Verwaltungsrecht

Erfolglose, auf die Feststellung des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote beschränkte Klage eines afghanischen Staatsangehörigen paschtunischer Volkszugehörigkeit

Aktenzeichen  Au 3 K 16.31434

Datum:
7.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 59, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
AsylG AsylG § 34

 

Leitsatz

1. Bei fehlender Glaubhaftmachung eines traumatischen Lebensereignisses im Heimatland kann eine posttraumatische Belastungsstörung ausgeschlossen werden. (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein erwerbsfähiger junger Afghane, der in Deutschland zum Koch ausgebildet wurde, ist in der Lage, seinen Lebensunterhalt in den relativ sicheren Teilen Afghanistans zu bestreiten. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Klage auf Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Zuerkennung eines subsidiären Schutzes gerichtet war, wird das Verfahren eingestellt.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Soweit die Klage zurückgenommen wurde, war das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
II.
Die nur noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klage ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine solche Feststellung. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
1. Soweit sich der Kläger auf eine posttraumatische Belastungsstörung beruft, hat er bereits ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr ist das Gericht nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens überzeugt, dass sein diesbezügliches Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Da eine posttraumatische Belastungsstörung nur zum Entstehen kommt, wenn ein (außergewöhnlich) belastendes Ereignis stattgefunden hat, dessen Nachweis bei der fachärztlichen Begutachtung weder zu erbringen noch zu leisten ist, muss das behauptete traumatisierende Ereignis vom Kläger gegenüber dem Tatrichter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris Rn. 10 m.w.N.). Andernfalls fehlt es an einer tragfähigen Grundlage für ein fachärztliches Attest, mit dem eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigt wird.
Die Angaben des Klägers über seine familiären Verhältnisse sind widersprüchlich und damit nicht glaubhaft. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt trug er vor, er habe in … bis zu seiner Ausreise mit seinen Eltern, sechs Brüdern und einer Schwester gewohnt. Vor Gericht behauptete er dagegen, er habe jetzt (noch) vier Brüder, nachdem er einen Bruder verloren habe. Er habe beim Bundesamt gesagt, sie seien mit ihm, dem Kläger, sechs Brüder gewesen. Dies wird jedoch durch die weiteren Angaben des Klägers beim Bundesamt widerlegt. Demnach floh er mit einem Bruder nach Pakistan, ein weiterer Bruder floh in den Iran, während die anderen vier Brüder, die jünger als er seien, bei seiner Mutter in … lebten. Auch zu den Familienverhältnissen seines ältesten, angeblich von den Taliban ermordeten Bruders machte er widersprüchliche Angaben. Einerseits soll dieser drei Jahre im Iran gelebt, dort verheiratet gewesen sein und zwei Kinder gehabt haben. Andererseits soll dessen Ehefrau bei den Eltern ihres Mannes in Afghanistan geblieben, also nie im Iran gewesen sein und die Ehe soll – zumindest nach dem Kenntnisstand des Klägers – kinderlos geblieben sein. Einerseits soll der älteste Bruder geheiratet haben, als der Kläger bereits in Griechenland gewesen sei, andererseits soll dies kurz vor seiner Ausreise aus Afghanistan gewesen sein. Auch zum Altersabstand zwischen ihm und seinem ältesten Bruder äußerte sich der Kläger widersprüchlich.
Dass es der Kläger mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, hat er bereits beim Bundesamt gezeigt. Dort behauptete er zunächst, er sei sich sicher, Afghanistan am 5. Januar 2015 verlassen zu haben. Erst auf Vorhalt, dass er bereits am 9. Oktober 2013 in Griechenland einen Asylantrag gestellt habe, passte er sein Vorbringen dieser Erkenntnis an und räumte ein, sein Heimatland bereits Jahre früher verlassen zu haben. Die beim Bundesamt vorgetragene Bedrohung seiner Familie durch die Taliban ist ersichtlich konstruiert. Unrealistisch ist auch, dass der in … wohnende Onkel zwar den angeblichen Drohbrief der Taliban an die afghanische Regierung weitergeleitet haben soll, wegen der angeblichen Ermordung des ältesten Bruders durch die Taliban aber keine Anzeige bei der afghanischen Polizei erstattet hat. Demnach ist das Gericht überzeugt, dass es sich bei dem genannten ältesten Bruder … um keine reale Person handelt und das behauptete Telefonat mit der angeblichen Todesnachricht nicht stattgefunden hat.
Da somit beim Kläger kein traumatisierendes Erlebnis festgestellt werden kann, fehlt bereits aus diesem Grund eine tragfähige Grundlage für die von der Psychiaterin und Psychotherapeutin … und der Fachärztin für Allgemeinmedizin … erstellten Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Im Übrigen hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. … beim Kläger nur eine Teilsymptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert und dies damit begründet, dass er beim Kläger den verlässlichen Nachweis eines traumatisierenden Erlebnisses und einer tatsächlich eingetretenen massiven psychischen Irritation vermisse.
2. Kann eine posttraumatische Belastungsstörung beim Kläger nicht festgestellt werden, so gilt dies auch für die von der Psychiaterin und Psychotherapeutin … zusätzlich diagnostizierte mittelgradige depressive Episode. Wie die Zeugin ausgeführt hat, handelt es sich hierbei nicht um eine eigenständige Diagnose. Vielmehr stehe das von ihr diagnostizierte depressive Syndrom mit der posttraumatischen Belastungsstörung in Verbindung bzw. im Zusammenhang. So seien posttraumatische Belastungsstörungen häufig mit einem depressiven Syndrom verbunden (vgl. Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, ICD-10: F43.1 Info). Einen solchen Zusammenhang hat auch der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. … als sachverständiger Zeuge bejaht und ausgeführt, eine Depression gehöre zu einer posttraumatischen Belastungsstörung dazu. Dr. med. … konnte beim Kläger ohnehin weder eine leichte noch eine mittelgradige depressive Episode feststellen, sondern nur eine leichte depressive Symptomatik („Die Stimmungslage ist leicht depressiv getönt, die affektive Schwingungsfähigkeit vermindert. Es besteht eine Grübelneigung… Die Antriebslage ist nicht reduziert“).
3. Die vom Kläger erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgelegten (fach-)ärztlichen Atteste haben auch aus weiteren Gründen keine Beweiskraft für eine psychische Erkrankung des Klägers. Der Kläger hat sämtlichen ihn behandelnden Ärzten den Arztbrief des Klinikums … vom 27. August 2015 und den Arztbrief der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des … vom 28. August 2015 vorenthalten, während er diese sowohl dem Bundesamt als auch zuletzt dem Verwaltungsgericht vorgelegt hat. Diese Arztbriefe sind für eine aussagekräftige Anamnese unverzichtbar, weil sie wichtige fachärztliche Erkenntnisse über den Kläger enthalten, die unmittelbar nach der angeblich das Trauma auslösenden Todesnachricht gewonnen wurden. Sie belegen, dass der Kläger entgegen seinen aktuellen Beteuerungen damals keinen Selbstmordversuch begangen hat. Die damalige Anamnese („Auf Grund der Todesnachricht seines Bruders, der in Afghanistan wohnt, habe er gegen eine Glasscheibe geschlagen, diese sei zerbrochen und habe ihn verletzt“) lässt selbst den Schluss, dass sich der Kläger mit dem Schlag gegen die Glasscheibe selbst verletzen wollte, nicht hinreichend sicher zu, wie der Zeuge Dr. med. … überzeugend dargelegt hat. Gegen eine vorsätzliche Selbstverletzung spricht insbesondere, dass der Kläger sowohl zeitnah gegenüber seinem Hausarzt als auch später bei seiner Anhörung durch das Bundesamt angegeben hat, er habe aus Wut gegen die Glasscheibe geschlagen. Die erst in der mündlichen Verhandlung nachgeschobene Behauptung, er habe zweimal in die Glasscheibe geschlagen und habe sich beim zweiten Schlag tödlich verletzen wollen, stellt ein stark gesteigertes zweckgerichtetes Vorbringen dar.
Die vorgelegten ärztlichen Atteste setzen sich auch nicht mit der Problematik auseinander, dass der Kläger die Symptome für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung im Wesentlichen erst ca. zwei Jahre nach der angeblich das Trauma auslösenden telefonischen Todesnachricht geltend gemacht hat (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris Rn. 15). Insoweit ist eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Begründung erforderlich, so dass ein pauschaler Erklärungsversuch, wie ihn die Zeugin … in der mündlichen Verhandlung unternommen hat, nicht ausreichend ist. Soweit der Kläger vor Gericht geltend gemacht hat, er habe beim Bundesamt deshalb nichts von seinen Alpträumen berichtet, weil ihm die Zeugin gesagt habe, er solle über seine Geschichte nichts erzählen, weil sonst jedes Mal die Bilder frisch würden, handelt es sich um eine klare Schutzbehauptung. Er war bei dieser Zeugin das erste Mal am 22. September 2017 in Behandlung, während seine Anhörung beim Bundesamt bereits am 7. Juli 2016 stattgefunden hat.
4. Die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ist nicht geboten. Da die Feststellung der Wahrheit von Angaben des Asylbewerbers oder der Glaubhaftigkeit einzelner Tatsachenbehauptungen als solche nicht dem Sachverständigenbeweis unterliegt (BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris), würde ein solches Gutachten mangels eines ein Trauma auslösenden Ereignisses keine weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse bringen können. Abgesehen davon wurde der entsprechende schriftsätzliche Beweisantrag des Klägers nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 AsylG gestellt und die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Zudem hätte die beantragte Beweisaufnahme die Erledigung des Rechtsstreits verzögert. Selbst die mit der Ladung gesetzte Frist wurde trotz entsprechender Belehrung über die Folgen einer Fristversäumung nicht eingehalten.
5. Der Kläger ist ein im Wesentlichen gesunder, erwerbsfähiger junger Mann, bei dem nicht zuletzt wegen der in Deutschland erfolgenden Ausbildung zum Koch erwartet werden kann, dass er seinen Lebensunterhalt in den relativ sicheren Teilen Afghanistans bestreiten kann. Aus den vorgelegten ärztlichen Attesten ergeben sich keine Einschränkungen hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit. Soweit der Kläger Jugendhilfeleistungen für junge Volljährige nach §§ 41, 34 SGB VIII bezieht, ist das Gericht an die nicht näher begründete Einschätzung des Jugendamts nicht gebunden. Vielmehr war der Kläger bereits als Jugendlicher so selbstständig, dass er auf sich gestellt längere Zeit in Griechenland seinen Lebensunterhalt mit Gartenarbeiten und als Spüler in Gaststätten bestreiten und sich dabei 470,- EUR ansparen konnte (vgl. die Niederschrift über die Anhörung beim Bundesamt S. 3). Da der Kläger am 9. Oktober 2013 in Griechenland einen Asylantrag gestellt hat, ist davon auszugehen, dass er kurz zuvor dort angekommen ist. Selbst bei Zugrundelegung seiner Altersangabe (nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck ist er mindestens drei Jahre älter) hat er demnach den größten Teil seines Lebens, nämlich etwa 15 ½ Jahre, in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht. Da er auch die Landessprache Pashto beherrscht, kann bei ihm eine Integration in die afghanischen Lebensverhältnisse erwartet werden, zumal er die für ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige vorgesehenen Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nehmen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

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