Aktenzeichen 15 B 18.32145
AsylG § 10 Abs. 1, § 33 Abs. 2 Nr. 2, § 125 Abs. 1
Leitsatz
Gibt der Kläger im Asylprozess seine Unterkunft nicht nur vorübergehend auf, ohne dem Bundesamt, dem Gericht oder wenigstens seinem Prozessbevollmächtigten seinen aktuellen Aufenthalt mitzuteilen, lässt dies den Schluss zu, dass sein Rechtsschutzinteresse an dem Prozess entfallen ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 21 K 14.30855 2016-09-16 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. September 2016, Az.: M 21 K 14.30855, ist wirkungslos geworden.
III. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Das Verfahren ist aufgrund der übereinstimmenden Erledigterklärungen der Parteien (Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 5. November 2018; Schriftsatz der Beklagten vom 7. November 2018) beendet und einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 16. September 2016 ist wirkungslos geworden (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechend).
Die Kostenentscheidung ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands des Rechtsstreits zu treffen. Vorliegend erscheint es angemessen, die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen dem Kläger aufzuerlegen.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2018 teilte die Beklagte u.a. mit, das im Ausländerzentralregister folgender Vermerk über den Kläger erfasst sei: „Fortzug nach unbekannt am 27.01.2017“. Eine elektronische Recherche des Verwaltungsgerichtshofs über das Bayerische Behördeninformationssystem am 22. Oktober 2018 ergab zudem, dass der Kläger laut Einwohnermeldedatei am 1. April 2017 „v.A.w. nach unbekannt abgemeldet“ wurde. Der Bevollmächtigte des Klägers vermochte auf gerichtliche Anfrage vom 22. Oktober 2018 keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers mitzuteilen.
Dem Kläger fehlt jedenfalls seit dem Zeitpunkt seines unbekannten Aufenthalts das in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Rechtsschutzbedürfnis. Dies gilt sowohl für die Weiterverfolgung der ursprünglichen Klage (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2001 – 21 B 99.32019 – juris Rn. 12 ff.; B.v. 4.7.2008 – 10 B 07.677 – juris Rn. 12 f.) als auch für die Weiterverfolgung des Rechtsmittels (Unzulässigkeit einer Berufung infolge „Untertauchens“: OVG MV, U.v. 3 L 255/06; BayVGH, B.v. 4.7.2008 – 10 B 07.677 – juris Rn. 12 f.; ebenso für den Antrag auf Zulassung der Berufung: BayVGH, B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 3; B.v. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 3 ff.; Unzulässigkeit einer Beschwerde im Eilverfahren: BayVGH, B.v. 21.11.2005 – 19 B 1147/05 – juris; B.v. 25.2.2009 – 19 CE 09.2009 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die nicht nur vorübergehende Aufgabe der Unterkunft durch den Kläger ohne Mitteilung seines aktuellen Aufenthalts an die Beklagte und das Gericht (§ 10 Abs. 1 AsylG) oder zumindest an seinen Prozessbevollmächtigten lässt den Schluss zu, dass der Kläger entweder in sein Heimatland zurückgereist ist oder die Bundesrepublik verlassen hat und das Rechtsschutzbegehren gegen die Beklagte deswegen nicht mehr weiter verfolgen will oder er gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 2 AsylG untergetaucht ist, was die Schutzwürdigkeit seines Rechtsschutzinteresses ebenfalls entfallen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2010 – 20 B 10.30183 – juris Rn.13 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 10.5.2017 – 4 A 453/16.A – juris Rn. 4 m.w.N.). Allein die weiterbestehende anwaltliche Vertretung des Klägers gibt keinen Anlass, auf das Erfordernis der Adressenangabe zur Feststellung eines weiterbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses zu verzichten, wenn dem Kläger ein berechtigter Grund für die Verweigerung der Adressenangabe fehlt (BayVGH, B.v. 9.2.2001 – 21 B 99.32019 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Unabhängig vom fehlenden bzw. weggefallenen Rechtsschutzinteresse stellt das Fehlen einer ladungsfähigen Anschrift zudem rein formal einen Verstoß gegen die auch im Berufungsverfahren über § 125 Abs. 1 VwGO anwendbare zwingende Verfahrensvorschrift gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar, wonach dem Gericht die aktuelle ladungsfähige Anschrift eines Antragstellers bekannt gegeben werden muss (vgl. auch § 173 Satz 1 VwGO i.V. mit. § 130 Nr. 1 ZPO). Dass dies auch dann gilt, wenn zwar in der Klageschrift zunächst eine ladungsfähige Anschrift genannt wurde, die Wohnungsanschrift des Klägers jedoch im Laufe des Verfahrens unbekannt geworden ist, ergibt sich aus § 117 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und im Hinblick auf die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung notwendigerweise im Urteil enthaltenen Angaben zur Wohnanschrift des jeweiligen Verfahrensbeteiligten (BayVGH, B.v. 5.12.2007 – 19 ZB 06.2329 – juris Rn. 6). Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift, unter der der Kläger tatsächlich zu erreichen ist, ist erforderlich, um ihn zu individualisieren und seine Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. Es soll dadurch darüber hinaus auch gewährleistet werden, dass der Kläger nach entscheidungserheblichen Tatsachen befragt werden und sich im Fall des Unterliegens seiner Kostentragungspflicht nicht entziehen kann. Auch dies gilt für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter Mitwirkung eines Prozessbevollmächtigten (vgl. BayVGH, B. v. 12.5.2005 – 10 ZB 04.1600 – juris Rn. 3; v. 25.3.2009 – 19 CE 09.213 – juris Rn. 15; B.v. 23.3.2016 – 19 CS 15.2696 – juris Rn. 3). Anhaltspunkte dafür, dass die Pflicht zur Angabe der Anschrift ausnahmsweise entfallen könnte (vgl. BVerwG, B.v. 14.2.2012 – 9 B 79.11 – juris Rn. 11 m.w.N.) sind nicht ersichtlich. Dem Kläger ist auch seitens des Gerichts gemäß § 82 Abs. 2 VwGO eine Frist zur Ergänzung der Angaben gesetzt worden (vgl. zum Ganzen – jeweils m.w.N.: BayVGH, B.v. 3.2.2016 – 10 ZB 15.1413 – juris Rn. 4 f.; B.v. 23.3.2016 – 19 CS 15.2696 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 9.5.2016 – 10 ZB 15.677 – juris Rn. 4 f.; BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 19 CE 18.364 – juris Rn. 8 f.).
Dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zugelassen wurde und der Senat im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung (noch in Unkenntnis des Untertauchens des Klägers) mit Blick auf die im Zulassungsbeschluss vom 21. August 2018 in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zumindest in Teilen des klägerischen Rechtsschutzbegehrens gewisse Erfolgschancen sah, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Kläger hat durch sein eigenes Verhalten – d.h. aus eigenem Willensentschluss – dem gerichtlichen Verfahren den Boden entzogen (vgl. auch BayVGH, B.v. 21.10.2002 – 15 ZB 01.30486 – juris). Mit seinem – ohne jegliche Erklärung erfolgten – Verhalten hat der Kläger vergleichbar demjenigen gehandelt, der seinen Rechtsstandpunkt einseitig aufgibt und deshalb die Klage zurücknimmt (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2017 – 21 ZB 16.30420 – juris.).
Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 158 Abs. 2 VwGO, § 80 AsylG).