Verwaltungsrecht

Entziehung des akademischen Grades „Dr. med. dent.“

Aktenzeichen  W 2 K 15.668

Datum:
19.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 143800
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 48
Promotionsordnung für die Medizinische Fakultät der J.-M.-Universität W. vom 10. Juni 2011

 

Leitsatz

1 Aus dem Begriff der selbständigen wissenschaftliche Leistung folgt, dass fremde geistige Hervorbringungen, die zulässigerweise in der Dissertation verwertet werden, als solche eindeutig zu kennzeichnen sind. Ein Zitat darf beim Leser keine Fehlvorstellungen darüber hervorrufen, welchen Umfang es abdeckt (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2015, 49356). (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine etwa 30% einer Dissertation betreffende Kennzeichnung längerer wortwörtlicher Zitate allein durch gelegentliche Fußnoten ist unzureichend und irreführend und führt dazu, dass die Arbeit nicht mehr als selbständige wissenschaftliche Leistung angesehen werden kann. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Beklagte hat den Entzug des Doktorgrades zutreffend auf § 11 Abs. 5 PromO i.Vm. Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG gestützt.
Gem. § 11 Abs. 5 PromO richtet sich die Entziehung des Doktorgrades nach Art. 69 BayHSchG. In Art. 69 BayHSchG ist zwar (explizit) nur die Entziehung des Doktorgrades wegen nachträglicher Unwürdigkeit geregelt. Durch den Hinweis, dass die Regelung „unbeschadet des Art. 48 des Bayerischen Verwaltungs- und Verfahrensgesetzes“ gilt, ist jedoch klargestellt, dass für die Rücknahme eines rechtswidrig zuerkannten Doktortitels die allgemeine Verfahrensvorschrift des Art. 48 BayVwVfG zur Anwendung kommen soll (BayVGH, U.v. 4.4.2006 – 7 BV 05.388 – juris, Rn. 11). Diese genügt auch bei der Rücknahme einer Promotionsentscheidung dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetztes (BVerwG, B.v. 20.10.2006 – 6 B 67/06 – juris, Rn. 4).
1.2. Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig.
Der Promotionsausschuss war gem. Art. 20 Abs. 2 Satz 1, 69 Satz 2, 64 Abs. 1 Satz 5 BayHSchG i.Vm. § 11 Abs. 5 PromO für die Entziehung des Doktorgrades zuständig. Die gem. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung des Klägers ist erfolgt. Das Entzugsverfahren ist auch ansonsten formell ordnungsgemäß durchgeführt worden; Verfahrensfehler sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
1.3. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Voraussetzungen, unter denen ein Doktorgrad nach § 11 Abs. 2 bis 5 PromO i.V.m. Art. 69 BayHSchG i.V.m. Art. 48 BayVwVfG entzogen werden kann, liegen vor.
1.3.1. Die Verleihung des Doktorgrades an den Kläger war rechtswidrig. Die Promotionsschrift des Klägers stellt keine selbstständige wissenschaftliche Arbeit i.S.d. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayHSchG, § 6 Satz 1 PromO dar.
Aus dem Begriff der selbständigen wissenschaftliche Leistung folgt, dass fremde geistige Hervorbringungen, die zulässigerweise in der Dissertation verwertet werden, als solche in einer Weise zu kennzeichnen sind, dass der Leser ohne eigenen Aufwand wie das Nachschlagen von Zitaten in die Lage versetzt wird, fremde geistige Hervorbringungen in der Dissertation zuverlässig von eigenen geistigen Hervorbringungen des Verfassers der Dissertation zu unterscheiden. Ein Zitat darf beim Leser keine Fehlvorstellungen darüber hervorrufen, welchen Umfang es abdeckt (OVG Lüneburg, U.v. 15.7.2017 – 2 LB 363/13 – juris, Rnrn. 104 und 110). Diesen grundlegenden Anforderungen wissenschaftlichen Arbeitens ist der Kläger nicht nachgekommen.
Unstreitig hat der Kläger im dritten und vierten Kapitel seiner Dissertation auf den Seiten 29 bis 42 und 45 bis 46 umfangreiche wörtliche Zitate nicht durch das Setzen von Anführungszeichen oder auf sonstige Weise als wörtliche Zitate gekennzeichnet, sondern lediglich in Fußnoten, meist am Ende eines Absatzes, auf die jeweilige Quelle verwiesen. Das dritte Kapitel der Arbeit (S. 29 – 42), das auch im Titel genannt ist, besteht nahezu vollständig aus einer weitgehend wörtlichen Übernahme von Textpassagen aus zwei Fremdtexten, was jedoch durch das lediglich gelegentliche Setzen von Fußnoten am Ende von Absätzen verschleiert wird. Für den Leser wird dadurch der (falsche) Eindruck erweckt, dass es sich um einen Text des Klägers handle und die verwendeten Formulierungen von ihm selbst herrührten und das Ergebnis seiner eigenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema