Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage afghanischer Staatsangehöriger

Aktenzeichen  Au 5 K 17.30611

Datum:
6.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17984
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3 Abs. 1, § 3e, § 4

 

Leitsatz

1 Selbst wenn die Gruppe Ghulam Yahya den Taliban nahesteht, lässt sich hieraus keine landesweite Verfolgung herleiten. Die Tätigkeit der Gruppe dürfte auf die Provinz Herat beschränkt sein. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Weder für die westliche Region Afghanistans noch für die zugehörige Provinz Herat besteht die für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erforderliche Gefahrendichte. (Rn. 31 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt,, wird abgelehnt.

Gründe

Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage der Kläger ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten übereinstimmend mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Der Entscheidung ist dabei die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu Grunde zu legen, § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG.
Die zulässige Klage ist in der Sache nicht begründet.
Der Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung im schriftlichen Verfahren keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Es ist den Klägern auch nicht der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Bescheid des Bundesamtes vom 23. Januar 2017 mit der Klage angegriffen wurde, ist dieser rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen im Fall der Kläger nicht vor.
a) Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3 c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3 c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3 c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3 e Abs. 1 AsylG).
Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag aufgrund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Gemessen an diesen Maßstäben konnten die Kläger und insbesondere der Kläger zu 1 eine individuelle Verfolgung nicht glaubhaft machen. Eine asylrechtlich-relevante Vorverfolgung im Sinne der §§ 3, 3b AsylG ist für die Kläger und hier insbesondere den Kläger zu 1 nicht festzustellen. Dies selbst bei Wahrunterstellung des klägerischen Vortrages. Diesen zugrunde gelegt und für glaubwürdig erachtet, bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob der Vortrag des Klägers zu 1 an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal im Sinne der §§ 3, 3b AsylG anknüpft. Bei der vom Kläger zu 1 geschilderten Bedrohung seiner Familie durch die Gruppe Ghulam Yahya und der von dieser erhobenen Forderungen dürfte es sich – wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid festgestellt hat – um kriminelles Unrecht handeln, diesbezüglich die Kläger auf die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes zu verweisen sind. Im Übrigen erachtet das Gericht den Vortrag des Klägers zu 1 und eine eventuelle Vorverfolgung allenfalls als lokal begrenzt. Eine landesweite Furcht vor Verfolgung für die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan lässt sich hieraus nach Überzeugung des Gerichtes nicht ableiten. Dies insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Kläger nach ihrem eigenen Vorbringen Afghanistan bereits im Jahr 2010, spätestens 2011 verlassen haben und der Kläger zu 1 zu diesem Zeitpunkt seine berufliche Tätigkeit für die Security-Firma, die in der Begleitung von Benzin- bzw. Diesel-Transporten bestand, dauerhaft aufgegeben hat. Fortan haben die Kläger nach ihrem eigenen Vorbringen bis zur endgültigen Ausreise drei Jahre lang im Iran gelebt. Das zum jetzigen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung eine Bedrohung für den Kläger zu 1 und dessen Familie fortbestehen könnte, ist für das Gericht nicht naheliegend. Zum einen hat der Kläger zu 1 die Tätigkeit, an die eine eventuelle Vorverfolgung angeknüpft hat, bereits vor sieben bzw. acht Jahren endgültig aufgegeben. Selbst wenn die Gruppe Ghulam Yahya den Taliban nahesteht, lässt sich hieraus keine landesweite Verfolgung der Kläger ableiten. Die vom Kläger zu 1 geschilderte Bedrohung ist eng mit der vormaligen beruflichen Tätigkeit des Klägers zu 1 verbunden. Dass nach Aufgabe dieser Tätigkeit und dem Verlassen des Landes spätestens im Jahr 2011 derzeit noch eine Bedrohungslage fortbestehen könnte, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Zumal auch die Tätigkeit der Gruppe Ghulam Yahya auf die Provinz Herat beschränkt sein dürfte. Da es mithin am Vorliegen einer asylrechtlich-relevanten Verfolgung im Sinne der §§ 3, 3b AsylG fehlt bzw. für das Gericht nicht ersichtlich ist, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan erneut von Verfolgung anknüpfend an die §§ 3, 3b AsylG genannten Merkmale bedroht wären, war die Klage diesbezüglich abzuweisen.
