Aktenzeichen W 8 K 18.31093
Leitsatz
Fehlt es an einem glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, fehlt es an einer Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens können dazu führen, dass der Vortrag als insgesamt nicht glaubhaft angesehen wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Mai 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist im Übrigen insbesondere auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Der Kläger hat im Verlauf des behördlichen Verfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens ungereimte und widersprüchliche Angaben gemacht. Auf gerichtliche Vorhalte räumte der Kläger freimütig ein, wiederholt gelogen zu haben. So bleiben aufgrund des persönlichen Eindrucks des Klägers in der mündlichen Verhandlung durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens insgesamt und an einer darauf beruhenden tatsächlich drohenden ernsthaften Gefahr.
Auffällig ist schon, dass der Kläger abgesehen von einen wenigen Äußerungen in der mündlichen Verhandlung bis dahin – trotz entsprechender Aufforderung nach § 87b Abs. 3 VwGO – seine Klage überhaupt nicht begründet hatte.
Der Kläger machte zudem wiederholt widersprüchliche Angaben. Während er im behördlichen Verfahren gegenüber dem Bundesamt bzw. widersprechend bei der Zentralen Ausländerbehörde erklärt hatte, nie einen Reisepass jemals besessen zu haben bzw. der Reisepass sei 2017 abgelaufen und er habe ihn in Deutschland verloren, erklärte er nunmehr wiederum abweichend, er habe einen Reisepasse besessen, der 2015 ausgestellt worden sei und immer noch gelte und zwar bis 2025. Diesen habe er aber einen Freund mit nach Hause mitgegeben, weil er ihn nicht mehr brauche.
Des Weiteren gab der Kläger an, mit einem spanischen Visum mit einem Flugzeug nach Spanien geflogen zu sein. Weiter gestand er ein, dass die gegenteilige Aussage, mit einem kleinen Boot nach Spanien gekommen zu sein, nicht stimme.
Auch das Vorbringen betreffend einen Tresor und einen Tresorschlüssel erklärte er in der mündlichen Verhandlung auf gerichtliche Nachfrage als erlogen. Einen Tresor gebe es nicht.
Des Weiteren gab der Kläger auf gerichtliche Frage, was noch gelogen sei, ausdrücklich an, sein Name und seine Geburtsdatum stimmten nicht ganz, die Schreibweise seines Nachnamens laute. „Kadduur“ (anstatt: Kaddoum) und er sei am 12. März 1979 (nicht 1980) geboren.
Im Übrigen erklärt der Kläger in der mündlichen Verhandlung Terroristen hätten ihn aufgefordert, an einem Terroranschlag an seiner Arbeitsstelle in einer Erdölraffinerie mitzuwirken. Daraufhin habe er Algerien verlassen.
Auf gerichtliche Nachfrage, ob die Bedrohung durch die Terroristen fortbestehe, erklärte der Kläger, er habe Kontakt zu seinen Verwandten in Algerien. Über ein Fortbestehen der angeblichen Bedrohungslage bzw. möglichen Nachfrage der Terroristen bei seinen Verwandten wusste der Kläger nichts zu berichten. Vor diesem Hintergrund ist selbst aufgrund der eigenen Angaben des Klägers nicht ersichtlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit einer Bedrohung oder mit Gefahren seitens der Terroristen rechnen müsste.
Nach alledem fehlt es nach einen glaubhaften, in sich stimmigen und widerspruchsfreien Vorbringen des Klägers, der Basis für die Annahme einer bestehenden Verfolgungsgefahr oder sonst einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben sein könnte.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass dem Kläger nach seinem eigenen Vorbringen, insbesondere keine staatliche Verfolgung seitens der algerischen Behörden gedroht hat. Relevante Verfolgungsmaßnahmen seitens staatlicher Behörden sind bislang nicht erfolgt und drohen auch bei einer Rückkehr nicht.
Weiter ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 – A 5 K 4824/13 – juris). Auch insofern gilt das Vorstehende entsprechend. Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung, selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 22). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, dass Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 27). Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Schließlich droht dem Kläger bei einer eventuellen Rückkehr nach Algerien auch sonst keine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit insbesondere seitens der Terroristen, weil für ihn jedenfalls eine zumutbare inländische Fluchtalternative besteht (vgl. § 3e AsylG). Wie schon ausgeführt ist schon fraglich, ob die Terroristen nach über zwei Jahren Abwesenheit überhaupt noch ein Interesse daran haben sollten, gegen den Kläger gewalttätig vorzugehen. Dafür fehlen auch nach dem Vorbringen des Klägers – wie oben ausgeführt – jegliche Anhaltspunkte. Abgesehen davon besteht für den Kläger in Algerien eine zumutbare inländische Aufenthaltsalternative, wenn er sich in einem anderen Teil des Landes, insbesondere in einer anderen Großstadt Algeriens niederlässt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 17). Der Kläger muss ich jedenfalls auf interne Schutzmöglichkeiten in seinem Herkunftsland verweisen lassen. Das Auswärtige Amt sieht selbst für den Fall der Bedrohung durch islamistische Terroristen in den größeren Städten Algeriens ein wirksames (wenngleich nicht vollkommenes) Mittel, um einer Verfolgung zu entgehen. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass bei gewalttätigen Übergriffen nicht doch die Polizei schutzbereit und schutzfähig wäre, wenn auch ein absoluter Schutz naturgemäß nicht gewährleistet werden kann (ebenso VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris; SaarlOVG, B.v. 4.2.2016 – 2 A 48/15 – juris; anders in einem Sonderfall einer Klägerin aufgrund deren besonderen Situation VG Göttingen, U.v. 6.9.2011 – 3 A 163/09 – jruis).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seine Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern, so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 4.4.2018, Stand: Februar 2018, S. 21 ff., BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden Großfamilie zurückzugreifen. Dem Kläger ist eine (Re)-Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaats möglich und zumutbar (ebenso BVerwG, U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – juris; VG Minden, U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt wären. Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.