Aktenzeichen 10 ZB 18.2471
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1
EMRK Art. 8
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, § 53 Abs. 1, Abs. 2, § 55 Abs. 1 Nr. 4
Leitsatz
1. Die Anhörungsrüge ist ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. (Rn. 3 – 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gewicht, das dem Schutz der Ehe zukommt, relativiert sich, wenn die Eheschließung während der Haft und im Wissen um die Straftaten und die angekündigte oder bereits erfolgte Ausweisungsverfügung, somit im Wissen um eine unsichere Aufenthaltsperspektive, geschlossen wurde. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 24 K 17.5237 2018-11-05 Bes VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Mit der Anhörungsrüge erstrebt der Kläger die Fortführung des Verfahrens über seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. Juni 2018, den der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. November 2018 abgelehnt hat. Mit diesem Urteil hatte das Verwaltungsgericht die Klage gegen seine von der Beklagten mit Bescheid vom 2. Oktober 2017 verfügte Ausweisung abgewiesen.
Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B. v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Der Kläger bringt vor, der Senat sei nicht von dem aktuell relevanten Sachverhalt ausgegangen. Durch die Ausweisung und die Abschiebung sowie durch die Versagung eines Duldungsanspruchs (im Verfahren 10 AE 18.1908) komme es nicht zu einer zeitlich begrenzten Einschränkung der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau, sondern zu einer dauerhaften. Es sei dem Gericht bekannt gewesen, dass ein Zusammenleben des Paares in Afghanistan nicht möglich sei, weil die Ehefrau als westlich erzogene Frau ohne relevante Sprachkenntnisse und ohne eigenen biographischen Bezug zu Afghanistan dort nicht unbeschadet leben könnte. Jedoch werde auch eine Wiedereinreise des Klägers nach Ablauf der Sperrfrist nicht möglich sein, da die Ausländerbehörde, die sich nun durch den Beschluss des Gerichts über das Nichtvorliegen von Duldungsgründen bestätigt sehe, sicherlich im Visumverfahren zum Familiennachzug die Begründung des Gerichts aufgreifen und einwenden werde, dass keine schützenswerte Ehe bestehe.
Damit hat er jedoch eine entscheidungserhebliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG durch den angegriffenen Beschluss des Senats vom 5. November 2018 nicht hinreichend dargelegt.
Aus den Erwägungen des Senats, wonach im Rahmen der Abwägung gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG dem Ausweisungsinteresse (Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe wegen mehrere Betäubungsmittelstraftaten) Vorrang vor dem Bleibeinteresse des Klägers zukommt, kann nicht abgeleitet werden, es handele sich bei der Ehe des Klägers nicht um eine „schützenswerte Ehe“.
Zu dem sich aus seiner Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen sich ergebenden Bleibeinteresse hat der Senat in dem Beschluss vom 5. November 2018 (Rn. 18) ausgeführt:
„Das Verwaltungsgericht hat – unabhängig von dem Fehlen eines typisierten besonders schwer wiegenden Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG – der Ehe des Klägers im Hinblick auf den Schutz durch Art. 6 Abs. 1 GG ein entsprechendes Gewicht beigemessen; dieses Gewicht hat es aber in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung (siehe BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 10 ZB 14.844 – juris Rn. 18) relativiert, weil die Eheschließung erst während der Haft und im Wissen um die Straftaten und die angekündigte und hier auch bereits erfolgte Ausweisung, somit im Wissen um eine unsichere Aufenthaltsperspektive, geschlossen worden ist. Das Gericht hat auch durchaus gesehen, dass der Ehefrau eine Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Afghanistan nicht zuzumuten ist, und deshalb die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG als ermessensfehlerhaft aufgehoben und die Beklagte zur Neuverbescheidung verpflichtet. Dem ist die Beklagte mittlerweile durch den Bescheid vom 26. September 2018 nachgekommen (Befristung auf 36 Monate). Im Hinblick auf die von ihm immer noch ausgehende erhebliche Gefahr der Begehung weiterer schwerer Straftaten sind dem Kläger und seiner Ehefrau auch vor dem Hintergrund des Schutzes durch Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK die sich aus der Ausweisung ergebenden, zeitlich begrenzten Einschränkungen für die Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft zuzumuten.“
Daraus ergibt sich, dass der Senat durchaus gesehen und gewürdigt hat, dass der deutschen Ehefrau eine Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft in Afghanistan nicht zuzumuten ist und dass es deshalb zu entsprechenden Einschränkungen kommen wird. Er hat jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen, dass diese Einschränkungen zuzumuten sind, weil sie zeitlich beschränkt sind. Wenn der Kläger nach Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Visum zum Familiennachzug (§ 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) beantragt, haben die dann zuständigen Behörden zu prüfen, ob die allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind. Welches Gewicht der Ehe im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG bei der Ausweisung zugemessen worden ist, ist dann nicht mehr relevant.
Im Ergebnis wendet sich der Kläger gegen die Tatsachenwürdigung des Senats, was jedoch einer Anhörungsrüge nach § 152a VwGO nicht zum Erfolg verhelfen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).