Aktenzeichen Au 5 E 17.31530
GG GG Art. 103 Abs. 1
VwVfG VwVfG § 51 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3
AsylG AsylG § 4, § 71
Leitsatz
1 Mit der Anhörungsrüge kann nur geltend gemacht werden, dass der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise durch das Gericht verletzt worden ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Soweit gerügt wird, dass das Gericht unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweis- und Erkenntnismittel zum Ergebnis hätte gelangen müssen, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen, betrifft dies eine rechtliche Bewertung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen, welches einer Anhörungsrüge nicht zugänglich ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 E 17.31264 2017-03-14 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Anhörungsrüge des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. März 2017 (Az. Au 5 E 17.31264) wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der am … 1989 in … (Afghanistan) geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger mit Volkszugehörigkeit der Tadschiken und sunnitischem Glauben. Vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland lebte der Antragsteller in …(Afghanistan).
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 14. Juni 2016 wurde der Asylerstantrag des Antragstellers abgelehnt. Auf die Gründe des diesbezüglichen Bescheides wird verwiesen. Dem Antragsteller wurde die Abschiebung nach Afghanistan bzw. in einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht.
Die vom Antragsteller gegen die Entscheidung des Bundesamtes erhobene Klage wurde mit Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. August 2016 (Az. Au 6 K 16.30946) abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
Ein gegen die vorbezeichnete Entscheidung gerichteter Antrag auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25. Januar 2017 abgelehnt (Az.: 13a ZB 16.30374). Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
Am 9. Februar 2017 stellte der Antragsteller beim Bundesamt einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag). Weiter begehrte der Antragsteller das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach Afghanistan.
Mit Bescheid des Bundesamts vom 21. Februar 2017 wurde der Antrag des Antragstellers auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) In Ziffer 2 wurde auch der weitergehende Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 14. Juni 2016 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) abgelehnt.
In den Gründen ist ausgeführt, dass der Antrag unzulässig sei, da die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht vorlägen. Ein Asylantrag sei unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrages nach § 71 Asylgesetz (AsylG) ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei. Ein weiteres Asylverfahren gemäß § 71 Abs. 1 AsylG sei nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) erfüllt seien, folglich zu Gunsten des Antragstellers Wiederaufgreifensgründe vorlägen. Es sei bereits nicht ersichtlich, warum der Antragsteller ohne grobes Verschulden außerstande gewesen sein könnte, seinen jetzt geltend gemachten psychischen Zustand nicht schon im Erstverfahren geltend zu machen. Aus dem im Verfahren vorgelegten Attest gehe u.a. hervor, dass eine psychische Beeinträchtigung seit der Kindheit gegeben sei. Zu dieser habe der Antragsteller weder im Verfahren vor dem Bundesamt noch im Erstverfahren etwas vorgetragen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG seien ebenfalls nicht gegeben. Was eine akute Suizidalität im Falle einer Rückführung ins Heimatland angehe, so handele es sich hierbei zudem um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, welches sich der Zuständigkeit des Bundesamtes entziehe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG seien stets nur solche Umstände, die sich der Sache nach aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten ließen und damit in Gefahren begründet lägen, welche dem Asylbewerber im Zielstaat der Abschiebung drohten (zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote). Würden die befürchteten negativen Auswirkungen jedoch allein durch die Abschiebung als solche und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung eintreten, so handele es sich um ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis. Die im Erstbescheid erlassene Abschiebungsandrohung sei weiter gültig und vollziehbar.
Auf den weiteren Inhalt des Bescheides des Bundesamtes vom 21. Februar 2017 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsteller hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 7. März 2017 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Bundesamtes vom 21. Februar 2017 aufzuheben (Az. Au 5 K 17.31263). Über die vorbezeichnete Klage ist noch nicht entschieden worden.
Ein vom Antragsteller gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. März 2017 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 20. März 2017 hat der Antragsteller beantragt,
dem Antragsteller und Rügeführer das bisher vorenthaltene rechtliche Gehör zu gewähren und das mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. März 2017, Az. Au 5 E 17.31264 – zugestellt am 17. März 2017 – beendete Eilverfahren mit Ziel der einstweiligen Aussetzung der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf dieser Grundlage fortzuführen.
Zur Begründung ist vorgetragen, dass der Beschluss vom 14. März 2017 den Kläger und Antragsteller in eklatanter Weise in seinem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletze. Mit Schriftsätzen vom 7. März 2017 und 9. März 2017 sei umfassend vorgetragen worden, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorlägen und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen sei. Unter Auswertung einer Vielzahl von Beweisen/Erkenntnismittel aus dem Jahr 2016/2017 sei vorgetragen, dass im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG bestehe und der Antragsteller hiervon besonders betroffen sei, wodurch ihm eine individuelle Bedrohung des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG drohe. Insbesondere sei auch vorgetragen worden, dass offizielle Äußerungen von UNHCR regelmäßig eine beachtliche Rechtsauffassung darstellten. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg stütze sich auf eine veraltete Tatsachengrundlage und ignoriere den Vortrag des Antragstellers zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG. Das Vorgehen des Gerichts sei unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und verletze den Antragsteller in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Zum anderen sei ein vom Antragsteller vorgelegtes Attest vom 13. November 2016 nicht berücksichtigt worden. Der Antragsteller leide demnach an einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Episode. Diesbezüglich führe das Gericht aus, aus diesem Attest würden sich hauptsächlich inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse ergeben, außerdem hätten die psychischen Erkrankungen bereits im Erstverfahren geltend gemacht werden können. Vorliegend drohe dem Antragsteller bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben und damit eine Verletzung des hohen Schutzguts des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Auf den weiteren Vortrag im Antragsschriftsatz vom 20. März 2017 wird ergänzend verwiesen.
