners noch des Vertreters des öffentlichen Interesses hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden, dass bei Versammlungen des Antragstellers in der Vergangenheit mit etwa vergleichbarem Versammlungsthema und vergleichbarer Beteiligung (von etwa 40 Versammlungsteilnehmern) regelmäßig auf einen derartig suggestiv-militanten Effekt abgezielt wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Satz eins, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).