Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines Algeriers

Aktenzeichen  W 8 K 18.30553

Datum:
16.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 35290
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
AsylG § 3, § 4, § 25
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Nach der Rspr. des BVerwG stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, nur dann eine flüchtlingsrelevante erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung des Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung und eines sonst asylerheblichen Merkmals treffen sollen, was jedoch nicht gilt, wenn die verhängte Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft (BVerwG, NVwZ 2017, 1204 m.w.N.).(Rn. 28 – 32) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte entschieden werden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 6. März 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO). Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht kommt aufgrund der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – zu dem Ergebnis, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien keine politische Verfolgung oder sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht (vgl. auch BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 15 ZB 18.32711 – juris; B.v.14.8.2018 – 15 ZB 18.31693 – juris).
Ein Ausländer darf gemäß § 3 ff. AsylG nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Verfolgungshandlungen müssen an diese Gründe anknüpfend mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377). Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen, muss er eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger hinsichtlich seiner eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
Dem Kläger ist es nicht gelungen, die für seine Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr (politischer) Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand bzw. besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht.
Das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt, dass eine Verfolgung des Klägers aufgrund seiner politischen Überzeugung wegen der Teilnahme an und Organisation von Demonstrationen nicht feststellbar sei. In Algerien bestehe ein generelles Demonstrationsverbot. Nach der Auskunftslage lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die algerische Regierung das Dienstpflichtstrafrecht als Instrument des politischen Kampfes verwende. Dienstpflichtige, die der Einziehung durch Flucht ins Ausland zuvorgekommen seien, würden zur Ableistung des Wehrdienstes den Militärbehörden übergeben und keiner Bestrafung unterzogen. Eine Wehrdienstentziehung führe nur dann zur flüchtlingsschutzrelevanter Verfolgung, wenn besondere, als staatsgefährdend eingestufte Handlungen dazukämen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen einer Wehrdienstbefreiung aufgrund seines Alters. Auch eine Strafverfolgung wegen Desertion stelle keine flüchtlingsschutzrelevante Verfolgung dar.
Ergänzend ist auszuführen:
Zunächst ist darauf festzuhalten, dass der mittlerweile fast 35 Jahre alte Kläger nach der aktuellen Auskunftslage nicht mehr zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet ist, da eine solche Verpflichtung in Algerien nur für Männer im Alter zwischen 19 und 30 Jahren besteht (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12. März 2018, S. 13). Nach derzeitiger Erkenntnislage ist nicht ersichtlich, dass es selbst für Personen, die sich der Wehrdienstpflicht entzogen haben, zu einer Verlängerung des Einzugszeitraums über das Lebensalter von 30 Jahren hinaus kommt.
Abgesehen davon, dass der Kläger mittlerweile fast 35 Jahre alt und damit nicht mehr wehrpflichtig ist und auch nichts zu ihn konkret betreffenden Strafverfahren berichtet hat, zumal er wohl auch nicht wehrtauglich ist, droht ihm jedenfalls keine politische Verfolgung.
Eine Wehrdienstentziehung begründet die Annahme einer solchen Gefahrenlage nicht. Zwar kann als Verfolgungshandlung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylG die unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung als Verfolgung gelten. Dies gilt auch bei einer unverhältnismäßigen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung. Jedoch ist festzuhalten, dass jeder Staat das Recht hat, eine Streitkraft zu unterhalten, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst in dieser Streitkraft heranzuziehen und Personen, die sich dem Wehrdienst entziehen, angemessen zu bestrafen.
Nach der aktuellen Auskunftslage ist die Wehrdienstentziehung in Algerien strafbar. In Algerien wird nach dem Militärstrafgesetzbuch die Wehrdienstentziehung mit Freiheitentziehung von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft. Nach Algerien zurückgekehrte Wehrpflichtige werden zur Ableistung des Wehrdienstes den Militärbehörden überstellt. Alle über 27-jährigen, die sich nicht auf strafbare Weise dem Wehrdienst entzogen haben, sind künftig nicht mehr einzuziehen. Strafbar ist dagegen die Entziehung nach Zustellung eines Einberufungsbescheides, der auf der Grundlage der Registrierung bei den Meldebehörden erstellt wird (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 14 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 13 f.). Dies rechtfertigt jedoch nicht die Gewährung von Flüchtlingsschutz.