2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Die Kläger haben nicht glaubhaft machen können, dass ihnen bei einer Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
a) Es ist nicht zu erwarten, dass den Klägern bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG) drohen könnten. Die Kläger haben hierzu bereits keine Tatsachen vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht.
Auch führt die Lage in Afghanistan gesamtbetrachtend nicht dazu, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zu gewähren wäre (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2018 – 13a ZB 17.30687 – nicht veröffentlicht; B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris; B.v. 8.11.2017 – 13a ZB 17.30615 – juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris; U.v. 12.2.2015 – 13a B 14.30309 – juris; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167).
b) Die Kläger haben aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG, wonach von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor, weil dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen Situation keine erheblichen individuellen Gefahren aufgrund willkürlicher Gewalt landesweit drohen. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen zur Sicherheitslage in Afghanistan (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 31. Mai 2018 S. 4) erreicht der einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt jedenfalls in Kabul bzw., im Herkunftsort der Kläger, kein solches Niveau, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (s. hierzu auch BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 13a ZB 17.30099 – juris; B.v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris; B.v. 10.6.2013 – 13a ZB 13.30128 – juris; U.v. 15.3.2013 – 13a B 12.30406 – juris; U.v. 20.1.2012 – 13a B 11.30394 – juris). Individuelle, gefahrerhöhende Umstände, die zu einer Verdichtung der allgemeinen Gefahren im Rahmen eines bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Person der Kläger führen, sind nicht ersichtlich.
Gesamtbetrachtend fehlt es jedenfalls an der für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erforderlichen Gefahrendichte. In der westlichen Region Afghanistans, zu der auch die Provinz Herat zählt, aus der die Kläger stammen, wurden nach Angaben der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) im Jahr 2017 insgesamt 998 Zivilpersonen getötet oder verletzt. Ausgehend von einer Einwohnerzahl von insgesamt ca. 3,5 Mio in dieser Region (vgl. VG München, U.v. 11.7.2017 – M 26 K 17.30939 – juris Rn. 29), ergibt sich ein jährliches Risiko von 1:3507, verletzt oder getötet zu werden. Selbst bei einer Verdreifachung der Anzahl der Verletzten und Getöteten aufgrund einer hohen Dunkelziffern, ergäbe sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1196, was nach dem vom Bundesverwaltungsgericht gebilligten Maßstab (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22; nachfolgend auch: BayVGH, U.v. 21.1.2010 – 13a B 08.30285 – juris Rn. 27) keine erhebliche individuelle Gefahr darstellt.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man bei alleiniger Betrachtung der Provinz Herat. Dort gab es im Jahr 2017 insgesamt 495 verletzte oder getötete Zivilisten, davon 238 Tote und 257 Verletzte (nach UNAMA Halbjahresbericht 2017, S. 67). Bei einer Bevölkerungszahl in der Provinz Herat von ca. 1,9 Mio Einwohnern entspricht auch dies keinem für eine Schutzgewährung ausreichendem Risiko, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dieses läge bei 1:3838, bei einer hypothetischen Verdreifachung bei 1:1279 (vgl. zum Ganzen VG Kassel, U.v. 19.2.2018 – 7 K 475/16.KS.A – juris Rn. 75, 76).
Dies zugrunde gelegt war die Zuerkennung subsidiären Schutzes an die Kläger abzulehnen.
Damit war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung erfolgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.
4. Der von den Klägern gestellte Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung (§ 166 VwGO, § 121 Zivilprozessordnung – ZPO) war abzulehnen, da ungeachtet des Vorliegens der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

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