Die Antragsgegnerin hat dem Gericht die einschlägige Verfahrensakte bereits im Verfahren Au 5 E 17.31264 vorgelegt; ein Antrag wurde nicht gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akten der Verfahren Au 5 E 17.31264, Au 5 K 17.31263 und die von der Antragsgegnerin vorgelegten Verfahrensakten im Erst- und Folgeverfahren Bezug genommen.
II.
Da die Anhörungsrüge der gerichtlichen Selbstkorrektur dient, hat das Gericht in der Besetzung der Ausgangsentscheidung zu entscheiden, so dass hier gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG der Einzelrichter entscheidungsbefugt ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 22 CS 15.1055 – juris Rn. 4). Die gerichtliche Überprüfung ist dabei auf den gerügten Gehörsverstoß und seine Kausalität für die getroffene Entscheidung beschränkt (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2016 – 10 C 16.1214 – juris; B.v. 7.11.2016 – 10 BV 16.962 – juris).
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet.
Gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Zwar ist gegen den gerichtlichen Beschluss vom 14. März 2017 im Verfahren Au 5 E 17.31264 gemäß § 80 AsylG kein Rechtsbehelf gegeben, das rechtliche Gehör des Antragstellers wurde jedoch nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt (vgl. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, entscheidungserhebliche Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen. Ein Gehörsverstoß liegt aber nicht schon dann vor, wenn das Gericht dem Beteiligtenvorbringen nicht folgt, sondern es aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lässt oder es anders beurteilt, als der betroffene Beteiligte es für richtig erachtet. Art. 103 Abs. 1 GG bietet keinen Schutz vor einer (vermeintlich) falschen Sachverhalts- oder Beweiswürdigung oder einer (angeblich) falschen rechtlichen Einschätzung durch das Gericht. Im Ergebnis nichts anderes gilt, wenn der Beteiligte ein Vorbringen als übergangen vermutet, weil er eine nähere Auseinandersetzung des Gerichts mit seinen Ausführungen vermisst. Diesbezüglich ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das ihm unterbreitete Vorbringen auch tatsächlich zur Kenntnis nimmt und berücksichtigt (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 188/09 – juris Rn. 9). Zum anderen begründet Art. 103 Abs. 1 GG zumal bei mit ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angreifbaren Entscheidungen keine Pflicht der Gerichte, jedes Vorbringen der Verfahrensbeteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (vgl. BVerwG, B.v. 13.1.2009 – 9 B 64.08 – juris Rn. 3). Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes hat der Antragsteller einen Gehörsverstoß nicht aufgezeigt.
Im Wesentlichen rügt der Antragsteller, dass aufgrund der in den Schriftsätzen des Antragstellers vom 7. bzw. 9. März 2017 benannten Beweis- bzw. Erkenntnismittel und hier insbesondere den Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministerium des Innern vom Dezember 2016 das erkennende Gericht zum Ergebnis hätte gelangen müssen, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu Gunsten des Antragsteller vorlägen. Dies betrifft eine rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG zu Gunsten des Antragstellers, welches einer Anhörungsrüge nicht zugänglich ist.
Im Übrigen trifft es nicht zu, dass das Gericht in der beanstandeten Entscheidung vom 14. März 2017 die von der Antragstellerseite geltend gemachten Erkenntnismittel nicht berücksichtigt hätte. In Rn. 30 der angegriffenen Entscheidung gelangt das Gericht zu der Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung der genannten Erkenntnismittel nicht vom Vorliegen eines landesweit bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen sei. In Rn. 36 der beanstandeten Entscheidung führt das Gericht darüber hinaus aus, dass Stellungnahmen und Einschätzungen von Organisationen wie UNHCR und Pro Asyl auf von diesen Organisationen selbst angelegten Maßstäben beruhen, aber nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts entsprechen. An dieser Rechtsprechung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch im Nachgang der vom Antragsteller maßgeblich angeführten Stellungnahme des UNHCR vom Dezember 2016 mehrfach festgehalten. Auf die Entscheidungen vom 8. Februar 2017 (BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 13a ZB 17.30016 – juris Rn. 7) und vom 25. Januar 2017 (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 11) wird verwiesen. Gerade auch im Zulassungsverfahren des Antragstellers selbst (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – Az. 13a ZB 16.30374) hat sich das Berufungsgericht ungeachtet der im dortigen Verfahren bereits vorgelegten neuen Erkenntnismittel gerade nicht zu einer Neubewertung der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG hinsichtlich eines landesweit existierenden innerstaatlich bewaffneten Konflikts in Afghanistan veranlasst gesehen.
Das vom Antragsteller im Verfahren vorgelegte fachärztliche Attest vom 13. November 2016 wurde im Rahmen der getroffenen Entscheidung vom 14. März 2017 berücksichtigt. Eine Neubewertung auf die erhobene Anhörungsrüge des Antragstellers ist nicht angezeigt. Auch insoweit handelt es sich lediglich um divergierende Rechtsansichten hinsichtlich eines vorgelegten Beweismittels, die einer Anhörungsrüge nicht zugänglich sind.
Der gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfreie Antrag gemäß § 152a VwGO i.V.m. § 123 Abs. 1 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO, § 80 AsylG).