seien. Dieser Anschein wird durch den gelegentlichen Verweis auf die beiden Fremdtexte in Fußnoten nicht entkräftet. Jedenfalls dann, wenn mehr als nur einzelne Sätze dem Wortlaut nach aus Fremdtexten entnommen werden, sind wortlautgetreue Übernahmen – etwa durch das Setzen in Anführungszeichen oder einen ausdrücklichen Hinweis auf die wortlautgetreue Fremd-entnahme in der Fußnote – als solche kenntlich zu machen. Andernfalls wird bei dem Leser die Fehlvorstellung erzeugt, hier setze sich der Verfasser mit eigenen Worten mit fremden Texten auseinander, wohingegen er tatsächlich nur abschreibt (VG Bremen, B.v. 4.6.2013 – 6 V 1056/12 – juris, Rn. 48 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Verwendung von Fremdtexten ist auch dann hinreichend kenntlich zu machen, wenn es sich um Textpassagen handelt, in denen keine eigenen Wertungen angestellt oder selbstständige Gedankengänge entwickelt werden, sondern lediglich eine Zusammenfassung historischer oder rein tatsächlicher Geschehensabläufe oder Umstände erfolgt. Auch die Aufbereitung und Vermittlung vorgegebener Gegebenheiten kann eine anerkennenswerte wissenschaftliche Leistung darstellen. Überdies wird jeder Prüfer voraussetzen, dass ein Doktorand eine selbstständige Zusammenfassung „in eigenen Worten“ vornimmt und nicht wortwörtlich ganze Abschnitte anderer Autoren übernimmt (VG Bremen, B.v. 4.6.2013 – 6 V 1056/12 – juris, Rn. 46).
Die vom Kläger eingeräumte, etwa 30 Prozent seiner Dissertation betreffende Kennzeichnung längerer wortwörtlicher Zitate allein durch gelegentliche Fußnoten war demnach unzureichend und irreführend und führt dazu, dass die Arbeit nicht mehr als selbständige wissenschaftliche Leistung i.S.v. Art. 64 Abs. 1 BayHSchG, § 6 Satz 1 PromO angesehen werden kann.
1.3.2. Der Kläger hat auch eine Täuschung im Promotionsverfahren i.S.v. § 11 Abs. 2 PromO begangen.
Während Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG nur die objektive Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraussetzt, knüpfen die § 11 Abs. 2 bis 4 PromO an das Vorliegen einer Täuschung bzw. ein vorsätzliches Verhalten an. Zwar hat die Beklagte den Entzug des Doktorgrades lediglich auf ein grob fahrlässiges wissenschaftliches Fehlverhalten des Klägers gestützt. Es kann jedoch dahin stehen, ob dies den Entzug trägt, denn das Vorgehen des Klägers ist als vorsätzliche Täuschung zu werten.
Mit der Vorlage seiner Dissertation hat der Kläger konkludent erklärt – und in seiner ehrenwörtlichen Erklärung vom 1. Mai 2007 auch ausdrücklich versichert – dass es sich dabei um eine selbstständige wissenschaftliche Leistung handelt. Entgegen dieser Erklärung hat er jedoch billigend in Kauf genommen, dass ein erheblicher Teil seiner Arbeit aus nicht als solche gekennzeichneten wörtlichen Fremdtextübernahmen besteht und ihm diese von den Gutachtern und dem Promotionsausschuss irrtümlich als eigene wissenschaftliche Leistung zugeschrieben werden.
Mit seiner Einlassung, er habe bei der Fertigstellung seiner Dissertation im Jahr 2008 nicht mehr gewusst, ob es sich bei seinen handschriftlichen Notizen aus dem Jahr 2003 um wortwörtliche Auszüge aus Quellen oder eigenen Zusammenfassungen der Quellen handelte, eine entsprechende Überprüfung aber aufgrund einer beruflichen Überlastung unterlassen, hat der Kläger selbst eingeräumt, es zumindest billigend in Kauf genommen zu haben, dass ein erheblicher Teil seiner Arbeit aus einer nicht ausreichend gekennzeichneten wortwörtliche Übernahme von Fremdtexten besteht. Das Vorliegend eines bedingten Täuschungsvorsatzes, der in Anlehnung an den Täuschungsbegriff in § 263 StGB ausreichend ist, ist damit belegt.
Auch soweit der Kläger behauptet, die Zitierregeln nicht gekannt zu haben, schließt dies den bedingten Vorsatz nicht aus. Ein Doktorand, der sich nicht über die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens informiert, hält es zumindest für möglich und nimmt es billigend in Kauf, nicht korrekt zu zitieren und damit über den Umfang der eigenen geistigen Leistung zu täuschen (VG Hannover, U.v. 3.11.2016 – 6 A 6114/13 juris, Rn. 40). Überdies musste auch dem Kläger klar gewesen sein, dass es dem Gebot der wissenschaftlichen Redlichkeit widerspricht, 30 Prozent einer Dissertation wortwörtlich aus Fremdtexten zu übernehmen und dies nicht hinreichend kenntlich zu machen.
