Verwaltungsrecht

Erfolglose Anhörungsrüge wegen Beschwerdeentscheidung vor Ablauf der Begründungsfrist

Aktenzeichen  3 CE 16.2314

Datum:
24.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 146 Abs. 4 S. 1, § 152a Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Ein Beschwerdeführer kann die gesetzliche Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO zwar grundsätzlich voll ausschöpfen. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Gerichte, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, lässt sich die Begründungsfrist in besonders eilbedürftigen Sachen jedoch nicht ausschöpfen, sofern die Erledigung des Rechtsstreits durch Zeitablauf droht. (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung eines Beamten tritt durch ein Verstreichen des ursprünglich angesetzten Untersuchungstermins im Grundsatz keine Verfahrenserledigung ein, da im Rahmen der Anordnung jederzeit neu ein Untersuchungstermin festgesetzt werden kann (Verweis auf BayVGH BeckRS 2015, 52676). Anderes gilt jedoch, wenn die Untersuchungsanordnung selbst bereits den Untersuchungstermin enthält (Verweis auf BayVGH BeckRS 2013, 45740). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Das Polizeipräsidium München hat den Antragsteller mit Schreiben vom 3. November 2016 aufgefordert, sich am 8. November 2016, 8.45 Uhr, einer amtsärztlichen Untersuchung zur Überprüfung der uneingeschränkten Polizeidienstfähigkeit zu unterziehen. Hintergrund dieser Anordnung war, dass im Rahmen eines laufenden Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz der Verdacht aufgekommen war, dass der Antragsteller Anabolika konsumiert; mögliche Nebenwirkungen sollten daher polizeiärztlich eingeschätzt und abgeklärt werden.
Der Antragsteller beantragte mit Telefax vom 7. November 2016 im Wege der einstweiligen Anordnung, ihn vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung frei zu stellen. Mit sog. Tenorbeschluss vom gleichen Tag gab das Verwaltungsgericht dem Antragsgegner auf, den Antragsteller vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer anderen als einer allgemein-internistischen Untersuchung freizustellen. Im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt.
Der Beschluss wurde dem Bevollmächtigten des Antragstellers um 16.12 Uhr per Telefax gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Hiergegen legte der Antragsteller am späten Nachmittag Beschwerde ein. Anträge und Begründung sollten mit gesondertem Schriftsatz erfolgen.
Der Senat lehnte die Beschwerde mit Beschluss vom 7. November 2016 ab. Wegen des für den nächsten Morgen angeordneten Untersuchungstermins und der fehlenden Beschwerdebegründung könne nur eine summarische Interessenabwägung erfolgen. Diese gehe zu Lasten des Antragstellers aus.
Der vollständige Beschluss des Verwaltungsgerichts wurde dem Antragsteller am 17. November 2016 zugestellt.
Unter dem 21. November 2016 erhob der Antragsteller Anhörungsrüge und beantragte das Beschwerdeverfahren nach § 152a Abs. 1 VwGO fortzuführen. Der Senat habe die Begründung der Beschwerde, die innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu erfolgen habe, nicht abgewartet. Dadurch werde der Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Es habe im Hinblick auf den unmittelbar bevorstehenden Untersuchungstermin keine Notwendigkeit zu einer sofortigen Entscheidung über die Beschwerde bestanden.
II.
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 7. November 2016 ist unbegründet. Aus den Darlegungen des Antragstellers in dem Schriftsatz vom 21. November 2016 ergibt sich nicht, dass der Senat bei der Zurückweisung der Beschwerde den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hätte (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, seine Entscheidung nur auf Tatsachen oder Beweisergebnisse zu stützen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), sowie deren rechtzeitige und möglicherweise erheblichen Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie aus verfahrens- oder materiellrechtlichen Gründen nicht ausnahmsweise unberücksichtigt bleiben müssen oder können (vgl. BayVGH, B.v. 18.4.2016 – 11 CE 16.499 – juris Rn. 2 m.w.N.).
Zwar weist der Antragsteller zu Recht darauf hin, dass er die gesetzliche Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO grundsätzlich voll ausschöpfen kann. Vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Gerichte, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, lässt sich die Begründungsfrist in besonders eilbedürftigen Sachen jedoch nicht ausschöpfen, sofern die Erledigung des Rechtsstreits durch Zeitablauf droht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 18).
So liegt der Fall hier. Legt der durch einen Rechtsanwalt vertretene Beschwerdeführer – wie hier – Beschwerde bereits gegen den Tenorbeschluss des Verwaltungsgerichts ein, deutet schon dies auf eine besondere Eilbedürftigkeit hin, da andernfalls die Zustellung des regulär begründeten Beschlusses hätte abgewartet werden können. Zwar tritt nach der Rechtsprechung des Senats durch ein Verstreichen des ursprünglich angesetzten Untersuchungstermins keine Verfahrenserledigung ein, da streitbefangen die grundlegende Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung ist, im Rahmen derer jederzeit neu ein Untersuchungstermin festgesetzt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 3 CE 15.1042 – juris Rn. 24). Hier bestand indes einerseits die Besonderheit, dass die Untersuchungsanordnung selbst bereits den Untersuchungstermin enthält (vgl. B.v. 12.12.2012 – 3 CE 12.2121 – juris Rn. 32) und damit nicht nur eine grundlegende Anordnung darstellt, andererseits ist es allgemeinkundig, dass die Nachprüfung der Frage, ob Anabolika konsumiert worden sind, sinnvollerweise nur zeitnah in Betracht kommt. Dementsprechend hat die Landesanwaltschaft im Anhörungsrügeverfahren zu Recht darauf hingewiesen, dass die verfahrensgegenständliche Untersuchungsanordnung nicht Grundlage für weitere Untersuchungstermine sein wird. Die Untersuchungsanordnung hat sich damit – wie im Entscheidungszeitpunkt des Senats absehbar – am Morgen des 8. November 2016 erledigt. Aus diesem Grund war der Senat gehalten, sofort über die Beschwerde zu entscheiden, um das streitige Verhältnis zwischen Antragsteller und Antragsgegner und die Verpflichtung zur Befolgung der streitigen Anordnung zu klären. Dies war der Eilbedürftigkeit der Sache geschuldet, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Antragsteller die Möglichkeit gehabt hätte, über sein erstinstanzliches Vorbringen, das der Senat zur Kenntnis genommen hat, Weiteres vorzutragen.
Soweit sich der Antragsteller im Rahmen der Anhörungsrüge gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Kenntnis der nachgereichten Begründung wendet, kann dies seiner Anhörungsrüge nicht zum Erfolg verhelfen. Wegen der eingetretenen Erledigung des Rechtsstreits durch Zeitablauf fehlt es jedenfalls an einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise (§ 152a Abs. 1 Nr. 2 VwGO), weil ein Anordnungsgrund für den nachgesuchten einstweiligen Rechtsschutz nicht mehr erkennbar ist. Auf eine Fortsetzungsfeststellung gerichtete Begehren sind im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühr unmittelbar aus dem Gesetz (Nr. 5400 der Anlage 1 zum GKG) ergibt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).

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