Verwaltungsrecht

Entlassung von der Schule wegen schweren Fehlverhaltens

Aktenzeichen  M 3 K 14.2368

Datum:
8.11.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG a.F.
BayEUG Art. 87 BayEUG a.F.

 

Leitsatz

Im Hinblick darauf, dass die Entlassung die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme darstellt, die die Schule selbst verhängen kann, hat sich die Entscheidung, ob diese oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, daran zu orientieren, ob ein Verhalten des Schülers im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrages oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der staatlichen Realschule … vom 4. Februar 2014 und ihr Widerspruchsbescheid vom 30. April 2014 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Durchgreifende formelle Fehler im Rahmen des Disziplinarverfahrens sind nicht ersichtlich. Gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 86 Abs. 2 Nr. 9, Art. 87 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Mai 2000 (GVBl S. 414), zuletzt geändert am 13. Dezember 2016 (GVBl S. 335) in der bis zum 29. August 2014 geltenden Fassung (im Folgenden BayEUG a.F.) fiel die Entscheidung in die Zuständigkeit des – insoweit die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrnehmenden – Disziplinarausschusses der Schule. Den vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass er – wie vorgeschrieben – gemäß Art. 87 Abs. 1 BayEUG, §§ 8, 9 Abs. 2 Satz 2 der Schulordnung für die Realschulen (Realschulordnung – RSO) vom 18. Juli 2007 (GVBl, S. 458), zuletzt geändert am 1. Juli 2016 (GVBl S. 193) in der bis zum 29. August 2014 geltenden Fassung, mit der vollen Zahl seiner neun Mitglieder entschieden und einstimmig die Entlassung beschlossen hat.
Der Kläger wurde auch ordnungsgemäß im Verfahren bezüglich der verhängten Ordnungsmaßnahme beteiligt. Ihm und seinen Eltern wurde vor Erlass des Bescheids mit Schreiben vom 13. Januar 2014 Gelegenheit zur persönlichen Äußerung auch vor dem Disziplinarausschuss bezüglich des vorgeworfenen Fehlverhaltens gegeben (Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG a.F). Zudem wurde der Kläger auf die ihm gemäß Art. 86 Abs. 9 Satz 3 BayEUG a.F. eröffnete Möglichkeit, eine Lehrkraft seines Vertrauens einzuschalten, sowie gemäß Art. 87 Abs. 1 Satz 3 BayEUG a.F. die Mitwirkung des Elternbeirats zu beantragen, hingewiesen.
Insoweit ist es nicht notwendig, jedes einzelne Detail der dem Schüler zur Last gelegten Verfehlung zu schildern, sondern es ist ausreichend, den Vorfall in groben Zügen zu schildern, wenn nur aus dieser Schilderung das dem Schüler vorgeworfene Fehlverhalten klar zum Ausdruck kommt. Dies ist in dem Schreiben der Schule vom 13. Januar 2014 ausführlich erfolgt. Das Verhalten des Klägers wird auch in dem angefochtenen Bescheid nicht anders geschildert als in dem Schreiben vom 13. Januar 2014. Zusätzlich werden lediglich teilweise nur vermutete Gründe für das klägerische Verhalten geschildert.
Der Kläger hatte darüber hinaus in der Sitzung des Disziplinarausschusses, im Widerspruchsverfahren sowie in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, zu dem ihm vorgeworfenen Verhalten Stellung zu nehmen, so dass ein etwaiger Anhörungsmangel außerdem gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt wäre.
Auch in materieller Hinsicht ist die Entscheidung des Disziplinarausschusses rechtmäßig.
Die Ordnungsmaßnahme der Entlassung von der Schule, die ihre Rechtsgrundlage in Art. 86 Abs. 2 Nr. 9 BayEUG a.F. findet, darf nach Art. 86 Abs. 7 BayEUG a.F. nur verhängt werden, wenn ein Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat.
Im Hinblick darauf, dass die Entlassung die schwerwiegendste Ordnungsmaßnahme darstellt, die die Schule selbst verhängen kann, hat sich die Entscheidung, ob diese oder eine weniger einschneidende Ordnungsmaßnahme ausgesprochen wird, daran zu orientieren, ob ein Verhalten des Schülers im Hinblick auf die unbeeinträchtigte Erfüllung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags oder wegen des Schutzes Dritter nicht mehr hingenommen werden kann und dem Schüler in dieser Deutlichkeit und Konsequenz vor Augen geführt werden muss, dass sein Verhalten nicht geduldet werden kann. Diese Beurteilung entzieht sich einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt sachnotwendig einen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren pädagogischen Wertungsspielraum. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Entlassung erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Entlassung gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstößt. Der gerichtlichen Überprüfung unterliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat und ob sie ihre Entscheidungen auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten.
