Verwaltungsrecht

Erfolglose auf subsidiären Schutz und nationale Abschiebungsverbote beschränkte Klage eines afghanischen Flüchtlings

Aktenzeichen  M 2 K 16.31546

Datum:
16.5.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 e
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
AsylG AsylG § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1

 

Leitsatz

1. Eine Abschiebung nach Afghanistan führt aufgrund der dortigen Lage nicht ohne Weiteres zu einem Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes oder eines nationalen Abschiebungsverbotes. (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Nordregion und in Zentralafghanistan liegt das Risiko, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine drohende Heranziehung zum Wehrdienst stellt in rechtlicher Hinsicht keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung dar. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG (sogleich 1.) noch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (sogleich 2.). Die Ablehnung der Anträge auf Asylanerkennung (Art. 16 a GG) und auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§§ 3 ff. AsylG) in Ziffern 1. und 2. des Bescheids vom 16. Juni 2016 ist gemessen an der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr durch die Klage angegriffen, insoweit ist der Bescheid in Bestandskraft erwachsen. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5. des Bescheids vom 16. Juni 2016 und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 6. dieses Bescheids sind rechtmäßig.
Hinsichtlich der allgemeinen Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten, ferner hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots wird zunächst auf den Bescheid des Bundesamts vom 16. Juni 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist wie folgt auszuführen:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Dies gilt sowohl hinsichtlich der allgemeinen Lage in Afghanistan (dazu sogleich a)) als auch hinsichtlich der von ihm vorgebrachten individuellen Gründe (sogleich b)).
a) Dem Kläger droht im Hinblick auf die allgemeine Lage in Afghanistan weder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) noch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG): In Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist zunächst davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG anzunehmen wäre (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 5 m.w.N.; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 5 m.w.N.). Dem Kläger droht ferner auch kein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG:
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines inner-staatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte unter anderem einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletztenrisikos bedarf (dazu statt vieler: BayVGH, U. v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rdnr. 4 ff. m.w.N. v.a. aus der Rspr. d. BVerwG). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, nur ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist somit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BayVGH, a.a.O., juris Rdnr. 5 m.w.N.). Zur Ermittlung der für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist dabei aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ein Risiko von ca. 1:800 oder 0,125%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (BVerwG, U. v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rdnr. 22 f.; dazu auch BayVGH, a.a.O., juris Rdnr. 6 f. m.w.N.). Der unsubstantiierte Einwand des Klägers, die Rechtsprechung, wonach die Gefahrendichte anhand der Opferzahlen zu ermitteln sei, begegne methodischen Bedenken, rechtfertigt es nicht, von dieser gefestigten und überzeugenden höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen.
Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung vorbringen lassen, die Situation in Afghanistan habe sich verschlechtert, es sei nicht absehbar, wie sich die Situation entwickle. Aus dem insoweit ohnehin wenig substantiierten Vorbringen ergibt sich indes schon im Ansatz nicht, dass die nach der gefestigten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung für die Feststellung einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erforderliche Gefahrdichte auch nur möglicherweise annähernd erreicht worden sein könnte.
Dies ist ganz offensichtlich auch nicht der Fall: Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Einschätzung bestätigt, dass gemessen an den aktuellen Erkenntnismitteln weiterhin davon auszugehen ist, dass das Risiko, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden, in der Nordregion, welche auch die Heimatprovinz des Klägers, Balkh, umfasst, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (BayVGH, B. v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rdnr. 9 ff. m.w.N.; BayVGH, B. v. 19.2.2015 – 13a ZB 14.30450 – juris Rdnr. 7; BayVGH, B. v. 30.6.2014 – 13a ZB 13.30359). Nichts anderes ergibt sich aus den zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln wie insbesondere dem UNAMA – Bericht vom Februar 2017 (UNAMA, Protection of Civilians in Armed Conflict, Annual Report 2016, Februar 2017, im Internet abrufbar unter: https://unama.unmissions.org) und dem EASO-Bericht vom November 2016 (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan, Security Situation, November 2016, im Internet abrufbar unter https://www.easo.europa.eu): Der Kläger stammte ursprünglich aus … …, Provinz Balkh, so dass hinsichtlich der Gefahrensituation primär auf diese Region abzustellen ist. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) und das European Asylum Support Office (EASO) ordnen die Provinz Balkh und die Provinzen Faryab, Jawzjan, Samangan und Sar-e Pul der Nordregion Afghanistans zu. Aus dem EASO-Bericht (a.a.O.) vom November 2016 ergibt sich, dass in der Provinz Balkh 1.325.659 Menschen leben sowie in allen Provinzen der Nordregion zusammen 3.811.566 Menschen. Aus dem UNAMA-Bericht vom Februar 2017 (a.a.O., S. 4 f.) geht wiederum hervor, dass in der Nordregion insgesamt 1.362 zivile Opfer (384 Tote und 978 Verletzte) des bewaffneten Konflikts zu beklagen waren. Mithin ergibt sich auf der Grundlage der Zahlen für 2016 für die Nordregion ein Risiko von 0,0357%, als Zivilperson Opfer des bewaffneten Konflikts zu werden. Wenngleich die von UNAMA und EASO ermittelten Zahlen nicht exakt sein können, weil die Listen der Vorfälle nicht unbedingt erschöpfend sind und in Einzelfällen nur schwer zwischen Opfern eines bewaffneten Konflikts und von Kriminalität unterschieden werden kann, so vermitteln sie jedenfalls eine realistische Basis, die eine verlässliche Risikobewertung ermöglichen. Insofern besteht deshalb auch kein Anlass, der unsubstantiierten Anregung des Klägers nachzukommen, die Situation in Afghanistan durch Beweiserhebung näher aufzuklären. Vielmehr ist aufgrund der von UNAMA und EASO ermittelten Zahlen unverändert davon auszugehen, dass die Situation u.a. in den Nordprovinzen nicht durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das festgestellte Risiko von 0,0357%, liegt weiterhin sehr deutlich unter der Gefahrendichte von 1:800 oder 0,125%, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag. Dem gefundenen Ergebnis steht deshalb auch nicht die im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung zu berücksichtigende unzureichende medizinische Versorgungslage in Afghanistan entgegen, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte. Hinsichtlich individueller gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers, die das allgemeine Risiko, als Zivilperson Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden, erhöhen könnten, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, der Kläger würde, da er bereits im Kindesalter Afghanistan verlassen hatte und ca. 14 Jahre lang im Iran gelebt hat, nicht in seine Heimatprovinz zurückkehren, sondern sich wie viele andere Rückkehrer auch in der Stadt Kabul niederlassen, ergäbe sich kein anderes Ergebnis: Denn auch hinsichtlich der Zentralregion, in welcher auch die Stadt Kabul liegt, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung bis in die jüngste Vergangenheit hinein die Einschätzung bestätigt, dass das Risiko, durch willkürliche Gewalt infolge eines bewaffneten Konflikts Schaden zu erleiden, weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit liegt (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 4 ff.; BayVGH, B. v. 4.4.2017 – 13a ZB 17.30231 – juris Rdnr. 9 ff.; BayVGH, B. v. 30.1.2017 – 13a ZB 16.30824 – juris Rdnr. 5, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 9, B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 7, B. v. 17.8.2016 – 13a ZB 16.30090 – juris Rdnr. 10, U. v. 1.2.2013 – 13a B 12.30045 – juris Rdnr. 15 jew. m.w.N.). Nichts anderes ergibt sich aus den zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) vorliegenden aktuellen Erkenntnismitteln wie insbesondere dem UNAMA – Bericht vom Februar 2017 (a.a.O.) und dem EASO-Bericht vom November 2016 (a.a.O.): UNAMA und EASO ordnen die Provinz Kabul (mit der Stadt Kabul) und die Provinzen Kapisa, Panjshir, Parwan, Wardak, Logar der Zentralregion Afghanistans zu. Aus dem EASO-Bericht (a.a.O.) vom November 2016 ergibt sich, dass in der Provinz Kabul 4.372.977 Menschen leben, davon mindestens 3.678.034 in der Stadt Kabul, sowie in allen Provinzen der Zentralregion zusammen 6.620.308 Menschen. Aus dem UNAMA-Bericht vom Februar 2017 (a.a.O., S. 4) geht wiederum hervor, dass in der Zentralregion insgesamt 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) des bewaffneten Konflikts zu beklagen waren. Mithin ergibt sich auf der Grundlage der Zahlen für 2016 für die Zentralregion ein Risiko von 0,0355%, als Zivilperson Opfer des bewaffneten Konflikts zu werden. Vergleicht man die Bevölkerungszahl allein der Stadt Kabul mit der Anzahl der Opfer in der gesamten Zentralregion (unterstellte man also, alle Opfer der Zentralregion entfielen auf die Stadt Kabul), errechnet sich ein Risiko von 0,0638%. Danach ist auch hinsichtlich der Zentralprovinzen einschließlich der Stadt Kabul unverändert davon auszugehen, dass die Situation nicht durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Die festgestellten Risiken von 0,0355% bzw. 0,0638% liegen weiterhin sehr deutlich unter der Gefahrendichte von 1:800 oder 0,125%, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt ist, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag. Hinsichtlich individueller gefahrerhöhender Umstände in der Person des Klägers, die das allgemeine Risiko, als Zivilperson Opfer eines bewaffneten Konflikts zu werden, erhöhen könnten, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dem Kläger drohte im Hinblick auf die von ihm vorgebrachten individuellen Gründe ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG. Insbesondere droht ihm auch insoweit keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG):
aa) Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung u.a. vorgebracht, er befürchte als Rückkehrer zum Militär eingezogen zu werden. Dies lässt schon aus tatsächlichen Gründen keinen ernsthaften Schaden erwarten, weil Afghanistan keine Wehrpflicht kennt und auch Zwangsrekrutierungen eher unwahrscheinlich sind (Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016, S. 12). Darüber hinaus stellt allein die Heranziehung zum Wehrdienst, die in vielen Staaten der Welt möglich ist und früher auch in Deutschland praktiziert wurde, auch in rechtlicher Hinsicht keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar.
bb) Auch die angebliche Bedrohung durch den Vater des vom Kläger angeblich bei einem Unfall im Iran im Jahr 2012 schuldlos getöteten Freundes rechtfertigt nicht die Zuerkennung des subsidiären Schutzes:
Es ist schon unplausibel, dass der Vater dieses Freundes den Kläger im Falle einer Rückkehr des Klägers nach Afghanistan tatsächlich und ernsthaft zu töten beabsichtigt. Jedenfalls ist es gemessen an den klägerischen Angaben in der Zeit unmittelbar nach dem angeblichen Unfall bis zur angeblichen Ausreise des Klägers aus dem Iran ca. fünf Monate später trotz der angeblich ausgesprochenen Todesdrohungen zu keinen konkreten Angriffen oder gar Tötungsversuchen gekommen. Es ist deshalb nicht wahrscheinlich, dass der Vater nach nunmehr fünf Jahren ernsthaft daran interessiert sein könnte, den Kläger tatsächlich zu töten. Hinzu kommt, dass der Vater des angeblich getöteten Freundes gemessen an den klägerischen Angaben seit Jahren im Iran lebt und deshalb den Kläger im Falle der Rückkehr des Klägers nach Mazar-e Sharif in Afghanistan mangels Anwesenheit gar nicht tatsächlich bedrohen könnte. Die hierzu erfolgte Einlassung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, die Familie des Vaters wisse alles über sein Leben sowie – allerdings nicht von sich aus, sondern erst auf wörtlichen Vorhalt des Bevollmächtigten – der Vater pendele zwischen Iran und Afghanistan hin und her, ist gänzlich lebensfremd und unrealistisch.
Letztlich kann dies alles dahingestellt bleiben: Denn wenn der Kläger im Falle einer Rückkehr in seine Heimatstadt … … tatsächlich und ernsthaft von dem Vater als nichtstaatlichem Akteur asylrelevant und asylerheblich bedroht werden sollte, so stünde dem Kläger zweifellos eine inländische Fluchtalternative und damit interner Schutz im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG zur Verfügung: Der Kläger könnte sich nach seiner Rückkehr nach Afghanistan etwa in der Stadt Kabul niederlassen – einer Stadt mit mindestens ca. 3,7 Millionen Einwohnern, die über kein Meldewesen verfügt und wo ihn niemand kennt –, wo ihn ein nichtstaatlicher Akteur wie der Vater zur Überzeugung des Gerichts mit asylrechtlich hinreichender Wahrscheinlichkeit nicht aufspüren kann (vgl. zu Kabul als innerstaatliche Fluchtalternative auch BayVGH, U. v. 28.3.2017 – 13a ZB 17.30212 – juris Rdnr. 5). Die unsubstantiierte bloße Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, wenn er nach Kabul oder irgendwo sonst in Afghanistan gehen würde, dann würden der Vater und seine Familie wissen, wo er sei, ist gänzlich unplausibel und lebensfremd. Im Fall des Klägers sind auch die Voraussetzungen des § 3 e Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfüllt: Insbesondere müsste der Kläger – wie unter a) am Ende bereits näher ausgeführt – auch in Kabul nicht befürchten, dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) ausgesetzt zu sein. Auch ist unverändert davon auszugehen, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann wie der Kläger regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (BayVGH, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 12 m.w.N.; B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 4 m.w.N.; B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 10). Daran vermag auch der von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung erwähnte UNHCR-Bericht vom Dezember 2016 nichts zu ändern: In diesem wird ausdrücklich konstatiert, dass UNHCR seine in der Veröffentlichung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016 vorgenommene Bewertung der Risikoprofile aufrecht erhält (S. 3). In den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 (im Internet abrufbar unter: http://www.refworld.org) vertritt der UNHCR indes selbst die Auffassung, dass alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage sind, ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen zu leben (S. 10; vgl. hierzu und auch im Übrigen zu den UNHCR-Richtlinien: BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 7; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 7; BayVGH, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 11; B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 5). Gegen diese Bewertung greift auch der Einwand des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht durch, er habe in anderen Städten Afghanistans zuvor nicht gelebt: Die o.g. Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hinsichtlich der arbeitsfähigen, gesunden Männer gilt selbst bei Afghanen, die im Ausland geboren sind und die sich niemals oder nur kurz in Afghanistan aufgehalten haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie – wie der Kläger, der nach eigenen Angaben beim Bundesamt die beiden Sprachen Farsi und Dari perfekt spricht – eine der Landessprachen beherrschen. Ein spezielles „Vertraut sein mit den afghanischen Verhältnissen“ ist nicht erforderlich (BayVGH, B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 7; B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 10 m.w.N; B. v. 19.12.2014 – 13a ZB 14.30065 – juris Rdnr. 7 m.w.N.). Schließlich kann der Kläger auch nicht damit gehört werden, als Schiit wäre er an einem anderen Ort Angehöriger einer „kleinen religiösen Gruppe“: In Afghanistan sind immerhin 19% der Bevölkerung schiitische Muslime. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten (zum Ganzen: Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016, S. 10).
