Aktenzeichen 6 CS 18.775
Leitsatz
Ein Soldat, der gesetzeswidrig eine nicht genehmigte Nebentätigkeit innerhalb des Dienstes ausübt, erschüttert seine persönliche und dienstliche Integrität, so dass eine Entlassung gerechtfertigt ist. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 21 S 17.4261 2018-03-19 Ent VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 19. März 2018 – M 21 S 17.4261 – wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.402,53 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller trat am 1. Januar 2015 bei der Bundeswehr zur Ableistung eines freiwilligen Wehrdienstes ein. Am 7. Dezember 2015 ernannte die Antragsgegnerin ihn zum Soldaten auf Zeit und setzte seine Dienstzeit auf vier Jahre mit einem Dienstzeitende am 31. Dezember 2018 fest.
Mit Bescheid vom 3. August 2017 entließ die Antragsgegnerin den Antragsteller gemäß § 55 Abs. 5 SG mit dem Tag der Aushändigung des Bescheids (8.8.2017). Zur Begründung führte sie aus, dass er seine Dienstpflichten verletzt habe, indem er Kameraden im Rahmen eines sog. „Schneeballsystems“ als Kunden (einer Versicherungsagentur) zu gewinnen versucht sowie gegenüber mindestens zwei Kameraden wahrheitswidrig und in verleumderischer Absicht behauptet habe, Vorgesetzte erhielten Provisionen einer (anderen) Versicherung. Dies gefährde seine dienstliche Stellung ernstlich. Die Feststellung einer ernstlichen Gefährdung der militärischen Ordnung ergebe sich aus dem zerstörten Vertrauen in Gehorsam, Zuverlässigkeit und Kameradschaft des Antragstellers. Ein ungestörtes Vertrauensverhältnis sei unverzichtbare Grundlage für die Auftragserfüllung der Bundeswehr. Überdies entstehe eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung auch aufgrund der aus seinem Verhalten abzuleitenden Nachahmungsgefahr. Es könnte der Eindruck entstehen, dass der Dienstherr wirtschaftliche Betätigungen von Soldaten im Dienst dulde. Dienstpflichtverletzungen ähnlicher Art durch „Nachahmungseffekte“ wären mit unabsehbaren Auswirkungen auf die allgemeine Disziplin verbunden. Der kameradschaftliche Zusammenhalt der Truppe, auf den die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte wesentlich gründe, würde gefährdet, wenn Soldaten damit rechnen müssten, dass Kameraden ihnen mit privat begründeten wirtschaftlichen Interessen gegenüber träten. Im Lichte seines systematischen Vorgehens könne von einem unverbindlichen Kameradengespräch in Versicherungsfragen nicht ausgegangen werden. Für die Bewertung des Sachverhalts könne dahinstehen, ob er Leistungen des Unternehmens erhalten habe.
Mit Schriftsatz vom 22. August 2017 legte der Kläger Beschwerde gegen den Entlassungsbescheid vom 3. August 2017 ein und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, was die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 24. August 2017 ablehnte.
Am 7. September 2017 hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München beantragt, die aufschiebende Wirkung auf seine Beschwerde vom 22. August 2017 und einer nachfolgenden Klage gegen den Entlassungsbescheid vom 3. August 2017 anzuordnen. Mit Beschwerdebescheid vom 22. September 2017 wies die Antragsgegnerin die Beschwerde zurück. Am 5. Oktober 2017 hat der Antragsteller Klage beim Verwaltungsgericht erhoben und beantragt, den Bescheid der Antragsgegnerin vom 3. August 2017 in der Gestalt des Beschwerdebescheids vom 22. September 2017 aufzuheben. Über diese Klage (M 21 K 17.4759) ist noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 19. März 2018 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die fristlose Entlassung aus dem Soldatenverhältnis auf Zeit abgelehnt und sich zu Recht darauf gestützt, dass die angefochtene Entlassungsverfügung bei summarischer Prüfung nach § 55 Abs. 5 SG rechtmäßig ist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache deshalb voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird. Die Gründe, die mit der Beschwerde fristgerecht dargelegt worden sind und auf deren Prüfung das Gericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. Satz 1 und 3 VwGO), führen zu keiner anderen Beurteilung.
1. Nach § 55 Abs. 5 SG kann ein Soldat auf Zeit während der ersten vier Dienstjahre fristlos entlassen werden, wenn er seine Dienstpflichten schuldhaft verletzt hat und sein Verbleiben in seinem Dienstverhältnis die militärische Ordnung oder das Ansehen der Bundeswehr ernstlich gefährden würde. Die Vorschrift soll die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr gewährleisten. Die fristlose Entlassung stellt ein Mittel dar, um eine Beeinträchtigung der uneingeschränkten Einsatzbereitschaft zu vermeiden. Bereits aus dem Wortlaut des § 55 Abs. 5 SG ergibt sich, dass diese Gefahr gerade als Auswirkung einer Dienstpflichtverletzung des Soldaten drohen muss. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer nachträglichen Prognose zu beurteilen.
