Verwaltungsrecht

Entkräftung der Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde durch substantiierten Gegenbeweis

Aktenzeichen  10 ZB 16.2180

Datum:
3.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 102470
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 74 Abs. 1 S. 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
BayVwZVG Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 2
ZPO § 180, § 182, § 418
LStVG Art. 18

 

Leitsatz

1 Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 182 Abs. 1 S. 2, § 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Der Gegenbeweis erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde darlegen. (redaktioneller Leitsatz)
2 Mit der Behauptung, es sei schon öfter Post weggekommen bzw. in den falschen Briefkasten eingesteckt worden, wird kein Nachweis für einen anderen Geschehensablauf bei der Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten erbracht, sondern lediglich pauschal bestritten, dass die in der Postzustellungsurkunde beurkundeten Angabe, die konkrete Sendung sei in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden, zutreffend sei. Es sind nähere Umstände darzulegen, die geeignet sind, ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung zu belegen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 K 16.394 2016-09-13 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 4. März 2016 und vom 11. Juli 2016 weiter. Bei dem Bescheid vom 4. März 2016 handelt es sich um einen vorläufigen Bescheid, mit dem bis zum Erlass des endgültigen Bescheids zur umgehenden Beseitigung der von den Hunden der Klägerin ausgehenden konkreten Gefahr zwei Anordnungen zur Hundehaltung getroffen wurden. Der Bescheid vom 11. Juli 2016 erteilt für die drei von der Klägerin gehaltenen Hunde Negativatteste und ordnet zahlreiche Maßnahmen für die Haltung und das Ausführen der Hunde an.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) vom 13. September 2016.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne dieser Bestimmung bestünden nur dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (BVerfG, B. v. 10.9.2009 -1 BvR 814/09 – juris Rn. 11, B. v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen die Bescheide vom 4. März 2016 und vom 11. Juli 2016 als unzulässig abgewiesen. Die Klageabweisung bezüglich des Bescheides vom 4. März 2016 hat es damit begründet, dass sich dieser vorläufige Bescheid durch die mit Bescheid vom 11. Juli 2016 getroffenen Anordnungen erledigt habe. Die Klage gegen den Bescheid vom 11. Juli 2016 sei verfristet. Dieser Bescheid sei nicht automatisch in das Klageverfahren gegen den Bescheid vom 4. März 2016 einbezogen gewesen. Der Klägerin sei keine Wiedereinsetzung in die Klagefrist bezüglich des Bescheides vom 11. Juli 2016 zu gewähren. Ihre Behauptung, sie habe diesen Bescheid erst über ihren Rechtsanwalt am 7. September 2016 erhalten, sei durch die Postzustellungsurkunde widerlegt. Danach sei die Sendung am 13. Juli 2016 in ihren Briefkasten eingelegt worden. Einen substantiierten Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO habe die Klägerin mit ihrer eidesstattlichen Erklärung nicht erbracht.
Demgegenüber bringt die Klägerin im Zulassungsverfahren vor, die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2016 erstrecke sich automatisch auf den Bescheid vom 11. Juli 2016. Es sei zumindest teilweise ein identischer Regelungsinhalt gegeben. Es werde auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juli 2005 (9 S 2278/03) verwiesen. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts habe die Klägerin mit ihrer eidesstattlichen Versicherung den vollen Beweis der Unrichtigkeit der Zustellungsurkunde geführt. Sie habe versichert, dass unter der Anschrift S. Straße … drei Briefkästen angebracht seien. Auch in der Vergangenheit sei Post weggekommen oder in den falschen Briefkasten eingeworfen worden. Auch die an den Großvater ihres Ehemannes gerichtete Ladung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg sei in den falschen Postkasten, d.h. den ihres Ehemannes, eingeworfen worden. Allein dadurch sei der Beweis des Gegenteils gegeben.
Mit diesem Vorbringen wird aber die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Klage gegen die Bescheide vom 4. März 2016 und vom 11. Juli 2016 sei unzulässig, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen.
