Verwaltungsrecht

Entfallen des Anordnungsgrundes im Eilverfahren nach Hauptsacheerledigung

Aktenzeichen  1 CE 17.694

Datum:
4.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123 Abs. 1, § 173 S. 1
ZPO ZPO § 251 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein Anordnungsgrund fehlt, wenn im für das Beschwerdeverfahren maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Hauptsache im Eilverfahren bereits erledigt ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Hauptsacheerledigung tritt ein, wenn sich der ursprüngliche Streitgegenstand durch ein außerprozessuales Ereignis erledigt. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Ruhen des Verfahrens ist nicht als zweckmäßig anzusehen, wenn kein Anordnungsgrund vorliegt. Eine solche prozessuale Vorgehensweise widerspräche dem Sinn und Zweck des Eilrechtsschutzes, eine alsbaldige und vorläufige Entscheidung herbeizuführen (Anschluss an BayVGH BeckRS 2016, 52324). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4 Eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn ein Anordnungsgrund nicht mehr besteht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, die Eigentümerin eines Wohngebäudes in der Nähe des Starnberger Sees ist, wendet sich gegen den Betrieb der Freiluftgaststätte der Beigeladenen als „Winterbar“ für den Zeitraum von November bis Anfang April.
Die Beigeladenen betreiben auf dem Gelände eines kommunalen Freibads am Westufer des Starnberger Sees eine Freiluftgaststätte, die etwa 200 Gästen Platz bietet und die von der Uferpromenade aus über Treppenstufen zu Fuß zu erreichen ist. Rechtsgrundlage des Betriebs des „Kiosks“ auf dem Badegelände sind Baugenehmigungen aus den 1990er Jahren sowie der Widerspruchsbescheid aus dem Jahr 1992, die seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1998 – 1 B 93.3369 – (BayVBl 1998, 753) bestandskräftig sind. Mit dieser Entscheidung hat der Senat die Berufungen einiger Anlieger zurückgewiesen, weil ihnen wegen der Randlage ihrer Grundstücke zum Außenbereich, in dem das Freibad liege, nicht das Schutzniveau eines reinen Wohngebiets, sondern nur ein Anspruch auf Einhaltung des Immissionsrichtwerts der TA Lärm für ein allgemeines Wohngebiet zustehe. Auch während der Nacht seien die Anlieger ausreichend vor Lärm geschützt, weil die Baugenehmigungen einen Betrieb nach 22:00 Uhr nicht zuließen. Die Antragstellerin verlangt, den Antragsgegner zu verpflichten, den Betrieb der „Winterbar“ zu untersagen, hilfsweise die Verpflichtung, den Betrieb unter Zugrundelegung der Auffassung des Gerichts zu beschränken.
Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag abgelehnt, weil ein Anspruch der Antragstellerin auf Verpflichtung des Antragsgegners, den Beigeladenen den Betrieb der „Winterbar“ zu untersagen, nicht bestehe. Das Vorhaben rufe keine schädlichen Umwelteinwirkungen für die Antragstellerin hervor und verstoße daher nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Der Betrieb sei nicht auf die Dauer der Sommermonate beschränkt. Bezüglich des Anwesens der Antragstellerin liege keine Überschreitung der zulässigen Lärmwerte vor.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Antragstellerin weiterhin ihr Rechtsschutzziel. Die Beigeladenen und der Antragsgegner treten der Beschwerde entgegen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, weil die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht vorliegen. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (vgl. dazu Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO Stand Oktober 2016, § 123 Rn. 165) gibt es für die begehrte einstweilige Anordnung keinen Anordnungsgrund mehr. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass ohne das gerichtliche Eilverfahren die Gefahr bestünde, dass ohne die (vorläufige) Verpflichtung des Antragsgegner zur Untersagung des Betriebs der „Winterbar“ die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden kann. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO). Ein solcher Anordnungsgrund fehlt hier. Denn im für das Beschwerdeverfahren maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist die Hauptsache im Eilverfahren erledigt. Eine Hauptsacheerledigung tritt ein, wenn sich der ursprüngliche Streitgegenstand durch ein außerprozessuales Ereignis erledigt. Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil mit Ablauf des Karfreitags dem Antrag nach § 123 VwGO der Boden entzogen worden ist. Die von der Antragstellerin dagegen angeführten Bedenken, der Bauantrag des Beigeladenen und die nachfolgenden Bescheide würden nur für die Zeit von Karsamstag bis Ende Oktober jeden Jahres gelten, stehen der Annahme, die Hauptsache sei erledigt, nicht entgegen. Maßgebend ist vielmehr, dass mit Ablauf des Karfreitags kein Raum mehr für eine Entscheidung nach § 123 VwGO ist und eine Aufrechterhaltung des Antrags zwangsläufig zur Ablehnung führen muss. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den ergänzenden Ausführungen der Antragstellerin zu einer vermeintlichen Verzögerungstaktik des Landratsamts und des Verwaltungsgerichts sowie aus der Befürchtung, der Betrieb der Beigeladenen könne immer weiter ausgeweitet werden.
Damit besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine Eilbedürftigkeit für die Untersagung des Betriebs der „Winterbar“. Der Antragstellerin ist zuzumuten, ihre geltend gemachten Ansprüche in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen.
Dem Antrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 29. Juni 2017, das Ruhen des Verfahrens nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO bis zur (kommenden) Wintersaison anzuordnen, musste das Gericht nicht nachkommen. Ein Ruhen des Verfahrens ist bereits deshalb nicht als zweckmäßig anzusehen, weil vorliegend kein Anordnungsgrund vorliegt. Eine solche prozessuale Vorgehensweise widerspräche dem Sinn und Zweck des Eilrechtsschutzes, eine alsbaldige und vorläufige Entscheidung herbeizuführen (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2016 – 3 CE 16.1015 juris Rn. 43).
Mangels Anordnungsgrund kommt es auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht an. Die Frage, welchen Umfang die Baugenehmigungen aus den 1990er Jahren sowie der Widerspruchsbescheid aus dem Jahr 1992, die seit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Mai 1998 – 1 B 93.3369 – (BayVBl 1998, 753) bestandskräftig sind, haben, ist gegebenenfalls in einem Hauptsacheverfahren zu prüfen. Soweit sich die Antragstellerin gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts wendet und sich auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs beruft, fehlt es jedenfalls an einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise, weil ein Anordnungsgrund – wie vorstehend ausgeführt – nicht mehr erkennbar ist. Auch sind auf eine Fortsetzungsfeststellung gerichtete Begehren ungeachtet dessen, dass ein solcher Antrag im vorliegenden Verfahren nicht gestellt wurde, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten nach § 162 Abs. 3 VwGO zu erstatten, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 63 Abs. 2 GKG und orientiert sich an Nummer 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).

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