Aktenzeichen M 12 K 17.48599
AsylG § 3, § 4
VwGO § 84 Abs. 1
AufenthG § 11 Abs. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 1
EMRK Art. 3
Leitsatz
1 Auch angesichts der schwierigen Lebensumstände in Nigeria sind Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK, wonach eine Abschiebung dann verboten ist, wenn dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, aktuell nicht ersichtlich (vgl. VG Aachen BeckRS 2017, 116630) (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Bei mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK im Sinne der Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. BVerwG BeckRS 2012, 59390). (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Die für eine verfassungskonforme Anwendung von § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein nigerianischer Asylbewerber bei seiner Rückkehr nach Nigeria alsbald einer existenzbedrohenden Mangellage ausgesetzt wäre, liegt aktuell nicht vor. (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Der Vortrag, dass sich das Immunsystem eines in Deutschland geborenen Kindes nicht an die nigerianischen Verhältnisse anzugleichen vermag, erweist sich für sich genommen als vage und unsubstantiiert und führt nicht zu der Annahme, im Falle der Rückkehr nach Nigeria entstünde eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. (Rn. 21) (red. LS Clemens Kurzidem)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
Nach § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Der Kläger wurde hierzu angehört.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, ihm die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen oder zu seinen Gunsten das Vorliegen der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Auch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung (Ziffer 5. des Bescheids) sowie der Befristungsentscheidung (Ziffer 6. des Bescheids) bestehen keine Zweifel.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid und sieht im Hinblick darauf von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird lediglich Folgendes ausgeführt:
Der Kläger hat weder Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a Abs. 1 GG, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Die sich auf die Eltern des Klägers beziehenden Umstände, von denen das Gericht im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass diese auch zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht werden, haben rechtmäßig nicht zur Gewährung eines flüchtlingsrechtlichen oder abschiebungsrelevanten Schutzes bei den Eltern und Geschwistern geführt. Insoweit wird auf deren Verfahren und das in diesem Verfahren ergangene Urteil Bezug genommen, dessen Begründung sich das Gericht insoweit vollumfänglich anschließt (VG München, U.v. 23.4.2018 – M 12 K 17.35350). Eigene individuelle Gründe des Klägers für eine politische Verfolgung, eine begründete Furcht vor Verfolgung oder einen drohenden ernsthaften Schaden wurden weder vorgetragen noch sind sie für das Gericht ersichtlich.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Anhaltspunkte für das Vorliegen eines – nationalen – Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, wonach eine Abschiebung dann verboten ist, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung landesweit droht, sind nicht ersichtlich (vgl. VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A – juris). Eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure droht dem Kläger landesweit nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (s.o.). Anhaltspunkte für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG lassen sich auch nicht aus den schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria ableiten. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 – 70% lebt unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris).
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person des Klägers zwingend gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Für den Kläger kann auch auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Der Vater des Klägers verfügt über eine Berufsausbildung und mehrjährige Berufserfahrung. Es wird auf das Verfahren der Eltern und Geschwister des Klägers und das in diesem Verfahren ergangene Urteil Bezug genommen, dessen Begründung sich das Gericht vollumfänglich anschließt (VG München, U.v. 23.4.2018 – M 12 K 17.35350).
Ein (nationales) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Insoweit wird auf die Ausführungen Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichende Versorgungslage, sind hingegen bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, vgl. U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – BVerwGE 99, 324/328; U.v. 19.11.1996 – 1 C 6/95 – BVerwGE 102, 249/258 f.; U.v. 8.12.1998 – 9 C 4/98 – BVerwGE 108, 77/80 f.; U.v. 12.7.2001 – 1 C 2/01 – BVerwGE 114, 379/382; U.v. 29.6.2010 – 10 C 10/09 – BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2006 – 1 B 60/06, 1 B 60/06 (1 C 21/06) – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).
Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage für den Kläger sind nach den obigen Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.
Soweit die Klägerbevollmächtigte vorgetragen hat, dass das Immunsystem des Klägers nicht an nigerianische Verhältnisse anzugleichen sei, verbleibt der Vortrag völlig wage und unsubstantiiert und es kann nicht ansatzweise die Rede davon sein, allein dies führe im Falle einer Rückkehr nach Nigeria zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib und Leben.
Die Abschiebungsandrohung und die festgesetzte Ausreisefrist entsprechen §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG und sind damit rechtmäßig.
Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im mittleren Bereich der zulässigen Befristungsdauer. Die Eltern und Geschwister des Klägers befinden sich mangels rechtskräftigen Abschluss ebenfalls noch im Asylverfahren und haben kein darüber hinausgehendes Aufenthaltsrecht.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).