Soweit das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2016 als unzulässig abgewiesen hat, fehlen in der Begründung des Zulassungsantrags jegliche Ausführungen dazu, weshalb das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 13. September 2016 insoweit unrichtig sein sollte. Es mangelt daher bereits an einer hinreichenden Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) des Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Soweit die Klägerin die Ansicht vertritt, der Bescheid vom 11. Juli 2016 sei automatisch in die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2016 einbezogen, weil zumindest ein teilweiser identischer Streitgegenstand vorliege, genügt dieses Vorbringen ebenfalls nicht den Anforderungen an die hinreichende Darlegung des Zulassungsgrundes i.S.d. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, weil sich die Klägerin mit der Begründung des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert auseinandergesetzt hat. Auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, es gebe in der Verwaltungsgerichtsordnung keine den § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz oder § 68 Finanzgerichtsordnung vergleichbare Vorschrift für die automatische Einbeziehung eines neuen Bescheids in ein bereits gerichtlich anhängiges Verfahren gegen einen Vorgängerbescheid und daher könne der neue Bescheid nur im Wege der Klageänderung (§ 91 VwGO) in das verwaltungsgerichtliche Verfahren einbezogen werden, geht die Klägerin im Zulassungsverfahren nicht ein. Ebenso wenig setzt sie sich mit der weiteren Begründung des Erstgerichts auseinander, wonach bei einer Einbeziehung des Bescheides vom 11. Juli 2016 in die Klage gegen den Bescheid vom 4. März 2016 die Klagefrist für eine Klage gegen den zweiten Bescheid eingehalten sein muss. Der Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juli 2005 ist insoweit nicht ausreichend. Die Bescheide vom 4. März 2016 und vom 11. Juli 2016 besitzen gerade keinen auch nur teilweise identischen Regelungsgegenstand, weil der Bescheid vom 4. März 2016 als vorläufiger Bescheid (zur vorläufigen Gefahrenabwehr) gekennzeichnet ist, der durch den Bescheid vom 11. Juli 2016 mit einem sog. Negativattest, das unter zahlreichen „Bedingungen“ erteilt wird, ersetzt wird.
Weiterhin ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage vom 9. September 2016 gegen den Bescheid vom 11. Juli 2016 verfristet war, weil die Klägerin die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht eingehalten hat. Dieser Bescheid wurde der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 78 und 79 der VG-Akte) am 13. Juli 2016 unter ihrer Adresse zugestellt. Die Zustellung erfolgte mit der Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayVwZVG i.V.m. § 182 ZPO i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 180 ZPO). Die Zustellungsurkunde begründet den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen (§ 182 Abs. 1 Satz 2, § 418 Abs. 1 ZPO). Zwar ist der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Der Gegenbeweis erfordert jedoch den Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Hierfür muss der Beweispflichtige zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsache, etwa ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine inhaltlich falsche Beurkundung in der Postzustellungsurkunde darlegen (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2016 – 11 CS 16.310 – juris Rn. 4 m.w.N., B.v. 15.4.2015 – 11 ZB 15.209 – juris Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin vorgelegte eidessstattliche Versicherung vom 9. September 2016 nicht. Mit der Behauptung, es sei schon öfter Post weggekommen bzw. in den falschen Briefkasten eingesteckt worden, hat die Klägerin keinen Nachweis für einen anderen Geschehensablauf bei der vorliegend maßgeblichen Zustellung erbracht, sondern lediglich pauschal bestritten, dass die in der Postzustellungsurkunde beurkundeten Angabe, die konkrete Sendung, der Bescheid vom 11. Juli 2016, sei in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt worden, zutreffend sei. Sie hat insbesondere keine näheren Umstände dargelegt, die geeignet sind, ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung zu belegen.
Auch der Vortrag, die Ladung des Verwaltungsgerichts Regensburg für den Großvater ihres Ehemannes sei ursprünglich in „unserer“, also der Post ihres Ehemannes gewesen, sie sei von den Mitarbeitern der Post vertauscht worden, stellt keinen solchen Nachweis dafür dar, dass dem Postzusteller bei der Zustellung ein Fehler unterlaufen ist und die in der Postzustellungsurkunde gemachten Angaben nicht zutreffen. Wie sich aus der bei den Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts befindlichen Postzustellungsurkunde für die Ladung des Großvaters des Ehemannes der Klägerin vom 19. August 2016 zur mündlichen Verhandlung am 13. September 2016 (Bl. 38 der VG-Akte) ergibt, wurde die Ladung nicht – wie die Klägerin behauptet – in den falschen Briefkasten eingelegt, sondern dem Ehemann der Klägerin als Vertretungsberechtigten für den Großvater persönlich übergeben. Dies ist auf der Postzustellungsurkunde auch entsprechend vermerkt. Von einem „Vertauschen“ der Post oder dem Einlegen in den falschen Briefkasten kann danach keine Rede sein.
Der Zusteller, der die Zustellung der Ladung an den Großvater des Ehemannes der Klägerin vorgenommen hat, und der Zusteller, der den Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2016 an die Klägerin zugestellt hat, war im Übrigen ausweislich der jeweiligen Postzustellungsurkunden derselbe. Daher ist auch davon auszugehen, dass dem Zusteller die Tatsache, dass zu den verschiedenen Wohnungen jeweils eigene Briefkasten gehören, bekannt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

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