Für die Wahl der Ordnungsmaßnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kommt es nach ständiger Rechtsprechung vor allem darauf an, ob und in welchem Maße die Erfüllung des Anstaltszwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurde, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG a.F. niedergelegt ist. Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung. Hierbei hat die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss als deren Unterausschuss darauf zu achten, dass die Ordnungsmaßnahme der Entlassung zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht. Die Entlassung greift empfindlich in die Rechtsstellung des betroffenen Schülers ein und ist mit nicht unerheblichen Nachteilen für ihn verbunden.
Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen erweist sich die von der Schule getroffene Ordnungsmaßnahme als rechtmäßig. Der Kläger hat durch das ihm vorgeworfene schwere Fehlverhalten die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule erheblich gefährdet.
Unstreitig hat sich der Kläger nach seinem eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung während der Unterrichtsstunde entgegen der Arbeitsanweisung der Lehrerin anderweitig beschäftigt, hat eine Wasserflasche durchlöchert, sich von seinem Platz entfernt, um die Wasserflasche auszuleeren und sich trotz entsprechender Anweisung der Lehrerin nicht sofort wieder auf seinen Platz gesetzt. Wie sich aus dem Protokoll der Sitzung des Disziplinarausschusses ergibt, hat der Kläger dort auch zugestanden, der Lehrerin sehr laut und auch aggressiv widersprochen zu haben.
Ebenso gibt der Kläger zu, den Satz „Morgen bringe ich ein Messer mit“ gesagt zu haben. Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob dieser Satz, wie vom Kläger behauptet, aber nicht bewiesen wurde, aus einer Liedzeile stammt, und ob er diesen Satz sofort mit dem weiteren Text „und schlitze mir die Kehle auf“ fortgeführt hat. Das Gericht hat keinerlei Veranlassung, an der Darstellung der betroffenen Lehrerin in deren Gedächtnisprotokoll vom Januar 2014 zu zweifeln, aus dem sich ergibt, dass zumindest die Lehrerin nur den Satz „Morgen bringe ich ein Messer mit“ wahrgenommen hat. Dieser Satz ist eindeutig geeignet, beim Adressaten als Drohung aufgefasst zu werden, dies insbesondere dann, wenn man den vorausgehenden Disput der Lehrerin mit dem Kläger berücksichtigt und den Satz in diesem Kontext sieht. Auch ist nicht davon auszugehen, dass die Lehrerin diesen Satz mit einem Liedtext in Verbindung gebracht hat, da auch der Kläger nicht erwarten konnte, dass Liedtexte aus der Jugendmusikszene allgemein bekannt sind. Es erschließt sich auch nicht, warum der Kläger den Text dieser Liedzeile gerade in dem dargestellten, von ihm auch nicht bestrittenen, Zusammenhang gesagt haben sollte, wenn er nicht wenigstens den Anschein einer Drohung erwecken wollte.
Das bei der Lehrerin nachvollziehbar entstandene Gefühl der Bedrohung wird zusätzlich dadurch verständlich, dass der Kläger im vorangegangenen Schuljahr bereits einmal eine einer echten Waffe täuschend ähnlich scheinende Softairpistole mitgebracht hatte. Zur Beurteilung des klägerischen Verhaltens spielt es letztlich auch keine Rolle, ob das Gefühl der Bedrohung nur bei der Lehrerin oder auch bei Mitschülern des Klägers hervorgerufen wurde, wie dies zumindest nachvollziehbar von der Schule geschildert wird. Eine Bedrohung mit Waffengewalt wird in ihrer Auswirkung nicht durch die Anzahl der davon betroffenen Personen beeinflusst.
Mit der Ordnungsmaßnahme der Entlassung als der schwersten Maßnahme, die von der Schule selbst verhängt werden kann, hat der Disziplinarausschuss einen strengen Maßstab angelegt, dabei aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt. Um das künftige Verhalten des Klägers zu beeinflussen, ist die Maßnahme geeignet und zweckmäßig, da ihm in aller Deutlichkeit vor Augen gehalten wird, dass sein Verhalten nicht hingenommen wird. Sie stellt aber keine übermäßige, in krassem Missverhältnis zu dem angestrebten Zweck stehende Belastung des Klägers dar. Insbesondere durfte die Schule unter Berücksichtigung von Vorfällen von Gewaltakten an Schulen in jüngster Vergangenheit den streitgegenständlichen Vorfall durchaus ernstnehmen. Bei der zu treffenden Ordnungsmaßnahme durfte sie auch generalpräventive Gesichtspunkte berücksichtigen.
Darüber hinaus durfte die Schule bei der Entscheidung darüber, welche Ordnungsmaßnahme angemessen ist, auch berücksichtigen, dass der Kläger im vorangegangenen Schuljahr bereits wegen des Mitbringens einer Softairpistole in die Schule die Androhung der Entlassung erhalten hat.
Unter Berücksichtigung dessen, dass diese vorangegangene Maßnahme nicht zu einer wesentlichen Verhaltensänderung des Klägers geführt haben, und des ganz erheblichen erneuten Fehlverhaltens des Klägers ist die Entlassung des Klägers nicht als unverhältnismäßig zu beurteilen.
Der Disziplinarausschuss hat seine pädagogische Ermessensentscheidung nachvollziehbar dargestellt und begründet. Es sind keinerlei Anzeichen dafür erkennbar, dass sachfremde Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sein könnten.
Aus den dargestellten Gründen war die Klage daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen