Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  B 3 K 17.31220

Datum:
7.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1, Abs. 4, § 3b, § 3e Abs. 1, § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, 2, § 60a Abs. 1 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1. Sunnitische Kurden, die aus der Region Kurdistan im Nordirak stammen und gesund und arbeitsfähig sind, können bei einer Rückkehr dort Schutz finden und zumindest ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. (Rn. 29 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klagen sind zulässig. Wegen Fehlens eines Zustellungsnachweises ist von der Zulässigkeit der Klagen auszugehen. Sie haben jedoch keinen Erfolg.
1. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG noch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor. Der angefochtene Bescheid ist somit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
Für die richterliche Überzeugungsbildung im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO gilt Folgendes: Das Gericht muss sich die volle Überzeugung von der Wahrheit des behaupteten Verfolgungsschicksals und der Wahrscheinlichkeit der Verfolgungsgefahr bilden. Eine bloße Glaubhaftmachung in der Gestalt, dass der Vortrag lediglich wahrscheinlich sein muss, ist nicht ausreichend (vgl. grundlegend BVerwG, U. v. 16.04.1985, Az.: 9 C 109.84). Es ist vielmehr der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu Grunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Hierbei darf das Gericht jedoch hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerland, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder der Feststellung eines Abschiebungsverbotes führen sollen, keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fragen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, auch wenn Zweifel nicht völlig auszuschließen sind (BVerwG, U. v. 16.04.1985 a.a.O.). Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.02.2013, Az.: 10 C-23/12; VG Augsburg, U. v. 11.07.2016, Az.: Au 5 K 16.30604).
Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweise darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einer solchen Verfolgung und einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bei einer Rückkehr in ihr Heimatland bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden.
Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus. Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es – unter Angabe genauer Einzelheiten – einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder auf Grund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (VGH BW, U. v. 27.08.2013, Az.: A 12 S 2023/11; Hess. VGH, U. v. 04.09.2014, Az.: 8 A 2434/11.A).
Gemessen an diesen Grundsätzen haben die Kläger keinen Anspruch auf Gewährung des Flüchtlingsschutzes. Das Gericht verweist zunächst auf die zutreffende Begründung des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der vom Kläger zu 1 dargestellte Sachverhalt lässt nicht erkennen, dass eine Verfolgung aufgrund eines flüchtlingsrelevanten Anknüpfungsmerkmals vorliegt (§ 3 b AsylG)
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung aufgetretenen Widersprüche in der Darstellung wesentlicher Details des Sachverhalts sind die Ausführungen der Kläger zu ihrer Fluchtgeschichte zudem in keiner Weise glaubhaft. Die Kläger erscheinen dadurch unglaubwürdig.
So besteht bereits ein wesentlicher Widerspruch in der Angabe des Klägers zu 1, wann ihn die Drohanrufe erreichten. Während er beim Bundesamt eindeutig angab, dass er zwei Tage später die Drohungen erhalten habe, machte er in der mündlichen Verhandlung geltend, er sei noch am gleichen Tag des Vorfalls (der gegen 21:00 Uhr passiert sei), nur etwa zwei Stunden später, telefonisch bedroht worden.
Beim … hatte er darüber hinaus auf die konkrete Frage, wie viele Drohungen er erhalten habe, mit „zweimal“ geantwortet; in der mündlichen Verhandlung dagegen auf mehrmaliges Nachfragen angegeben, er sei ganz sicher nur einmal bedroht worden. Ein zweiter Anruf hätte nicht geschehen können, da ihm sein Handy von der Dienststelle abgenommen worden sei, um den Telefonanruf des Anrufenden zurückverfolgen zu können. Derart eindeutige Widersprüche können schwerlich nur mit Fehlleistungen des Dolmetschers erklärt werden, zumal wenn – wie hier geschehen – das Protokoll dem Kläger zu 1 rückübersetzt worden war und er keinen Anlass gesehen hat, korrigierend einzugreifen. Es ist auch nicht vorstellbar, dass der Dolmetscher sich bei einer Anhörungsdauer von 95 Minuten seine zunächst „falschen“ Übersetzungen bis zur Rückübersetzung merkt und dem Kläger wiederum „richtig“ übersetzt.
Auch bei seiner weiteren Darstellung weicht der Kläger zu 1 erheblich von seiner Darstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab. Hatte er dort auf die Frage, was er in den Tagen bis zu seiner Ausreise gemacht habe, noch geantwortet, er sei „ganz normal“ in der Arbeit gewesen, machte er in der mündlichen Verhandlung auf konkrete Nachfrage geltend, er habe nicht mehr gearbeitet, er habe sich zu seiner eigenen Sicherheit nur in der Zentrale in Sulaymaniya aufgehalten. Sein Erklärungsversuch auf Vorhalt, der Dolmetscher habe vermutlich die Begriffe „im Amt“ und „gearbeitet“ vermischt, vermag hier nicht zu überzeugen. Die Angabe „ganz normal“ arbeiten unterscheidet sich erheblich von „im Amt sein“. Gerade wenn er sich zu seiner eigenen Sicherheit nur in den Amtsräumen aufhalten kann, dann ist das gerade nicht als „normal“ zu bezeichnen. Wenn aber der Kläger diese Begrifflichkeiten verwendet, so muss davon ausgegangen werden, dass er diese auch so meint und er in dieser Zeit „ganz normal“ weitergearbeitet hat. Wenn er sich aber in solchen wesentlichen Details seiner Fluchtgeschichte widerspricht, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Details und damit auch die gesamte Geschichte sich so zugetragen haben, wie sie der Kläger darstellen möchte.
