Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines äthiopischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  AN 3 K 17.31501

Datum:
19.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 6919
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3

 

Leitsatz

1 Allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland führt bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht zu staatlichen Repressionen. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Personen, die sich in der Bundesrepublik so exponiert für die Oromo-Organisationen bzw. die mit ihnen verbundenen Parteien betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen, müssen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierter Verfolgung rechnen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die im Hauptantrag auf die Verpflichtung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) beschränkte Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid vom 10. März 2017 ist im Umfange des Klagebegehrens rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Ihm steht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zu.
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling i.S.d. Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung, wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Ergänzend hierzu bestimmt § 3a AsylG die Verfolgungshandlungen, § 3 AsylG die Verfolgungsgründe, § 3c AsylG die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, § 3d AsylG die Akteure, die Schutz bieten können und § 3e AsylG den internen Schutz. § 3a Abs. 3 AsylG regelt ausdrücklich, dass zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. den in § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und Abs. 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen muss.
Ausschlussgründe, wonach ein Ausländer nicht Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, sind in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG geregelt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des AufenthG.
Unter Würdigung dieser Voraussetzungen steht bei Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG unterfallende Gefährdungen drohen.
Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende vielfach hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich dieser Vorgänge für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung. Dies bedeutet, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen muss, die auch nicht völlig auszuschließende Zweifel mit umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977, Buchholz 402.24, § 28 AuslG Nr. 11; U.v. 16.4., 1.10. und 12.11.1985, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG Nrn. 32, 37 und 41).
Dabei ist der Beweiswert der Aussage des Asylbewerbers im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Er muss jedoch andererseits von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 20.10.1987, Buchholz 310, § 86 Abs. 3 VwGO, Nr. 37; B.v. 21.07.1989, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 113).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
a. Gemessen an den dargestellten Grundsätzen konnte der Kläger nicht glaubhaft darlegen, dass er unmittelbar vor seiner Ausreise Maßnahmen staatlicher Stellen in Anknüpfung an in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Gründen ausgesetzt war und dass er Opfer von Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG geworden ist.
Seine Schilderungen sind insgesamt nicht glaubhaft. Der Kläger konnte schon nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb er nicht in Besitz von Dokumenten ist, die seine Identität nachweisen können. Die Angaben hierzu machte er nur zögerlich und verwies darauf, er sei illegal ausgereist und bereits seit dem sechsten Lebensjahr ohne Personaldokumente gewesen. Dieses Vorbringen erscheint lebensfremd.
Nicht schlüssig erklären konnte der Kläger außerdem, warum das politische Engagement für die OLF erst mit dem Umzug nach … begonnen haben soll. Dass er in … eine Arbeit hatte, kann diesbezüglich nicht als nachvollziehbarer Grund angesehen werden. Unglaubhaft ist schließlich, dass alle Mitglieder seiner Gruppe anlässlich des Treffens in seiner Wohnung am 19. Oktober 2014 die Mitgliedsausweise der OLF mitführten.
Insgesamt blieben die Schilderungen des Klägers auch in der mündlichen Verhandlung sehr vage und detailarm. Dass es ohne weiteren Anlass zu einem Übergriff durch Polizisten auf den Kläger gekommen sein soll, der ihn für 25 Tage ins Krankenhaus brachte, jedoch nicht wieder ins Gefängnis, aus dem er gegen Bestechungsgeldzahlungen seitens des Onkels entlassen worden war, kann nur mit der Möglichkeit erklärt werden, zu konstruieren, wie trotz drohender staatlicher Verfolgung eine Flucht aus Äthiopien möglich gewesen sein soll. Dass der Kläger keinerlei Angaben zu den erlittenen Kopfverletzungen machen konnte, bestärkt die erheblichen Zweifel an der Glaubwürdigkeit seines Vorbringens.
b. Dem demnach nicht vorverfolgt aus Äthiopien ausgereisten Kläger droht auch aufgrund seiner exilpolitischen Betätigung für die TBOJ/UOSG als einfaches Mitglied nicht für den Fall seiner Rückkehr ins Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung durch staatliche Stellen.