Durch seine irreführende Zitierweise hat der Kläger bei den beiden Gutachtern sowie dem für die Durchführung des Promotionsverfahrens zuständigen Promotionsausschuss auch einen Irrtum darüber hervorgerufen, dass es sich bei einem erheblichen Teil der Arbeit um eine wörtliche Übernahme von Fremdtexten und keine eigene Leistung des Klägers handelt. Dieser Irrtum war für die Verleihung des Doktorgrades auch kausal, denn dieser wäre ihm sonst für die vorgelegte Arbeit nicht zuerkannt worden. Es kommt hierbei nicht darauf an, ob der Kläger für die eingereichte Dissertation ohne die beanstandenden Seiten oder bei jeweils ordnungsgemäß gekennzeichneter wörtlicher Zitierung der Doktorgrad noch verleihen worden wäre – was angesichts des erheblichen, rund 30 Prozent der Arbeit ausmachenden Umfangs wörtlicher Fremdtextübernahmen und der erfolgten Notengebung ohnehin äußerst fraglich erscheint. Derartige hypothetische Erwägung finden nicht satt. Es ist für die Ursächlichkeit der vom Kläger begangenen Täuschung nicht von Bedeutung, ob ihm für eine andere Arbeit, als er tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre (VG Freiburg, U.v. 23.5.2012 – 1 K 58/12 – juris, Rn. 44)
1.3.3. Die Rücknahme des Doktorgrades ist auch ermessensfehlerfrei (§ 114 VwGO).
Die Beklagte ist von einer vollständig ermittelten Tatsachengrundlage ausgegangen und hat alle widerstreitenden Interessen gewürdigt und gegeneinander abgewogen. Dabei ist es ist nicht zu beanstanden, dass der wissenschaftlichen Rang und das akademische Interesse der Beklagten im Allgemeinen und der Medizin im Besonderen höher bewertet wurden als die beruflichen und gesellschaftlichen sozialen Folgen für den Kläger.
Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger gem. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG nicht berufen, da er die Verleihung des akademischen Grades „Dr. med. dent.“ durch eine bewusste Täuschung über die selbständige Erstellung der Promotionsschrift erwirkt hat, was ein arglistiges Vorgehen darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.2016 – 7 ZB 15.1073 – juris, Rn. 9).
In Anbetracht des erheblichen Umfangs der Zitierverstöße musste auch keine Nachbesserung der Arbeit als gegenüber der Entziehung milderes Mittel erwogen werden. Dies kommt allenfalls bei Bagatellvergehen in Betracht.
Soweit der Kläger einen Ermessensfehler darin sieht, dass die Beklagte es nicht ausreichend berücksichtigt habe, dass sowohl der Doktorvater als auch der Zweitkorrektor erkannt und auch in die Notengebung mit einfließen lassen hätten, dass der Kläger mit der wissenschaftlichen Zitier- und Arbeitsweise erhebliche Probleme habe, jedoch keine stichpunktartige detaillierte Kontrolle der Arbeit vorgenommen und dem Kläger trotz gesehener Mängel auch keinen Hinweis auf Überprüfung der Zitierregeln oder nochmalige Durchsicht zur Auflage gemacht hätten, vermag er damit nicht durchzudringen. Die von den Gutachten festgestellten und monierten Mängel in Form von fehlerhaften Angaben im Literatur- und Abkürzungsverzeichnis gaben keinen Anlass, die Arbeit in Bezug auf eine nicht ordnungsgemäße Kenntlichmachung wörtlicher Zitate zu überprüfen. Auch wurden dem Kläger unstrittig Merkblätter für die korrekte Zitierweise von seinem Doktorvater überreicht. Eine Verletzung der wissenschaftlichen Betreuungspflicht lässt sich insoweit nicht feststellen und würde den Kläger im Übrigen auch nicht von seiner eigenen Verantwortung für die Einhaltung grundlegender Zitierregeln entlasten.
1.3.4. Die Rücknahmemöglichkeit war auch nicht verfristet.
Die Jahresfrist des Art. 48 Abs. 4 Satz 1 BayVwVfG musste nicht gewahrt werden. Sie findet gemäß Art. 48 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 BayVwVfG keine Anwendung, wenn der Verwaltungsakt – wie hier – durch arglistige Täuschung erwirkt wurde. Abgesehen davon, wäre die Jahresfrist zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses noch nicht verstrichen gewesen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der für die Entscheidung zuständige Amtswalter – hier der Promotionsausschuss – vollständige Kenntnis aller für die Rücknahme entscheidungserheblichen Tatsachen erlangt, was erst mit der Anhörung des Klägers vor dem Promotionsausschuss am 15. April 2015 der Fall war.
1.3.5. Als rechtmäßig erweist sich auch die in Ziffer 2 des Bescheides verfügte Rückgabe der Promotionsurkunde nach Unanfechtbarkeit des Bescheides. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 PromO i.V.m. Art. 52 Satz 1 BayVwVfG.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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