Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage eines nigerianischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  M 9 K 17.39288

Datum:
20.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 8145
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Die mit der allgemein schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren in Nigeria führen zu keinem Abschiebungsverbot im Hinblick auf Art. 3 EMRK. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten aufgrund der mündlichen Verhandlung am 20. April 2018 entschieden werden. In der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (die Anerkennung als Asylberechtigter wurde nicht beantragt), auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 20. April 2017 ist daher rechtmäßig. Es wird insoweit zunächst in vollem Umfang auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Dabei ist es Sache des Schutzsuchenden, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
Das Gericht hat zunächst durchgreifende Zweifel an der Glaubhaftigkeit des vom Kläger vorgetragenen Vorbringens zu den Gründen seines Weggangs aus Nigeria. Abgesehen von weiteren Ungereimtheiten liegen beim Kläger erhebliche Steigerungen und Widersprüche im Vortrag in der mündlichen Verhandlung im Vergleich zu seinem Vorbringen in der Anhörung vor dem Bundesamt vor. Das gilt insbesondere hinsichtlich des Vortrags zu seinem Onkel, wobei es sich um einen zentralen Bestandteil des (Verfolgungs-)Vorbringens des Klägers handelt, bei dem eine konsistente und widerspruchsfreie Darstellung zu erwarten ist. Im Falle des Fehlens einer entsprechenden Darstellung bei fehlender nachvollziehbarer Erklärung hierfür fehlt es an der Glaubhaftmachung der behaupteten Umstände. So liegt der Fall hier. Auf den Vorhalt in der mündlichen Verhandlung, dass die Darstellung in Bezug auf den Onkel komplett von der Darstellung in der Anhörung abweicht – dort hatte der Kläger noch angegeben, er sei mit seinem Onkel ausgereist und dieser sei dann bei der Überfahrt nach Italien verschwunden, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sein Onkel bereits in Nigeria in Danburu getötet oder dort einfach verschwunden sei –, hat der Kläger lediglich angegeben, dass es sich plötzlich um zwei Onkel handeln würde, obwohl er bei der Anhörung vor dem Bundesamt mit keinem Wort erwähnt hat, dass es zwei Onkel seien, sondern er durchgehend nur von einem Onkel gesprochen hat. Dass ihn der Dolmetscher beim Bundesamt nicht richtig verstanden habe, hat der Kläger nicht substantiiert glaubhaft gemacht, abgesehen davon, dass er bei der Anhörung ausdrücklich bestätigt hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben hat, außerdem hat er nach Rückübersetzung die aufgenommene Niederschrift unterschrieben.
Unabhängig davon kommt eine Flüchtlingsanerkennung des Klägers schon deswegen nicht in Betracht, weil es in Ansehung des geltend gemachten Vorbringens dazu, warum der Kläger Nigeria verlassen hat – der Kläger hat lediglich allgemeine Sicherheitsbedenken als Christ im muslimisch geprägten Norden Nigerias, insbesondere wegen der Boko Haram behauptet, ohne aber selbst in eigener Person Umstände geltend zu machen, die eine Vorverfolgung begründen –, bereits an einer Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG fehlt, unabhängig davon, ob sein Vorbringen dem Kläger geglaubt wird. Das Vorbringen des Klägers hat mit einer Verfolgung aus religiösen Gründen nichts zu tun, ebenso wenig knüpft es an eines der anderen asylerheblichen Merkmale im gesetzlichen Sinn an.
Wiederum unabhängig davon gilt hinsichtlich der behaupteten drohenden Verfolgung, dass zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen ist, dass in diesem Fall ganz offensichtlich eine inländische Fluchtalternative besteht bzw. interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG). Es steht außer Frage, dass der Kläger nach einer Rückkehr nach Nigeria in einen anderen Landesteil als den muslimisch dominierten Norden ziehen könnte, wo er beispielsweise die Boko Haram – unterstellt, dass das insoweit angegebene Vorbringen stimmen würde – mit asylrechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht fürchten müsste. Das Vorbringen des Klägers, dass er in Nigeria nirgendwohin könne, weil er dort niemanden mehr habe, ändert daran nichts; es ist nichts dafür vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Kläger, ein erwachsener Mann ohne erkennbare Einschränkungen, nicht ausreichend für sich selbst sorgen könnte. Unabhängig davon hat der Kläger nicht einmal selbst geltend gemacht, dass er sich nicht auch irgendwo anders – außerhalb des Nordens oder auch des Nordostens, wo die Boko Haram noch stärker verwurzelt sind – in Nigeria niederlassen kann. Es ist auch sonst nichts dafür ersichtlich, warum das nicht in Frage kommt.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 2 unter 1. und 2. bis Seite 5 unten.
2. Den beantragten (unionsrechtlichen) subsidiären Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG kann der Kläger ebenfalls nicht beanspruchen, wofür ergänzend auf die zu § 3 AsylG erläuterten Gründe verwiesen wird.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Im Herkunftsstaat hat dem Kläger keine derartige Gefahr gedroht. Weshalb ihm bei der Rückkehr ein ernsthafter Schaden, insbesondere eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder gar die Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG) drohen sollte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar geworden. Schließlich besteht in Nigeria auch kein internationaler oder innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG.
Unabhängig davon gilt die inländische Fluchtalternative auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes, § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 AsylG.
Ergänzend wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 5 unter 3. bis Seite 6 oben.
3. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und dem nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 16 f.).
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) nicht vor.
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Maßgeblich sind die Gesamtumstände des jeweiligen Falls und Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2010 – 10 C 11/09 – juris Rn. 14). Ein Abschiebungsverbot infolge der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt nur in Fällen ganz extremer Gewalt in Betracht und auch schlechte humanitäre Bedingungen können nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründen.
Auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamts wird auch insofern Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG), dort Seite 6 oben unter 4. bis Seite 8. Ergänzend dazu wird noch ausgeführt, dass auch die wirtschaftliche Situation in Nigeria ein Abschiebeverbot aus humanitären Gründen nicht rechtfertigen kann. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. auch dazu BVerwG, B.v. 25.10 2012 – 10 B 16/12 – juris Rn. 8 f.).
Anhaltspunkte für einen besonderen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person des Klägers zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung bzw. gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich.
Für den Kläger kann auf Grund seiner individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben zwölf Jahre die Schule besucht und ein Studium der Buchhaltung absolviert (beides Bl. 87 der Bundesamtsakte). Die (Schul-)Bildung des Klägers erweist sich damit für nigerianische Verhältnisse als weit überdurchschnittlich – die Analphabetenquote beträgt bei Männern 30 Prozent, bei Frauen sogar rund 50 Prozent (s. Auswärtiges Amt, Länderinformation/Nigeria/Kultur und Bildung unter www.auswäertiges-amt.de, Stand: März 2017). Der gut ausgebildete, junge und arbeitsfähige Kläger wird daher auch im Falle der Rückkehr nach Nigeria in der Lage sein, den Lebensunterhalt für sich sicherzustellen.
4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig; die Voraussetzungen hierfür liegen vor, wie sich aus den Ausführungen oben 1. – 4. ergibt. Einen asylunabhängigen Aufenthaltstitel hat der Kläger nicht.
5. Bedenken gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1 AufenthG) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Klage wird nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708ff. ZPO.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen