Verwaltungsrecht

Erfolglose Asylklage von Staatsangehörigen aus Eritrea od. Äthiopien

Aktenzeichen  M 12 K 17.70231

Datum:
15.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15198
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 11, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, weil Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden; dabei findet im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2019 entschieden werden, obwohl außer der Kläger und ihrer Prozessbevollmächtigten niemand erschienen ist. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist der Bescheid des Bundesamtes vom 4. Dezember 2017 und ob die Kläger einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG, auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gem. § 4 AsylG und Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG haben (vgl. Antrag der Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 14. Dezember 2017 und in der mündlichen Verhandlung).
Die Klage ist bezüglich der Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil die Klägerin zu 1 den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt hat (Bl. 75 BA).
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 und 5 VwGO.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG. Zudem liegen bei den Klägern keine Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG vor. Auch liegen keine Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 1) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2).
Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten – EMRK – keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (vgl. § 3a Abs. 1 AsylG). Als Verfolgung in diesem Sinne können unter anderem die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt oder unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 1 und 3 AsylG). Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine nähere Umschreibung der Verfolgungsgründe enthält § 3b AsylG. Demnach ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c AsylG genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er aufgrund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist (vgl. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Unerheblich ist, ob der Ausländer tatsächlich die politischen Merkmale aufweist, sofern ihm diese Merkmale von seinen Verfolgern zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG). Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam sein und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat (vgl. § 3d Abs. 2 AsylG).)
Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung bedroht sind. Dadurch wird der Vorverfolgte von der Notwendigkeit erfasst, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die verfolgungsbegründeten Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.2009 – 10 C 5/09, juris Rn. 23).
Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU kommt dem vorverfolgten Antragsteller dabei auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 juris Rn. 24 f).
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft setzt überdies voraus, dass zwischen der Verfolgungshandlung und der späteren Ausreise („Flucht“) ein objektiver Zusammenhang besteht. Zwar ist nicht nur derjenige i.S.d. Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG verfolgt ausgereist, der noch während der Dauer eines Pogroms oder individueller Verfolgung seinen Herkunftsstaat verlässt. Dies kann vielmehr auch bei einer Ausreise erst nach dem Ende einer Verfolgung der Fall sein. Die Ausreise muss dann aber unter Umständen geschehen, die bei objektiver Betrachtungsweise noch das äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck der erlittenen Verfolgung stattfindenden Flucht ergeben. Nur wenn ein durch die erlittene Verfolgung hervorgerufenes Trauma in einem solchen äußeren Zusammenhang eine Entsprechung findet, kann es als beachtlich angesehen werden. In dieser Hinsicht kommt der zwischen dem Abschluss der Verfolgung und der Ausreise verstrichenen Zeit eine entscheidende Bedeutung zu. Je länger der Ausländer nach erlittener Verfolgung in seinem Heimatland unbehelligt verbleibt, umso mehr schwindet der objektive äußere Zusammenhang mit seiner Ausreise dahin. Daher kann allein schon bloßer Zeitablauf dazu führen, dass eine Ausreise den Charakter einer unter dem Druck einer früheren Verfolgung stehenden Flucht verliert. Daraus folgt, dass ein Ausländer, dessen Verfolgung in der Vergangenheit ihr Ende gefunden hat, grundsätzlich nur dann als verfolgt ausgereist angesehen werden kann, wenn er seinen Heimatstaat in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Beendigung der Verfolgung verlässt. Das bedeutet nicht, dass er zwangsläufig stets sofort oder unmittelbar danach ausreisen müsste. Es ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Ausreise zeitnah zur Beendigung der Verfolgung stattfindet. Welche Zeitspanne in dieser Hinsicht maßgebend ist, hängt von den Umständen der jeweiligen Verhältnisse ab (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 60/89 – juris; VGH BW, U.v. 7.3.2013 – A 9 S 1873/12 juris; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 59 ff.).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslandes und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er verfolgt worden ist bzw. verfolgt werden könnte (Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b RL 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einer Verfolgung gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c RL 2011/95/EU).)
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss auch in Asylstreitigkeiten das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrscheinlichkeit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
Das Tatsachengericht darf dabei berücksichtigen, dass die Befragung von Asylbewerbern aus anderen Kulturkreisen mit erheblichen Problemen verbunden ist (vgl. BVerwG, B.v. 21.7.1989 a.a.O. Rn. 4). Der Asylbewerber befindet sich typischerweise in Beweisnot. Er ist als „Zeuge in eigener Sache“ zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 121). Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984, Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990, InfAuslR 1991, 94, 95; BVerwG, U.v. 30.10.1990, Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; B.v. 21.7.1989, Buchholz a.a.O., Nr. 113).
In Anwendung dieser Grundsätze ist den Klägern keine Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylG zuzuerkennen. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Klägerin zu 1 vor ihrer Ausreise aus Eritrea oder Äthiopien oder die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien landesweit von Verfolgung gem. § 3 AsylG betroffen waren bzw. bedroht sein würden.
Die Klägerin zu 1 hat zu ihrer Vorverfolgung weder flüchtlingsrelevante noch glaubhafte Gründe vorgetragen.
Für die Ausreise aus Eritrea im Alter von einem Monat hat die Klägerin zu 1 keine flüchtlingsrelevanten Gründe vorgetragen. Sie trug nur vor, die älteren Schwestern hätten sie mit nach Äthiopien mitgenommen (Bl. 74 BA), sie habe niemanden in Eritrea (Bl. 76 BA).
Die Klägerin zu 1 macht zwar Flüchtlingsschutz hinsichtlich einer auf Eritrea bezogenen Verfolgungsfurcht geltend; das Gericht geht aber davon aus, dass die Kläger nicht die eritreische Staatsangehörigkeit haben, sondern die äthiopische.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 1A Nr. 2 GFK nur bei Verfolgung im Staat der Staatsangehörigkeit oder – bei de jure Staatenlosen – im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 26. 2. 2009 – 10 C 50/07 – juris; U.v. 8. 2. 2005 – 1C 29.03 – juris).
Die Frage, welche Staatsangehörigkeit eine Person innehat, bestimmt sich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des in Frage kommenden Staates, weil Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit grundsätzlich durch innerstaatliche Rechtsvorschriften geregelt werden. Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit findet der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung Anwendung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dementsprechend gibt es keine Beweisregel des Inhalts, dass der Nachweis der Staatsangehörigkeit eines Staates nur durch Vorlage entsprechender Papiere dieses Staates geführt werden kann. Es ist nämlich gerade Sinn und Zweck der freien Beweiswürdigung, das Gericht nicht an starre Regeln zu binden, sondern ihm zu ermöglichen, den jeweiligen besonderen Umständen des Einzelfalles gerecht zu werden (BVerwG, U.v. 8.2.2015 – 1 C 29/03 – juris). Im Rahmen der Prüfung der Staatsangehörigkeit verpflichtet § 173 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO das erkennende Gericht, ausländisches Recht unter Ausnutzung aller ihm zugänglichen Erkenntnisquellen von Amts wegen zu ermitteln.
Dass die Kläger mit Blick auf die geltend gemachte Verfolgungsfurcht tatsächlich eritreische Staatsangehörige sind, hat die darlegungs- und nach Kräften beweisbelastete Klägerin zu 1 nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können.
Die Klägerin zu 1 konnte keine Dokumente vorlegen, die ihre eritreische Staatsangehörigkeit beweisen würden.
Sie trug vor, im Jahr 1994 in …Eritrea geboren zu sein und Eritrea im Alter von einem Monat verlassen und 15 bis 16 Jahre in Äthiopien und danach vier Jahre im Sudan gelebt zu haben. Die Mutter sei gestorben, der Vater sei zum Militär gegangen, sie wisse nichts über ihn (Bl. 74 BA).
Mit der Geburt auf eritreischem Gebiet im Januar 1994 hat die Klägerin zu 1 die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erworben.
Durch die Proklamation Nr. 21/1992 über die eritreische Staatsangehörigkeit vom 6. April 1992 (abgedruckt in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, August 2005; im Folgenden: Proklamation) hat die Klägerin zu 1 die eritreische Staatsangehörigkeit nicht erworben. Nach Art. 2 Abs. 1 der Proklamation ist eritreischer Staatsangehöriger durch Geburt, wer in Eritrea oder im Ausland als Kind eines Vaters oder einer Mutter eritreischer Abstammung geboren ist. „Eritreischer Abstammung“ ist gem. Art. 2 Abs. 2 der Proklamation, wer 1933 seinen Aufenthalt in Eritrea hatte. Grund für das Abstellen auf das Jahr 1933 war, dass die damalige Kolonialmacht Italien in jenem Jahr eine umfassende Registrierung der örtlichen Bevölkerung begann. Der Begriff der „eritreischen Abstammung“ in Art. 2 Abs. 2 der Proklamation ist also nicht mit der eritreischen Volkszugehörigkeit identisch, sondern verlangt den Aufenthalt einer Person im Gebiet des heutigen Eritrea im Jahr 1933 (VGH Baden Württemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris). Nach Sinn und Zweck der Vorschrift muss es auch ausreichen, wenn die Eltern der Eltern der Klägerin zu 1 im Jahr 1933 auf dem Gebiet von Eritrea gelebt haben (VG Münster, U.v. 22.7.2015 – 9 K 3488/13.A -juris).
Die Klägerin zu 1 hat nicht glaubhaft gemacht, dass Vorfahren der Eltern auf dem Gebiet Eritreas gelebt haben. Die Einlassung der Klägerin zu 1 zu Verwandten in Eritrea, sie habe eine Schwester in Libyen und eine Schwester im Sudan (Bl. 74), die Mutter sei gestorben, vom Vater wisse sie nichts, die Personalien des Großvaters väterlicherseits kenne sie nicht (Bl. 75 BA), genügt dafür nicht. Die vorgetragenen Umstände sprechen eher dafür, dass die Eltern zum Zeitpunkt der Geburt der Klägerin zu 1 die äthiopische Staatsangehörigkeit hatten, da … bis zur Unabhängigkeit Eritreas im Mai 1993 innerhalb einer äthiopischen Provinz lag. Hätte ihr Vater 1993 eine eritreische ID-Karte erhalten, wäre die Klägerin zu 1 als minderjähriges Kind in den Unterlagen der eritreischen Behörden automatisch als eritreische Staatsbürgerin eingetragen worden. Für die Ausstellung einer eigenen ID-Karte hätte die Klägerin zu 1 bei der für ihren Wohnort zuständigen Stelle vorsprechen müssen und die ID-Karte beantragen müssen (G* … S* …, Stellungnahme v. 20.6.2017 an das VG Kassel, Rn. 39).
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin zu 1 nachträglich die eritreische Staatsangehörigkeit erworben hat. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zu 1 die eritreische Staatsangehörigkeit gem. Art. 2 Abs. 5 oder Art. 3 ff. der Proklamation erworben hat. Die Klägerin zu 1 hat nicht dargelegt, dass sie oder ihre Eltern einen Antrag an das eritreische Innenministerium zum Erwerb der eritreischen Staatsangehörigkeit gerichtet haben, Art. 2 Abs. 5 der Proklamation. Auch durch Einbürgerung, Adoption oder Eheschließung hat die Klägerin zu 1 die eritreische Staatsangehörigkeit offenbar nicht erworben, Art. 3 ff. der Proklamation. Aus einer Auskunft des Auswärtigen Amtes an den VGH Baden-Württemberg vom 21.11.2001 ergibt sich, dass im Ausland lebende Eritreer, auch wenn sie eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, als eritreische Staatsangehörige anerkannt werden, wenn sie ihre Abstammung nachweisen oder Zeugen dafür benennen können. Üblicherweise würden Eritreer bei der jeweiligen Auslandsvertretung vorsprechen und eine ID-Card oder einen eritreischen Pass beantragen. Mit diesem Antrag müssen Nachweise über die eritreische Abstammung eingereicht werden bzw. Zeugen, die die Abstammung bestätigen können, benannt werden (VGH Baden-Württemberg, U.v. 21.1.2003 – A 9 S 397/00 – juris).
Auch die übrigen Umstände sprechen nicht für eine eritreische Staatsangehörigkeit. Die Klägerin zu 1 kann über das Land, dessen Staatsangehörige sie sein will, überhaupt nichts sagen (Bl. 75 BA).
Die Klägerin zu 1 ist ihrer Darlegungs- und Beweislast daher nicht nachgekommen; es spricht nichts dafür, dass sie die eritreische Staatsangehörigkeit besitzt. Daher kann auch der Kläger zu 2, ihr Sohn, von seiner Mutter nicht die eritreische Staatsangehörigkeit erworben haben, sondern allenfalls die äthiopische.
Für die Ausreise aus Äthiopien im Alter von 15 oder 16 Jahren (also im Jahr 2009 oder 2010) hat die Klägerin zu 1 einen flüchtlingsrechtlich irrelevanten und unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen. Sie trug vor, sie hätten keine Papiere gehabt. Sie seien „unbekannt“ gewesen. Ihr sei nichts passiert, sie habe in der … gearbeitet.
Darüber hinaus hat die Klägerin zu 1 auch unglaubhafte Angaben gemacht. Sie trug an einer Stelle vor, die Mutter sei während der Entbindung gestorben (Bl. 89 BA und in der mündlichen Verhandlung), an anderer Stelle trug sie dagegen vor, die Mutter sei gestorben, als sie ein oder zwei Monate alt gewesen sei (Bl. 74 BA). Wenn die Mutter gestorben wäre und der Klägerin der Zeitpunkt genannt worden wäre, hätte sich ihr dieser als außergewöhnliches Ereignis einprägen müssen. Dass der Dolmetscher sie nicht richtig verstanden hätte, ist unwahrscheinlich. Die Klägerin zu 1 hat in der Niederschrift des Bundesamtes bestätigt, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben hat (Bl. 76 BA).
Unglaubhaft ist auch, dass die Klägerin zu 1 in Äthiopien keine Personaldokumente erhalten hätte. Seit dem Jahr 2004 können Eritreer – selbst wenn die Klägerin zu 1 eine solche wäre, wofür nichts spricht (siehe oben) – sich in Äthiopien entweder einbürgern lassen oder erhalten auf Wunsch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Sie können eine äthiopische Identitätskarte beantragen, auf der ihre eritreische Staatsangehörigkeit vermerkt wird, ebenso wie einen äthiopischen Fremdenpass. Als weiteres „Privileg“ können sie ihre (im Ausland erfolgte) Geburt nachregistrieren lassen und damit auch Geburtsurkunden beantragen. Das Verfahren läuft problemlos (Lagebericht des Auswärtigen Amtes aus dem Jahr 2012, II., 1.3). Unter der vorgenannten Direktive von Januar 2004 hätte die Klägerin zu 1 also in einem Zeitraum von wenigen Monaten eine Klärung ihrer Nationalität durchführen können. Als deren Folge hätte sie entweder die Anerkennung als äthiopische Staatsbürgerin oder eine Einstufung als eritreische Staatsbürgerin mit Dauerwohnrecht in Äthiopien erhalten können (G* … S* …, Stellungnahme vom 20. Juni 2017 an das VG Kassel, Rn. 14). Dies hat die Klägerin zu 1 offenbar nicht getan. Ihre Einlassung, sie sei klein gewesen und man müsse volljährig sein, erklärt die Situation nicht. Offenbar hat sie in Äthiopien mit ihren älteren Schwestern gelebt, die die Klägerin zu 1 hätten vertreten können, evtl. auch mit Hilfe eines Bevollmächtigten. Sie hätte auch nach Erreichen der Volljährigkeit sich vom Sudan aus darum bemühen können.
Insgesamt hat die Klägerin zu 1 zu ihrer Vorverfolgung einen irrelevanten bzw. unglaubhaften Sachverhalt vorgetragen, von dem das Gericht annimmt, dass er sich nicht ereignet hat. Es spricht alles dafür, dass die Klägerin zu 1 aus wirtschaftlichen Gründen Äthiopien verlassen hat. So trug sie vor, ihr Traum sei von Anfang an gewesen, nach Deutschland zu gehen (Bl. 74 BA).
Da der Klägerin zu 1 keine Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, kann der Kläger zu 2 von ihr keine solche ableiten. Der Vortrag der Klägerin zu 1, sie möchte eine gute Zukunft für den Kläger zu 2 (Bl. 76 BA), rechtfertigt nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot zugunsten der Kläger ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist – auch nach den Angaben der Kläger – nicht ersichtlich, dass ihnen bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG; § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.) drohen könnte. Zu der behaupteten Vorverfolgung hat die Klägerin zu 1 irrelevante und unglaubhafte Angaben (siehe oben) gemacht.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt offensichtlich nicht vor.
Bei den Klägern liegt auch kein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Kläger können keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sie bei ihrer Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wären, dass sie im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würden (vgl. BVerwG vom 12.7.2001, InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015, IV.1.1.1 und vom 24.5.2016., IV.1.11). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbständig zu machen. Die Klägerin zu 1 hat zwar die Schule nicht besucht (Bl. 92 BA). Sie hat aber in Äthiopien in der … (bi. 75 BA) und im Sudan als …kraft gearbeitet (Bl. 92 BA). Sie wird im Bundesgebiet etwas Deutsch lernen können. Es ist der Klägerin zu 1 zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür sie als Rückkehrerin gute Chancen hat; sie kann auch an die von ihr ausgeübten Tätigkeiten in der … und als …kraft anknüpfen und in einem ähnlichen Beruf in Äthiopien arbeiten. Mit ihrer Arbeit kann sie auch den Lebensunterhalt für den Kläger zu 2 erwirtschaften, wie andere äthiopische Eltern oder alleinerziehende Frauen auch. Selbst bei alleinstehenden Frauen ist keinesfalls davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage wären, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen (VG Bayreuth, U.v.27.6.2018 -B 7 K 17.31492 – juris). Erwerbstätigkeiten bestehen grundsätzlich auch für Personen ohne abgeschlossene Ausbildung. Dazu kommt, dass die Klägerin zu 1 auch auf die Hilfe des Kindsvaters zurückgreifen kann.
Die Stellung eines Asylantrags im Bundesgebiet bzw. die illegale Ausreise aus Äthiopien bleiben ohne Konsequenzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Äthiopien vom 24.5.2016, II.,1.9 und vom 6. 3. 2017, IV. 2).
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die Kläger besitzen keine Aufenthaltsgenehmigung und sind auch nicht als Asylberechtigter/Schutzberechtigter anerkannt.
Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar, zumal die Klägerseite diesbezüglich keine substantiierten Einwendungen vorgebracht und insbesondere kein fehlerhaftes Ermessen gerügt hat. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im mittleren Bereich der zulässigen Befristungsdauer.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit vergibt such aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO.

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