Aktenzeichen 9 ZB 20.30794
VwGO § 124 Abs. 2, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
1. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gem. Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG BeckRS 2015, 50924). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht nicht, die Beweiswürdigung des Klägers zugrunde zu legen (vgl. BVerwG BeckRS 2017, 134689). Er kann allenfalls im Einzelfall bei gravierenden Verstößen verletzt sein, wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 29590). (Rn. 7) (red. LS Clemens Kurzidem)
Verfahrensgang
RN 14 K 18.31654 2020-02-13 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Kläger ist Staatsangehöriger Sierra Leones und begehrt die Anerkennung als Asylberechtiger und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungshindernissen. Mit Urteil vom 13. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt erfolglos. Die vom Kläger geltend gemachte Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), weil das Verwaltungsgericht gegen Beweiswürdigungsgrundsätze verstoßen habe und aufgrund dieser Mängel ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 78 Abs. 3 AsylG bestünden, liegt nicht vor.
1. Soweit sich der Kläger auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruft, bleibt der Antrag erfolglos. Im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kennt das Asylverfahrensrecht in § 78 Abs. 3 AsylG den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2019 – 9 ZB 19.31949 – juris Rn. 3).
2. Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch kein Verfahrensfehler i.S.d. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG.
Der Kläger trägt zur Begründung seines Zulassungsantrags vor, die Berufung sei wegen Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zuzulassen. Das Verwaltungsgericht habe gegen Beweiswürdigungsgrundsätze verstoßen, weil es seinen Vortrag als unglaubhaft und widersprüchlich eingestuft habe und nicht berücksichtigt habe, dass das Gedächtnis des Menschen, zumal wenn er traumatische Erfahrungen gemacht habe, seine Grenzen habe und der Kläger zudem einen Zeitungsartikel als Beweismittel vorgelegt habe. Mit diesem Vorbringen wird allerdings kein zur Zulassung der Berufung führender Verfahrensmangel nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO dargelegt.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sichert den Beteiligten im gerichtlichen Verfahren ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, B.v. 30.6.2015 – 2 BvR 433/15 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 15.2.2019 – 9 ZB 19.30448 – juris Rn. 3).
Mit einer Rüge der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 9 ZB 16.30738 – juris Rn. 6). Der Gehörsanspruch verpflichtet das Gericht auch nicht, die Beweiswürdigung des Klägers zugrunde zu legen (BVerwG, B.v. 25.10.2017 – 1 VR 10.17 – juris Rn. 3). Auch soweit der Kläger Rechtsanwendungsfehler im Zusammenhang mit der Würdigung seines Vortrags behaupten sollte, ist dies grundsätzlich nicht geeignet, einen Gehörsverstoß zu begründen (vgl. BVerfG, B.v. 6.5.2010 – 1 BvR 96/10 – juris Rn. 28; BVerwG, B.v. 9.6.2011 – 3 C 14.11 – juris Rn. 7). Der Anspruch auf rechtliches Gehör kann allenfalls im Einzelfall bei gravierenden Verstößen verletzt sein, wenn die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B.v. 8.4.2004 – 2 BvR 743/03 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 8.10.2019 – 9 ZB 19.31544 – juris Rn. 3), oder wenn es sich um gewichtige Verstöße gegen Beweiswürdigungsgrundsätze handelt, weil etwa die Würdigung willkürlich erscheint oder gegen gesetzliche Beweisregeln, allgemeine Erfahrungssätze, unumstrittene Geschichtstatsachen oder gar die Denkgesetze verstößt (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – juris Rn. 7).
Dass vorliegend ausnahmsweise derartige Verstöße vorlägen, legt die Antragsschrift nicht dar. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung genügt, diese aber voraussetzt, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden (vgl. BVerwG, B.v. 29.6.2001 – 1 B 131.00 – juris Rn. 23). Es hat die Echtheit des vorgelegten Zeitungsartikels offen gelassen und darauf abgestellt, dass Erscheinungsdatum und Daten in eklatantem Widerspruch zu den Ausführungen des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie der Regierung von Niederbayern stehen und erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung im Vortrag des Klägers „angepasst“ wurden. Dem kann der Kläger nicht allein mit dem Hinweis auf Grenzen des Gedächtnisses wegen traumatischer Erfahrungen entgegentreten, zumal er im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgrund mehrfacher Vorhalte und Nachfragen ausreichend Gelegenheit zur Erläuterung und Aufklärung hatte. Ein Widerspruch in der Beweiswürdigung, weil einerseits vom Kläger detaillierter Vortrag verlangt werde, andererseits der vorgelegte Zeitungsartikel – wie der Kläger meint – seine Geschichte detailliert belege, aber nicht berücksichtigt worden sei, ergibt sich ebenfalls nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat den gesamten Vortrag des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal, das aus verschiedenen Aspekten besteht, insgesamt als vage und widersprüchlich bewertet. Es ist unter Würdigung all dieser verschiedenen Aspekte zu dem Schluss gekommen, dass der Kläger „eine Geschichte erfunden hat“. Der Zeitungsartikel ist somit nicht entscheidungserheblich, zumal auch der Kläger im Zulassungsvorbringen nicht darlegt, inwieweit dieser inhaltlich detailliert über seinen Vortrag hinausgeht, den das Verwaltungsgericht als oberflächlich und vage bewertet hat. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass sich der Kläger auf internen Schutz verweisen lassen müsse. Im Ergebnis mag der Kläger die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung hinsichtlich seines Vorbringens für unzutreffend halten. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind jedoch – wie bereits dargelegt – nach § 78 Abs. 3 AsylG kein Grund für die Zulassung der Berufung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).