Nicht erklären konnten die Kläger auch den Widerspruch hinsichtlich des Kaufzeitpunktes der Flugtickets. Während die Klägerin zu 2 beim … angegeben hatte, dass der Kläger diese am 12.01. besorgt hätte, erklärte der Kläger zu 1 in der mündlichen Verhandlung zunächst, er selbst habe eine Fluggesellschaft aufgesucht und sein Bruder habe die Tickets am 17.01. gekauft, als er selbst sich noch in den Amtsräumen befunden habe. Die Angabe der Klägerin zu 2 hierzu, sie vermute, dass der Dolmetscher nicht unparteiisch gewesen sei, vermag die unterschiedlichen Zeitangaben nicht zu erklären. Denn es ist nicht nachvollziehbar, dass der Dolmetscher bereits zum Zeitpunkt der Anhörung beim Bundesamt abschätzen konnte, was den Klägern eventuell zum Nachteil gereichen könnte.
Aufgrund der Summe der Ungereimtheiten in der Darstellung der Fluchtgeschichte geht das Gericht davon aus, dass sich die Bedrohungslage des Klägers im Irak jedenfalls nicht so wie von ihm geschildert darstellte. Mangels glaubhafter Angaben dazu geht das Gericht deshalb davon aus, dass die Kläger den Irak unverfolgt verlassen haben.
In diesem Zusammenhang erscheint auch die Darstellung des Klägers zu 1, er habe seine Ausreise im Amt angekündigt, weswegen sein Dienstausweis einbehalten worden sei, zumindest fragwürdig. Gleiches gilt hinsichtlich seiner Angabe in der mündlichen Verhandlung, er habe Deutschland nicht gezielt als Fluchtziel ausgewählt, es sei ihm eigentlich egal gewesen, wo er Sicherheit findet. Deutschland ist vom Irak immerhin so weit entfernt, dass es eine Familie nicht zufällig dorthin verschlägt.
Auffällig war in diesem Zusammenhang das Ausweichen des Klägers zu 1 auf die Frage, ob er nicht auch in anderen Teilen Kurdistans Sicherheit hätte finden können. Ohne noch entscheidungserheblich zu sein, stünden den Klägern aber gerade ein interner Schutz im Sinne von § 3e AsylG offen. Ein Ausländer wird gem. § 3e Abs. 1 AsylG die Flüchtlingseigenschaft aufgrund internen Schutzes nicht zuerkannt, wenn im einen Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3 AsylG hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2).
Die irakischen Kurdengebiete sind mehrheitlich sunnitisch, weswegen eine Rückkehr dorthin aufgrund dieses Faktors zunächst nicht problematisch sein sollte. Eben jene Region hat in den vergangenen Jahren, besonders nach dem Aufstieg des sogenannten Islamischen Staats, eine hohe Zahl von Binnenflüchtlingen aufgenommen. Dazu gehörten auch viele Menschen anderer Konfession oder Religion (vgl. Deutsches Orient Institut, Auskunft zum Beschluss Az. 13 K 6436/16 und A13 K 6442/16 vom 03.04.2017, S. 1). Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Kläger als sunnitische Kurden bei einer Rückkehr in den Irak im Bedarfsfall Schutz in der Region Kurdistan suchen können. Da die Kläger aus dieser Region selbst stammen, ist davon auszugehen, dass einer Rückkehr keine grundlegenden Hindernisse entgegenstünden.
Die Kläger sind arbeitsfähig und gesund. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sie zumindest ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können. Es ist im Übrigen davon auszugehen, dass sich Familienangehörige im Irak befinden und diese die Kläger zumindest finanziell unterstützen können.
1.2 Den Kläger steht auch kein Anspruch auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zur Seite. Sie können sich weder auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 AsylG, noch auf § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG berufen.
Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass ihnen bei einer Rückkehr in den Irak nach Sulaymaniya ein ernsthafter Schaden (Todesstrafe, Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung) im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AsylG droht.
Im Hinblick auf die Schutzregelung nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, wonach einem Ausländer subsidiärer Schutz zusteht, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre, verweist das Gericht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.04.2010 – 10 C-4/09. Dabei muss der den bestehenden Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht haben, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei ihrer Rückkehr in den Irak oder in die von dem bewaffneten Konflikt betroffene Region allein durch ihre dortige Anwesenheit tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. dazu auch BVerwG, U. v. 14.07.2009, Az.: 10 C 9.08; U. v. 24.06.2008, Az.: 10 C 43.07). Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008, Az.: 10 C-43/07). Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie unter anderem für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konfliktes im Sinne des Art. 15 c QualRL nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie sie typischerweise in Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfen zu finden sind. Ein solcher innerstaatlicher bewaffneter Konflikt kann landesweit oder regional bestehen und muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken (vgl. BVerwG, U. v. 24.06.2008 a.a.O.).
Dass nicht gleichsam jede Zivilperson im Irak allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist, folgt im Übrigen bereits daraus, dass bei einer Gesamtbevölkerung mit etwa 32 bis 34 Millionen Einwohnern (vgl. www.a…de/i…/, www.a…de/D…html) die Zahl der zivilen Todesopfer im Jahr 2016 mit 16.350 zivile Todesfälle (vgl. https://www.ir…org/d…/) (2015: insgesamt 17.502, 2014: 20.169) angegeben ist. Die Wahrscheinlichkeit unter diesen Voraussetzungen um Leben zu kommen liegt bei 0,051%. Auch wenn eine gleiche Anzahl als Dunkelziffer von nicht erfassten zivilen Todesopfern (16.350) sowie ein Vierfaches von verletzten Zivilpersonen (16.350*4) berücksichtigt wird, reicht die abstrakte Gefahr, angesichts von Kampfeshandlungen in einigen Bereichen im Irak Opfer kriegerischer Auseinandersetzungen zu werden, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht aus. Sie läge nach diesen Maßgaben bei 0,26%. Auch damit wird die erforderliche abstrakte Gefahr im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht erreicht.
Von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt kann in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak nicht gesprochen werden. Zwar findet im Irak derzeit ein militärischer, bewaffneter Konflikt statt, der einen großen Teil des Landes erfasst und bei dem das irakische Militär nur langsam die Oberhand zu gewinnen scheint. Dieser innerstaatliche Konflikt stellt aber keine landesweite Konfliktsituation dar, da in den drei kurdisch verwalteten Provinzen im Nordirak keine tatsächliche Gefahr besteht. Die Kläger müssen daher dort nicht damit rechnen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, so dass von ihnen vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie sich in diesem Landesteil bzw. Landesteilen aufhalten. Die Provinz Sulaymaniya liegt im KRI-Gebiet und ist von den Kampfhandlungen im restlichen Irak weitgehend verschont geblieben. Vielmehr suchen und finden viele Flüchtlinge in diesem Gebiet Schutz (vgl. Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 09.01.2017, Az. 13a ZB 16.30689, in juris, VG München vom 22.12.2016, Az. M 4 K 16.33437). Gegen eine maßgebliche individuelle Gefahr spricht zudem, dass sich nach den Erkenntnissen des UNHCR seit Mitte 2015 eine zunehmende Anzahl irakischer Staatsangehöriger dafür entschieden hat, aus Europa in den Irak zurückzukehren, einschließlich nach Bagdad, Erbil, Sulaymaniya, Basra und Nadschaf (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 22).
1.3 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind ebenfalls nicht gegeben. Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
a) Hervorzuheben ist insbesondere, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt.
Die derzeitigen humanitären Bedingungen in den kurdisch kontrollierten Gebieten des Iraks führen nicht zu der Annahme, dass bei einer der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt. Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle zu einer Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK nicht erreicht. Eventuelle schlechte humanitäre Verhältnisse im Umfeld der Kläger gehen nicht über das Maß dessen hinaus, was alle Bewohner in der vergleichbaren Situation hinnehmen müssen. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass es den Klägern nach einer gemeinsamen Rückkehr mit Hilfe der Familienangehörigen nicht gelingen könnte in Kurdistan zumindest eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen.
b) Den Klägern droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG, die den Klägern bei Rückkehr in den Irak drohen könnten, wurden nicht (glaubhaft) vorgetragen und liegen auch nach Erkenntnissen des Gerichts nicht vor.
c) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind im Übrigen Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung des Irak auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage allgemein drohen.
Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten und Rachebestrebungen von Privatpersonen.
Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat mit Rundschreiben vom 10. August 2012 (Az. IA2-2081.13-15) in der Fassung vom 3. März 2014 bekannt gegeben, dass eine zwangsweise Rückführung zur Ausreise verpflichteter irakischer Staatsangehörigen grundsätzlich (Ausnahme: Straftäter aus den Autonomiegebieten) nach wie vor nicht möglich ist und ihr Aufenthalt wie bisher weiterhin im Bundesgebiet geduldet wird. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Mitteilung eines faktischen Abschiebungsstopps derzeit einen wirksamen Schutz vor Abschiebung hinsichtlich allgemeiner Gefahren vermittelt, so dass es keines zusätzlichen Schutzes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bedarf (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C-2/01 – juris; VG München, U.v. 22.12.2016 – M 4 K 16.33226 – juris). Sonstige Gefahren i.S. des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, die nicht von den Anordnungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern erfasst werden, sind nicht ersichtlich.
Solche Duldungen ergehen aber nicht durch das Bundesamt im Asylverfahren, sondern allenfalls durch die zuständige Ausländerbehörde.
Damit sind die Empfehlungen des UNHCR vom 14.11.2016 (UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14.11.2016, S. 25 f.) umgesetzt.
1.4 Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise-und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff ZPO.

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