Denn selbst die Gefahr einer möglichen Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung begründet weder einen Anspruch auf Asyl- noch auf Abschiebungsschutz. Denn die Einforderung staatsbürgerlicher Rechte, wie der Militärdienstleistungspflicht, stellt für sich alleine noch keine politische Verfolgung dar. Ebenso wenig handelt es sich bei den aus der Verweigerung dieser Pflichten resultierenden Konsequenzen wie der strafrechtlichen Ahndung und der zwangsweisen Durchsetzung der Wehrpflicht schon um Maßnahmen politischer Verfolgung. Nur wenn die Strafverfolgung aus politischen Gründen verschärft ist, kann es sich um eine politische Verfolgung handeln. Für die Annahme eines solchen Politmalus sind im Falle des Klägers jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stellen die an eine Wehrdienstentziehung geknüpften Sanktionen, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen, nur dann eine flüchtlingsrelevante erhebliche Verfolgung dar, wenn sie nicht nur der Ahndung des Verstoßes gegen eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht dienen, sondern darüber hinaus den Betroffenen auch wegen seiner Religion, seiner politischen Überzeugung und eines sonst asylerheblichen Merkmals treffen sollen. Die gilt jedoch nicht, wenn die verhängte Sanktion an eine alle Staatsbürger gleichermaßen treffende Pflicht anknüpft (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.2017 – 1 B 22/17 – NVwZ 2017, 1204 m.w.N.). Eine möglicherweise so drohende Gefängnisstrafe begründet kein Abschiebungshindernis.
Die Einberufung zum Dienst und die Entziehung vom Wehrdienst stellen in Algerien keine politische Verfolgung dar. Die Einberufung wird nicht diskriminierend angewandt, sondern trifft alle männlichen Algerier in gleicher Weise. Eine fehlende politische Verfolgung belegt auch ein Umkehrschluss aus § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG. Aus den vorliegenden Erkenntnissen ist nicht ersichtlich, dass die Bestrafung sowie die Heranziehung zum Wehrdienst eine asylerhebliche Zielrichtung zu Grunde läge (ebenso VG Lüneburg, U.v. 26.1.2017 – 6 A 257/16 – AuAS 2017,65; VG Gelsenkirchen, U.v. 18.5.2016 – 7a K 881/16.A – juris sowie insbesondere SächsOVG, U.v. 11.7.2001 – A 4 B 4197/99 – SächsVBl. 2002, 133).
Vorliegend beschränkt sich die Ahndung der Wehrdienstentziehung nicht auf die Unterdrückung politisch oder religiös missliebiger Personen. Zudem hat der Kläger zu einer möglichen politischen Verfolgung insoweit nichts Greifbares vorgebracht. So fehlt sowohl für die Wehrdienstentziehung ein asylerhebliches Motiv des Klägers als auch für die Ahndung der Wehrdienstentziehung durch den algerischen Staat eine asylerhebliche Zielrichtung. Für einen Politmalus ist nichts ersichtlich.
Soweit der Kläger weiter er vorbringt, es sei in Algerien nicht sicher für Personen wie ihn, die ihre Meinung äußerten und an Demonstrationen für Menschen- und Arbeiterrechte teilnähmen, fehlt diesem Vorbringen an flüchtlingsrelevanter Substanz. Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage wird in Algerien die Meinungsäußerung relativ frei zugelassen, wenngleich kritische Meinungen von staatlicher Seite weitgehend ignoriert werden. Seit Beginn der Proteste im Februar 2019 haben aber auch staatliche Medien Vertretern von Opposition und Zivilgesellschaft mehr Raum gegeben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S.10). Auch wenn es wegen Kritik an der Regierung teilweise zu Belästigungen oder Verhaftungen kommt (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S.14), hat der Kläger nichts Substanziiertes vorgebracht, dass und aus welchem Grund gerade konkret ihm bei einer Rückkehr nach Algerien wegen der früheren Äußerung seiner Meinung oder wegen früherer Organisation von bzw. Teilnahme an Demonstrationen noch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit irgendwelche Repressalien drohen sollten.
Weiter ist auch nicht anzunehmen, dass dem Kläger sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen seines Auslandsaufenthalts oder seiner Asylantragstellung in Deutschland (VG Stuttgart, U.v. 27.1.2015 – A 5 K 4824/13 – juris). Eine betreffende Strafverfolgung verfolgt jedenfalls keine asylerhebliche Zielsetzung (kein Politmalus), selbst wenn eine illegale Ausreise, also ein Verlassen des Landes ohne gültige Papiere, mit einer Bewährungsstrafe oder einer Geldstrafe geahndet werden kann (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 22). Zudem ist zweifelhaft, ob das Gesetz in der Praxis auch angewendet wird, da die algerischen Behörden erklärt haben, dass Gesetz solle nur abschreckende Wirkung entfalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 27). Aber selbst eine drohende Bestrafung wäre weder flüchtlings- noch sonst schutzrelevant.
Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung drohen könnte, und die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung einer Abschiebung nicht entgegenstehen (§ 60 Abs. 6 AufenthG).
Des Weiteren liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Auch insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, die sich das Gericht zu eigen macht, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Das Gericht ist insbesondere auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sowie des eigens eingeholten forensisch-psychiatrischen Gutachtens vom 19. Mai 2019 mit der ergänzenden Äußerung des Gutachters vom 30. September 2019 nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien eine erheblich konkrete Gefahr für Leib oder Leben infolge einer lebensbedrohlichen bzw. schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, besteht.
Das Gericht ist auf der Basis des eingeholten forensisch-psychiatrischen Gutachtens des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin, Schloss Werneck, vom 19. Mai 2019 mit Ergänzung vom 30.September 2019 und des Vorbringens des Klägers insbesondere nicht davon überzeugt, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegt. In dem forensisch-psychiatrischen Gutachten ist ausführlich und plausibel dargelegt, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur unter gewissen Voraussetzungen angenommen werden kann, die nach Überzeugung des Gerichts nicht vorliegen. So verweist das Gutachten auf Seite 74 schon zutreffend auf widersprüchliche Darstellungen des angeblichen traumaauslösenden Ereignisses. Vor allem aber ist eine PTBS deshalb zu verneinen, wie auf Seite 76 des Gutachtens ausgeführt wird, weil die relevanten Symptome erst mehr als zwei Jahre nach dem Ereignis begonnen haben, ohne dass dafür besondere Gründe ersichtlich wären. Der Gutachter hat weiter plausibel festgestellt, dass der Kläger an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode (ICD-10: F33.1) leidet, wobei die depressive Symptomatik durch die angegebenen Traumata in ihrer Ausgestaltung modifiziert sein könnten (S. 77 des Gutachtens). Des Weiteren ist laut Gutachten auch ein enger Zusammenhang mit den polizeilichen Übergriffen unwahrscheinlich, genauso wie ein Zusammenhang mit der Bombardierung bzw. dem Bombenanschlag unwahrscheinlich ist, da die ersten Symptome nach Angaben des Klägers mehr als zwei Jahre nach dieser Bombardierung aufgetreten sind.
Schließlich vermerkt das Gutachten auf Seite 78 unten, dass sich die depressive Erkrankung verschlimmern kann, wenn der Kläger inhaftiert werden sollte. Dies kann auch zu einer akuten Suizidalität führen, wie diese auch bei Gesunden im Rahmen von Inhaftierung der Fall sein kann. Die Gefahr ist bei Bestehen einer Depression erhöht. Der Gutachter hat dazu in seinem ergänzenden Schreiben vom 30. September 2019 auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich konkretisiert, dass dies eine ernsthafte Gefahr ist. Er hat sich jedoch nicht der Lage gesehen, zu sagen, dass der Kläger unter diesen Umständen, insbesondere, wenn er inhaftiert wird, tatsächlich einen Suizidversuch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit begehen wird. Vielmehr hat er ausdrücklich angemerkt, dass die Gefahr wahrscheinlich nicht höher ist als bei anderen depressiven Patienten, die inhaftiert werden. Genauso wenig hat der Gutachter zur Überzeugung des Gerichts festgestellt, dass bei der schlichten Rückkehr oder Abschiebung eine ernsthafte Selbstmordgefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit besteht. Vielmehr hat der Gutachter angemerkt, dass sich ein Suizidrisiko bei einer adäquaten Therapie in seinem Heimatland reduzieren würde.
Zusammenfassend steht nach Überzeugung des Gerichts nicht fest, dass die für die Annahme einer PTBS erforderlichen Kriterien beim Kläger zweifelsfrei vorliegen. Und genauso wenig besteht nach der nachvollziehbaren und plausiblen Darlegung des sachverständigen Gutachters eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer akuten Leib- oder Lebensgefahr für den Kläger. Dies geht zu Lasten des Klägers.
Des Weiteren ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Algerien tatsächlich eine Inhaftierung droht. Zudem kann er eventuelle gesundheitliche Gefahren durch entsprechende medizinische Behandlung, insbesondere durch die Einnahme von Medikamenten, deutlich reduzieren kann. Konkret für die diagnostizierte Depression ist eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben, etwa, weil bei einer Rückkehr nach Algerien eine Verschlimmerung der Leiden droht oder eine akute Suizidgefahr eintreten würde, zu verneinen, da entsprechende Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Denn das Gericht geht nach der Auskunftslage davon aus, dass in Algerien grundsätzlich ausreichende Behandlungsmöglichkeiten – beim Kläger insbesondere durch die Einnahme der für die Behandlung seiner psychischen Erkrankung erforderlichen Medikamente – bestehen. Die Medikamente sind jeweils grundsätzlich verfügbar und für den Kläger auch erreichbar. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 11 ff. sowohl zu den Behandlungsmöglichkeiten als auch zu den finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten in Algerien im Einklang mit der Erkenntnislage stehende zutreffende Ausführung gemacht, auf die Bezug genommen werden kann.
Ergänzend wird angemerkt, dass das Gericht davon ausgeht, dass die für den Kläger erforderliche Behandlung, insbesondere Medikamente in Algerien zugänglich sind, entweder kostenlos bzw. unter Zuzahlungen, die dem Kläger möglich sind. Die für die Zuzahlung erforderlichen finanziellen Mittel kann der Kläger entweder durch staatliche oder private finanzielle Unterstützung oder durch eigene Arbeit erlangen. Der Kläger hat insbesondere selbst betont, dass ihm ärztlicherseits sogar ausdrücklich geraten wurde, sich eine Arbeit zu suchen, um sich zu beschäftigen. Er hat auch in Deutschland schon entsprechende Bewerbungen geschrieben, die jedoch abgelehnt worden sind.
Die Behandlung von Erkrankungen – der Kläger macht insbesondere geltend: Depression – ist in Algerien gewährleistet. Denn nach der vorliegenden Erkenntnislage ist die medizinische Grundversorgung mit einem für die Bürger weitgehend kostenlosen Gesundheitssystem auf niedrigem Niveau sichergestellt. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht oft nicht europäischem Niveau. Krankenhäuser, in denen schwierige Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es in den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt. Die Versorgung mit Standard-Medikamenten ist zumindest in den Städten gewährleistet. Für mehrere Medikamente und medizinische Geräte ist der Import verboten, um die algerische Produktion zu stärken. Obwohl viele Medikamente als lokal produzierte Generika verfügbar sind, kommt es immer noch zu Presseberichten über einen Mangel an bestimmten Medikamenten in den Apotheken. Die Sozial- und Krankenversicherungen ermöglichen staatlichen Krankenhäusern eine grundsätzlich kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten oder von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 20 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 25 ff.).
Erkrankungen rechtfertigen zudem grundsätzlich nicht die Annahme einer Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie der Gesetzgeber mittlerweile ausdrücklich klargestellt hat. Eine erheblich konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung unmittelbar wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 Sätze 2 bis 4 AufenthG). Neben diesen materiellen Kriterien hat der Gesetzgeber zudem in § 60a Abs. 2c AufenthG prozedurale Vorgaben für ärztliche Atteste zur hinreichenden Substantiierung des betreffenden Vorbringens aufgestellt (vgl. Kluth, ZAR 2016, 121; Thym, NVwZ 2016, 409 jeweils mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Der Ausländer bzw. die Ausländerin muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen sowie dem Vorbringen des Klägers ist nicht ersichtlich, dass die Erkrankungen des Klägers – wie auch schon früher – nicht auch in Algerien behandelt bzw. weiterbehandelt werden könnten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung wiederholt angegeben, dass er schon in Algerien eine Behandlung bzw. Medikamente erhalten habe.
Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung des Klägers stellen sich bei einer Rückkehr nach Algerien auch nicht anders dar wie vor der Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage.
Selbst wenn die Behandlungsmöglichkeiten in Algerien schlechter sein mögen als in der Bundesrepublik Deutschland, bleibt festzuhalten, dass eventuell alsbald und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohenden wesentlichen bzw. lebensbedrohenden Gesundheitsverschlechterungen im Rahmen des algerischen Gesundheitssystems begegnet werden kann und muss. Der Kläger ist gehalten, sowohl die Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssowie Sozialsystems auszuschöpfen, als auch gegebenenfalls auf private Hilfemöglichkeiten, etwa durch Verwandte oder Hilfsorganisationen, zurückzugreifen, um eventuelle Gesundheitsgefahren zu vermeiden bzw. jedenfalls zu minimieren. Der Kläger ist bei einer Rückkehr nach Algerien nicht zwingend auf sich allein gestellt bzw. nicht allein und ohne Unterstützung; vielmehr kann er gegebenenfalls auch auf seine (Groß-)Familie zurückgreifen. Der Kläger verfügt über Verwandte, insbesondere Onkel in Algerien, an die er sich wenden könnte.
