Verwaltungsrecht

Einstweiliger Rechtsschutz – Zwangsräumung einer Obdachlosenunterkunft

Aktenzeichen  AN 15 E 18.00966

Datum:
24.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16275
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123 Abs. 1 S. 2
VwZVG Art. 35, Art. 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Zwangsräumung einer Obdachlosenunterkunft ist nicht möglich, wenn in dem zugrundeliegenden Räumungsbescheid ein bestimmtes Zwangsmittel nicht angedroht worden ist und eine Ausnahme vom Androhungserfordernis nicht vorliegt. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Rücknahme bzw. Widerruf eines bestandkräftigen Räumungsbescheides kann durch eine Regelungsanordnung gesichert werden. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, eine Zwangsräumung der von den Antragstellern bewohnten Obdachlosenunterkunft im Anwesen …, … zu unterlassen und erneut über den Antrag der Antragsteller auf Rücknahme bzw. Widerruf des Bescheides vom 26. März 2018 zu entscheiden. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt
2. Die Antragsgegnerin trägt 2/3 und die Antragsteller tragen 1/3 der Kosten des Verfahrens.
3. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe im Umfang des Obsiegens unter Beiordnung von …, … gewährt. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
4. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist er abzulehnen.
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern, oder auch aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind dabei glaubhaft zu machen (§§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO).
Vorliegend besteht ein Anordnungsanspruch, soweit sich die Antragsteller nach notwendiger und sachgerechter Auslegung des Antragsbegehrens gegen die drohende Zwangsräumung der von ihnen bewohnten Obdachlosenunterkunft wenden. Denn die Antragsgegnerin hat entgegen der Vorgabe des Art. 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 VwZVG im Bescheid vom 26. März 2018, in dem die Antragstellerin zur Räumung der Obdachlosenunterkunft … (… – Wohnungesnummer: …) aufgefordert wurden, ein bestimmtes Zwangsmittel nicht schriftlich angedroht, sodass gegenwärtig eine zwangsweise Räumung der Wohnung nicht möglich ist. Eine Ausnahme von dem Erfordernis, dass Zwangsmittel schriftlich anzudrohen sind, im Sinne des Art. 35 VwZVG liegt nicht vor. Der bloße Hinweis in den Gründen des Bescheides vom 26. März 2018 auf eine Zwangsräumung kann eine Vollstreckung nicht ermöglichen, da daraus nicht erkennbar ist, welches Zwangsmittel Anwendung findet.
Soweit die Antragsteller beantragen ließen, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Bescheid vom 26. März 2018 zurückzunehmen und die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellern die bisher von ihnen bewohnte Wohnung wieder zuzuweisen, besteht ein Anordnungsanspruch nicht, da die Entscheidung über die beantragte Rücknahme bzw. den Widerruf des Bescheides vom 26. März 2018 nach Art. 48, 49 BayVwVfG zu treffen ist und es sich bei diesen Vorschriften um Ermessensnormen handelt. Anhaltspunkte dafür, dass das in Art. 48, 49 BayVwVfG enthaltene Ermessen vorliegend auf Null reduziert wäre, bestehen nicht. Somit ist der Antrag insoweit abzulehnen.
Allerdings besteht ein Anspruch der Antragsteller darauf, dass über den Antrag auf Rücknahme bzw. Widerruf des Bescheides vom 26. März 2018 durch die Antragsgegnerin ermessensfehlerfrei entschieden wird. Dieser Anspruch wurde im vorliegenden Eilverfahren konkludent hilfsweise geltend gemacht; auch kann zu dessen Schutz eine Regelungsanordnung ergehen (vgl. Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 123, Rdnr. 161b). Den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat die Antragsgegnerin bislang nicht erfüllt, da die Antragsgegnerin in Ihrem Schreiben vom 17. Mai 2018 lediglich auf die Rechtskraft des Bescheides vom 26. März 2018 verwiesen hat, ohne die von der Antragstellerseite vorgetragenen Argumente vertieft zu würdigen. Somit ist insoweit von einem Ermessensausfall auszugehen ist. Bei der von der Antragsgegnerin nunmehr zu treffenden Ermessensentscheidung werden die schulischen Belange der Antragsteller zu 2. bis 4., die Frage, ob die angebotene Ersatzunterkunft in der … in … unter dem Gesichtspunkt, dass die Unterbringung der Antragsteller bereits mehrere Jahre andauert und eine Ende der Unterbringungsbedürftigkeit nicht absehbar ist, mit den Mindestanforderungen an eine Obdachlosenunterkunft im Einklang steht, sowie der Umstand, dass die Antragstellerin zu 1. nunmehr von ihrem spielsüchtigen Ehemann getrennt lebt und nunmehr gewillt ist, die ausstehenden Nutzungsgebühren in Raten zu begleichen, zu berücksichtigen sein. Angesichts dieser für die Antragsteller sprechenden Belange erscheint es für das Gericht überwiegend wahrscheinlich, dass die Einweisung der Antragsteller zumindest bis zum Ende des Schuljahrs 2017/2018 in die bisher von diesen bewohnte Wohnung aufrechterhalten bleibt.
Zur Vermeidung unverrückbarer Rechtsnachteile der Antragsteller ist eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache geboten.
Wegen der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit liegt ein Anordnungsgrund vor.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, Ziffer 1.5 des Streitkataloges.
Gemäß § 166 Abs. 1 VwGO, §§ 114 ff ZPO ist einer Partei auf Antrag Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der zulässige Antrag auf Prozesskostenhilfe ist vorliegend teilweise begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragsteller aus den vorstehenden Ausführungen zum Teil hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Antragsteller haben auch die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, woraus sich ergibt, dass sie nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
In Bezug auf die Ziffern 1, 2 und 4 des Beschlusses ergeht folgende

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