cc) Schließlich kann dem Kläger subsidiärer Schutz auch nicht im Hinblick auf sein Vorbringen gewährt werden, sein Leben sei in Gefahr, weil sein eigener Vater in Mazar-e Sharif Feinde gehabt habe, die diesen angeblich umgebracht haben: Es ist schon nicht glaubwürdig, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif von den angeblichen Feinden seines Vaters tatsächlich und ernsthaft in asylrelevanter und asylerheblicher Weise bedroht würde. Das diesbezügliche Vorbringen des Klägers beim Bundesamt und gegenüber dem Gericht ist vage und oberflächlich geblieben. Selbst wenn der Vater des Klägers tatsächlich in Mazar-e Sharif von Feinden umgebracht worden sein sollte, als der Kläger noch ein Kleinkind war und bevor er mit seiner Mutter ca. 1999 in den Iran auswanderte, so würde sich allein daraus nicht erschließen, warum der Kläger selbst im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif knapp 20 Jahre später ebenfalls mit einer Tötung durch die früheren Feinde seines Vaters rechnen müsste. Letztlich kann dies indes auch hier dahingestellt bleiben: Denn wenn der Kläger im Falle einer Rückkehr in seine Heimatstadt … … tatsächlich und ernsthaft von den früheren Feinden seines Vaters asylrelevant und asylerheblich bedroht werden sollte, so stünde dem Kläger zweifellos auch insoweit eine inländische Fluchtalternative und damit interner Schutz im Sinne des § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG zur Verfügung, wie das Gericht bereits unter bb) im Einzelnen näher dargelegt hat.
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Hinsichtlich der bereits im Rahmen des subsidiären Schutzes erörterten Gefahren und Bedrohungen gilt das dort zum subsidiären Schutz Gesagte entsprechend auch für die Abschiebungsverbote. Vor allem aber liegen auch unter Berücksichtigung der zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) bestehenden wirtschaftlichen und humanitären Lage in Afghanistan nicht die Voraussetzungen dafür vor, dass ausnahmsweise im außergewöhnlichen Einzelfall des Klägers aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen bzw. einer mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehenden extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Betracht zu ziehen wäre (dazu BVerwG, U. v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rdnr. 23 – 26 sowie Rdnr. 38).
Insbesondere ist in Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage davon auszugehen, dass die Lage in Afghanistan nicht derart ist, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (BayVGH, B. v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris Rdnr. 5 m.w.N.; BayVGH, B. v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – juris Rdnr. 5 m.w.N.). Ferner ist ebenso in Übereinstimmung mit der aktuellen und ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch unter Berücksichtigung der aktuellen Auskunftslage unverändert daran festzuhalten, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Insbesondere gilt nach wie vor, dass ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (BayVGH, B. v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rdnr. 12 m.w.N.; B. v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris Rdnr. 4 m.w.N.; B. v. 20.12.2016 – 13a ZB 16.30129 – juris Rdnr. 10). An dieser Einschätzung vermag auch der von der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung erwähnte UNHCR-Bericht vom Dezember 2016 nichts zu ändern, wie das Gericht bereits unter 1. b) bb) im Einzelnen näher dargelegt hat. Ferner besteht auch insoweit kein Anlass, der unsubstantiierten Anregung des Klägers nachzukommen, die Situation in Afghanistan durch Beweiserhebung näher aufzuklären: Das Gericht kann bereits anhand der ins Verfahren eingeführten vielfältigen Erkenntnismittel und aufgrund seiner Sachkunde, die auf einer intensiven Befassung mit diesen Erkenntnismitteln beruht, beurteilen, dass jedenfalls in Bezug auf arbeitsfähige und gesunde Männer wie den Kläger die Voraussetzungen für ein asylrechtliches Abschiebungsverbot wegen schlechter wirtschaftlicher und humanitärer Verhältnisse in Afghanistan im Allgemeinen nicht vorliegen, so dass es auch insoweit einer weiteren Beweiserhebung nicht bedarf. Dieses Ergebnis hat schließlich auch dann Bestand, wenn man die vom Kläger vorgebrachten individuellen Umstände mit in den Blick nimmt: Dies gilt sowohl für den klägerischen Einwand, er habe in anderen Städten Afghanistans zuvor nicht gelebt, als auch für das Vorbringen, als Schiit wäre er an einem anderen Ort Angehöriger einer „kleinen religiösen Gruppe“. Zur näheren Begründung wird hierzu auf die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts unter 1. b) bb) verwiesen.
Nach alldem war die gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfreie Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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