Letztlich muss sich der Kläger grundsätzlich auf den in seinem Heimatstaat vorhandenen Versorgungsstandard im Gesundheitswesen verweisen lassen. Chronisch Erkrankte haben keinen Anspruch auf eine optimale Behandlung ihrer Erkrankung. Dies gilt insbesondere auch für eine etwaige Behandlung der Folgeerkrankungen. Der Verweis auf den Standard im Heimatland gilt nicht nur für die Grunderkrankung, sondern auch für die Folgeerkrankungen einschließlich der dafür erforderlichen Medikation. Ein Anspruch auf eine optimale Behandlung besteht nicht. Selbst wenn die Qualität der Medikamente und der Behandlung der Erkrankung des Klägers hinter der in Deutschland zurückbleibt, verschafft dies dem Kläger nicht ein Bleiberecht in Deutschland.
Schließlich ist noch zu betonen, dass nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen und schwerwiegenden Erkrankungen vorliegt, die sich durch die Abschiebung wesentlichen verschlechtern würden. Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustands alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – BVerwGE 127, 33). Für die Annahme einer solchen unmittelbar eintretenden Gefahr fehlen greifbare Anhaltspunkte, wenn sich der Kläger den Möglichkeiten des algerischen Gesundheitssystems unterwirft.
Im Ergebnis begründet die Erkrankung des Klägers kein Abschiebungsverbot, zumal er schon in der Vergangenheit medikamentös in Algerien behandelt worden ist und bei einer Rückkehr in sein Heimatland erforderlichenfalls von der Ausländerbehörde die zur Überwindung von Übergangsschwierigkeiten erforderlichen Medikamente für einen gewissen Zeitraum zur Verfügung gestellt bekommen kann (ebenso VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris m.w.N.; vgl. auch VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris. Kritisch SächsOVG, B.v. 19.8.2019 – 3 B 83/19 – juris in einem Sonderfall).
Das Gericht hat des Weiteren keine durchgreifenden Zweifel, dass dem Kläger im Anschluss an seiner Rückkehr die Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz möglich sein wird. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich eine Arbeit zu suchen, bzw. es besteht die Möglichkeit der Unterstützung von noch in Algerien lebenden Familienmitgliedern (etwa Onkel), so dass er sich jedenfalls sein Existenzminimum sichern kann. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der wirtschaftlichen und sozialen Lage Algeriens, wie auch das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ausgeführt hat. In Algerien ist die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und auch die medizinische Grundversorgung gewährleistet (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 25.6.2019, Stand: Mai 2019, S. 8 f., 20 f.; BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Algerien vom 12.3.2018, S. 24 ff.). Der Kläger ist noch jung und erwerbsfähig; ihm ist zuzumuten, zur Sicherung seines Existenzminimums den notwendigen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu verdienen und gegebenenfalls auf die Unterstützung durch Familienangehörige der in Algerien noch lebenden (Groß-)Familie zurückzugreifen. Letztlich ist dem Kläger eine (Re-)Integration in die Lebensverhältnisse seines Heimatstaates möglich und zumutbar (im Ergebnis ebenso VG Minden, B.v. 30.8.2019 – 10 L 370/19.A – juris; U.v. 28.3.2017 – 10 K 883/16.A – juris; U.v. 22.8.2016 – 10 K 821/16.A – juris; BVerwG, U.v. 15.4.2019 – 1 C 46/18 – InfAuslR 2019, 309; U.v. 27.3.2018 – 1 A 5/17 – Buchholz 402.242 § 58a AufenthG Nr. 12; VG Stade, U.v. 1.4.2019 – 3 A 32/18 – juris; VG Magdeburg, U.v. 6.12.2018 – 8 A 206/18 – juris; VG Köln, B.v. 24.8.2016 – 3 L 1612/16.A – juris).
Darüber hinaus gibt es Rückkehr- und Starthilfen für freiwillige Rückkehrer nach Algerien sowie weitere Integrationsprogramme, auf die auch schon das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 11 hingewiesen hat.
Gesamtbetrachtet liegen nach Überzeugung des Gerichts nach alledem die Voraussetzungen für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
Im Übrigen wird auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Dies gilt auch hinsichtlich der Begründung der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzuweisen.

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