In der äthiopischen exilpolitischen Szene gibt es zahlreiche Gruppierungen. Insgesamt ist den verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zu entnehmen, dass die äthiopische Regierung die Aktivitäten der äthiopischen Exilorganisationen genau beobachtet bzw. durch die Auslandsvertretungen beobachten lässt. Dem Auswärtigen Amt liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass allein die Betätigung für eine oppositionelle Organisation im Ausland bei der Rückkehr nach Äthiopien zu staatlichen Repressionen führt. Grundsätzlich kommt es darauf an, ob eine Organisation von den äthiopischen Stellen als terroristisch angesehen und welche Art exilpolitischer Aktivität festgestellt wird (führende Position, Organisation gewaltsamer Aktionen). Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass jedenfalls Personen, die sich exponiert politisch betätigt haben, mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen haben. Dagegen ist eine Verfolgung von nicht herausgehobenen exilpolitischen tätigen Personen nicht beachtlich wahrscheinlich. Zwar steht die exilpolitische Vereinigung der TBOJ/UOSG, der der Kläger angehört, der Oromo-Befreiungsfront (OLF) nahe und ist mit dieser politisch eng verbunden. Die Oromo-Organisationen bzw. die mit ihnen verbundenen Parteien werden von den Sicherheitskräften des äthiopischen Staates besonders aufmerksam beobachtet. Personen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert betätigen, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen, müssen bei einer Rückkehr nach Äthiopien mit politisch motivierten Verfolgungshandlungen rechnen (OVG NRW, U.v. 17.8.2010 – 8 A 3806/05.A – juris; VGH München, B.v. 14.7.2015 – 21 ZB 15.30119 – juris; VGH München, U.v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 – juris). Die OLF wird von der äthiopischen Regierung als terroristische politische Gruppierung angesehen (Auswärtiges Amt, Lagebericht Äthiopien vom 6. März 2017, S. 9). Wer in führender oder verantwortlicher Stellung in einer solchen Organisation tätig war bzw. ist oder dessen verdächtigt wird, muss mit Strafverfolgung wegen terroristischer Aktivitäten rechnen (ebenda).
Nach eigenem Vortrag fällt der Kläger nicht in den beschriebenen Personenkreis. Er gibt an, einfaches Mitglied der TBOJ/UOSG zu sein und an Veranstaltungen teilzunehmen.
Weitergehende Angaben zu den Inhalten seines Engagements konnte der Kläger nicht machen. Er beschränkte sich hier auf allgemein bekannte oberflächliche Angaben und vermittelte nicht den Eindruck, überhaupt politisch interessiert zu sein.
Das Gericht verkennt nicht, dass sich die politische Situation seit 2015 in Äthiopien noch einmal verschärft hat und dass wohl auch nach Aufhebung des Ausnahmezustands im August 2017 nicht von einer spürbaren innenpolitischen Entspannung im Umgang mit regierungskritischen Gruppierungen ausgegangen werden kann (Günter Schröder, Stellungnahme gegenüber RAin B., Frankfurt vom 20. November 2017).
Aus der auch den Entscheidungen des VG Würzburg vom 24. Juli 2017 (W 3 K 17.30710) und 23. November 2017 (W 3 K 17.32586) zugrundeliegenden Auskunftslage, wie sie sich aus der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen ergibt, kann nicht der Schluss gezogen werden, dass jedwede exilpolitische Betätigung – auch von untergeordneter Bedeutung oder aus rein asyltaktischen Gründen – zur Zuerkennung internationalen Schutzes führen müsste, da die Schwelle der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ staatlicher Verfolgung auch aufgrund der neueren Entwicklungen in Äthiopien nicht angenommen werden kann. Dass politische Verfolgung nicht ausgeschlossen werden kann, genügt nicht den Anforderungen an die „beachtliche Wahrscheinlichkeit“ im Einzelfall.
Ein besonnener Betrachter kann im Hinblick auf Art und Umfang der nach den vorliegenden Erkenntnissen stattgefundenen Vorkommnisse nicht den Schluss ziehen, dass allgemein Mitglieder der TBOJ/UOSG einer im Rahmen des § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG relevanten Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien ausgesetzt sein werden. Von einer Unzumutbarkeit der Rückkehr (so zum Maßstab der „Verfolgungsgefahr“ grundlegend BVerwG, U.v. 5.1.1991 – 9 C 118.90 -, juris sowie BVerwG, U.v. 20.3.2013 – 10 C 20.12 – juris; BVerwG, B.v. 15.8.2017 – 1 B 120.17 – juris) ist somit – so die Rechtsauffassung des Gerichts unter Zugrundelegung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen – nicht auszugehen.
Dies steht auch in Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes und der im Beschluss vom 14. November 2017 – 21 B 17.31340 – zum Ausdruck kommenden möglichen Beibehaltung dieser Rechtsprechung.
In diesem Beschluss wird u.a. folgendes ausgeführt:
„Dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts liegt, die Beklagte zeigt das zutreffend auf, folgender Tatsachengrundsatz zugrunde: Bekennen sich äthiopische Asylbewerber zu einer Exilorganisation (hier: TBOJ/UOSG), die einer vom äthiopischen Staat als terroristisch eingestuften Vereinigung nahesteht und weisen sie für diese Exilorganisation ein Mindestmaß an Aktivität vor, haben sie für den Fall ihrer Rückkehr nach Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zu erwarten. Das Urteil weicht damit von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes ab und beruht auf dieser Abweichung. Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Juli 2015 (21 B 15.30119 -juris) seine bisherige Rechtsprechung (vgl. U.v. 25.2.2008 – 21 B 07.30363 und 21 B 05.31082 – juris) fortgeführt und bezüglich eines Mitglieds der UOSG (TBOJ) auf folgende engere tatsächliche Voraussetzungen für eine Rückkehrgefährdung bei exilpolitischer Betätigung äthiopischer Staatsangehöriger verwiesen: Bei einer Rückkehr nach Äthiopien müssen solche Personen mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen rechnen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland derart exponiert politisch betätigt haben, dass die äthiopischen Behörden sie als ernsthafte Oppositionsangehörige einstufen.“
Gemessen an diesen Grundsätzen droht dem Kläger nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung seitens des äthiopischen Staates. Nach eigenem Vorbringen betätigt er sich nicht exponiert exilpolitisch, sondern ist einfaches Mitglied. Mit seinen Einlassungen zeigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung keine politisch überzeugte Haltung. Dass sein Engagement in Deutschland von einem ernsthaften politischen Willen getragen ist, war nicht erkennbar.
2. Auch die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
3. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte das ihr im Rahmen des § 11 Abs. 1 und 3 AufenthG eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, bestehen nicht und wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Klage war demnach abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.

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