Verwaltungsrecht

Einstellung des Verfahrens wegen Nichterscheinens zu Anhörung

Aktenzeichen  M 21 S 17.46631

Datum:
19.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
AsylG AsylG § 33

 

Leitsatz

Die Vermutung, das Asylverfahren nicht zu betreiben, kann widerlegt werden, wenn die Belehrung iSd § 33 Abs. 4 AsylG fehlerhaft war. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren M 21 K 17.46551 gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2017 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben malischer Staatsangehöriger. Er reiste am 13. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 27. Mai 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
In der dem Antragsteller in deutscher und französischer Sprache erteilten Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise wurde auf Folgendes hingewiesen:
„Sie erhalten einen Termin zur Anhörung vor dem Bundesamt. Sie sind verpflichtet, diesen Termin persönlich wahrzunehmen… Bitte nehmen Sie den Anhörungstermin unbedingt wahr. Sie werden darauf hinge-wiesen, dass es für das Asylverfahren nachteilige Folgen haben kann (Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung), wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen, ohne vorher Ihre Hinderungsgründe rechtzeitig dem Bundesamt schriftlich mitgeteilt zu haben …“
Der Belehrung war ein Gesetzesauszug aus dem Asylgesetz in deutscher Sprache beigefügt, u.a. ein Auszug aus §§ 10, 15, 25, 33 Abs. 1 und 3 und § 36 Abs. 4 Satz 3 AsylG.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 10. November 2016 wurde der Antragsteller zu einer Anhörung am 22. Dezember 2016 geladen.
Die Ladung zur Anhörung vor dem Bundesamt enthielt folgenden Hinweis in deutscher Sprache:
„Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass Ihr Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Sie zu diesem Termin nicht erscheinen. Dies gilt nicht, wenn Sie unverzüglich nachweisen, dass Ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die Sie keinen Einfluss hatten. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit müssen Sie unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn Sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet sind, müssen Sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen. Können Sie dem Bundesamt keinen Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Ab-schiebungsverbote vorliegen.“
Die Ladung wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12. November 2016 in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten eingelegt.
Mit Schreiben des Bundesamtes vom 29. Juni 2017 wurde der Antragsteller erneut zu einer Anhörung, diesmal am 18. Juli 2017, geladen. Die Ladung enthielt den bereits genannten Hinweistext. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde das Schreiben am 4. Juli 2017 niedergelegt und eine Mitteilung in den Briefkasten geworfen.
Der Antragsteller ist zur Anhörung nicht erschienen.
Mit Bescheid vom 21. Juli 2017 stellte das Bundesamt unter der gleichzeitigen Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, das Asylverfahren ein (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Mali an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Zur Begründung wurde unter Hinweis auf die Vermutungsregel in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ausgeführt, der Antragsteller sei ohne genügende Entschuldigung nicht zur persönlichen Anhörung erschienen.
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid am 3. August 2017 durch seinen Bevollmächtigten Klage erhoben (M 21 K 17.46551), mit der er beantragt,
den Bescheid vom 21. Juli 2017 aufzuheben.
Zugleich beantragt er sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.
Zur Begründung trägt er vor, er habe die Ladung zum Termin am 18. Juli 2017 nicht erhalten.
Das Bundesamt legte die Akten mit Schreiben vom 14. August 2018 vor, ohne sich weiter zum Verfahren zu äußern. Auch einen Antrag stellte das Bundesamt nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem und im Klage-verfahren und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
Der im Rahmen der gebotenen und möglichen Auslegung auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der nach § 75 Abs. 1 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung gerichtete Antrag ist zulässig (vgl. zum Rechtsschutzbedürfnis BVerfG, B.v. 20.7.2016 – 2 BvR 1385/16 – juris Rn. 8) und begründet.
Das Gericht trifft bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem öffentlichen Interesse an der vom Gesetzgeber vorgesehenen sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Erweist sich der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung.
Entsprechend diesem Maßstab ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390 f.) gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Vorlage von für den Antrag wesentlichen Informationen gemäß § 15 oder einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 nicht nachgekommen ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, denn der Antragsteller ist nicht ausreichend auf die nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG eintretenden Rechtsfolgen hingewiesen worden.
Gemäß § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach den Absätzen 1 und 3 ein-tretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen. Der Nachteil, den der Asylbewerber infolge der Rücknahmefiktion erleiden kann, ist nur dann verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Betroffene auf die gesetzliche Regelung hingewiesen wird. Diesen im Gebot eines fairen Verfahrens wurzelnden rechtsstaatlichen Anforderungen hat der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 33 Abs. 4 AsylG entsprochen.
Soll der Hinweis seiner Aufgabe gerecht werden, gerade im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Norm für Rechtsklarheit zu sorgen, muss er freilich den Besonderheiten des Adressatenkreises Rechnung tragen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Asylbewerber sich in einer ihm fremden Umgebung befindet, mit dem Ablauf des deutschen Asylverfahrens nicht vertraut und in aller Regel der deutschen Sprache nicht mächtig ist (VG Augsburg, B.v. 17.11.2016 – Au 3 S. 16.32189 – juris Rn. 28). Unabhängig vom erforderlichen Inhalt der Belehrung ist deren Übersetzung in eine Sprache, die der Ausländer beherrscht, unentbehrlich.
Darüber hinaus verlangt § 33 Abs. 4 AsylG ausdrücklich, dass der Ausländer gegen Empfangsbestätigung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen ist. Die Vorschrift lässt damit eine anderweitige Zustellung, auf Grund der sich der Ausländer die Bekanntgabe unabhängig von der tatsächlichen Kenntnis zurechnen lassen muss, gerade nicht zu.
Diesen Anforderungen genügt der allgemeine (und im Hinblick auf das Schriftformerfordernis von Entschuldigungsgründen auch unzutreffende) Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise nicht. Dabei kann dahinstehen, ob eine Belehrung überhaupt in diesem frühen Stadium des Asylverfahrens, wenn auch gegen Empfangsbestätigung, ausreichend ist (anders VG München, B. v. 8.3.2017 – M 21 S. 16.32737 – juris), denn jedenfalls darf die Belehrung nicht in Teilen fehlerhaft und damit irreführend sein. In diesem Fall wird die Belehrung insgesamt fehlerhaft (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 13.12.1978 – 6 C 77.78 -, juris, Rn. 23). So liegt der Fall aber hier. Das Bundesamt verweist auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bzw. der Entscheidung ohne persönliche Anhörung in dem Fall, dass der Antragsteller nicht vor dem Termin schriftlich seine Verhinderung anzeigt. Dass das Asylgesetz in § 33 Abs. 2 Satz 2 aber eine Widerlegung der Vermutung auch dann vorsieht, wenn der Ausländer unverzüglich, also nach dem versäumten Anhörungstermin, nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, erwähnt die Belehrung nicht. Auch aus dem beigefügten Gesetzestext lässt sich dies nicht entnehmen, da die Vorschrift des § 33 Abs. 2 AsylG gerade nicht abgedruckt worden ist.
Die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung, die insoweit zutreffend ist, ist schließlich ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und dem Antragsteller im Übrigen nicht gegen Empfangsbestätigung übermittelt worden. Die Zustellungsfiktion der Ladung nach § 10 Abs. 2 AsylG ersetzt die für die Belehrung erforderliche tatsächlich erforderliche und durch Empfangsbestätigung nachzuweisende Kenntnis des Antragstellers über die Belehrung nicht.
Nachdem sich die angefochtene Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung der Klage ohne weitere Prüfung anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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