Mit dem Erfordernis, dass die Gefährdung der militärischen Ordnung ernstlich sein muss, entscheidet das Gesetz selbst die Frage der Angemessenheit der fristlosen Entlassung im Verhältnis zu dem erstrebten Zweck und konkretisiert so den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar können Dienstpflichtverletzungen auch dann eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung herbeiführen, wenn es sich um ein leichteres Fehlverhalten handelt oder mildernde Umstände hinzutreten. Jedoch ist im Rahmen der Gefährdungsprüfung zu berücksichtigen, ob die Gefahr für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr durch eine Disziplinarmaßnahme abgewendet werden kann. Dies hat die Rechtsprechung im Falle von Affekthandlungen bei geringer Vorbildfunktion des Soldaten angenommen, also in Fällen, in denen eine Wiederholungsgefahr typischerweise nicht besteht und die Dienstpflichtverletzung nicht Teilstück einer als allgemeine Erscheinung auftretenden Neigung zu Disziplinlosigkeit zu werten war (BVerwG, U.v. 24.9.1992 – 2 C 17.91 – juris Rn. 15).
Auf dieser Grundlage haben sich in der Rechtsprechung Fallgruppen herausgebildet, bei denen eine ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung im Sinn des § 55 Abs. 5 SG regelmäßig anzunehmen ist: Dies gilt vor allem für Dienstpflichtverletzungen im militärischen Kernbereich, die unmittelbar die Einsatzbereitschaft beeinträchtigen. Bei Dienstpflichtverletzungen außerhalb dieses Bereichs kann regelmäßig auf eine ernstliche Gefährdung geschlossen werden, wenn es sich entweder um Straftaten von erheblichem Gewicht handelt, wenn die begründete Befürchtung besteht, der Soldat werde weitere Dienstpflichtverletzungen begehen (Wiederholungsgefahr) oder es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die in der Truppe als allgemeine Erscheinung auftritt oder um sich zu greifen droht (Nachahmungsgefahr). Jedenfalls die beiden letztgenannten Fallgruppen erfordern eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzung, um die Auswirkungen für die Einsatzbereitschaft oder das Ansehen der Bundeswehr beurteilen zu können (BVerwG, B.v. 16.8.2010 – 2 B 33.10 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 15.7.2015 – 6 ZB 15.758 – juris Rn. 8 ff. m.w.N.).
2. Gemessen an diesem Maßstab ist die Entlassung des Antragstellers aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten gerechtfertigt und die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden.
a) Der Antragsteller hat wiederholt im Dienst für eine Versicherungsagentur geworben und damit seine Dienstpflichten, insbesondere das Verbot der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten (§ 20 Abs. 1 SG) und die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 Satz 1 SG) schuldhaft verletzt.
Die vom Verwaltungsgericht zu Recht angenommene Verletzung des Verbots der Ausübung ungenehmigter Nebentätigkeiten bestreitet der Antragsteller mit der Begründung, er sei keiner entgeltlichen Nebentätigkeit nachgegangen. Ob die Nebentätigkeit entgeltlich oder unentgeltlich war, ist aber nach dem Gesetz unerheblich, soweit es um gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeiten oder – wie hier vorgetragen – um die unentgeltliche Mitarbeit bei einer dieser Tätigkeiten (§ 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SG) geht. Die Rüge des Antragstellers geht danach fehl.
Der Antragsteller hat durch die nicht genehmigte Nebentätigkeit seine Verpflichtung zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verletzt, da sein Verhalten geeignet war, sowohl die Achtung seiner Kameraden als auch das Vertrauen seiner Vorgesetzten erheblich zu beeinträchtigen. Ein Soldat, der gesetzeswidrig eine nicht genehmigte Nebentätigkeit innerhalb des Dienstes ausübt, erschüttert seine persönliche und dienstliche Integrität.
b) Dem Antragsteller ist zwar keine Dienstpflichtverletzung im militärischen Kernbereich anzulasten. Bei einer einzelfallbezogenen Würdigung der konkreten Dienstpflichtverletzungen besteht aber jedenfalls eine Nachahmungsgefahr, weil es sich bei dem Fehlverhalten um eine Disziplinlosigkeit handelt, die um sich zu greifen droht, und die eine ernstliche Gefahr für die militärische Ordnung und das Ansehen der Bundeswehr darstellt. Für die Bundeswehr besteht daher ein wesentliches Interesse daran, ungenehmigten Nebenbeschäftigungen (nicht nur im Dienst) entgegen zu treten, um eine Nachahmungsgefahr zu mindern. Auf eine Disziplinarmaßnahme als milderes Mittel brauchte der Dienstherr angesichts der gesetzlichen Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 55 Abs. 5 SG nicht zurückzugreifen.
c) Die Antragsgegnerin hat schließlich das ihr eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Bedenken hiergegen sind nicht vorgetragen (und auch nicht ersichtlich). Insbesondere hat die Antragsgegnerin die vorgetragene Unentgeltlichkeit erwogen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).