Verwaltungsrecht

Erfolglose Beschwerde – Keine unbillige Härte bei geringfügiger Überschreitung der Frist zur Antragstellung auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis

Aktenzeichen  10 CS 19.757

Datum:
9.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13693
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 81 Abs. 4 S. 3
BayVwVfG Art. 28 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Eine unbillige Härte nach § 81 Abs. 4 S. 3 AufenthG wird angenommen, wenn der Ausländer die Frist zur Antragstellung nur geringfügig überschritten hat, die Fristüberschreitung lediglich auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist und bei einer summarischen Prüfung davon ausgegangen werden kann, dass – eine rechtzeitige Antragstellung vorausgesetzt – die beantragte Verlängerung des Aufenthaltstitels erteilt werden kann (VGH München BeckRS 2016, 53464). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Nicht jede verspätete Antragstellung führt ohne Weiteres zu einer übermäßigen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte. Entscheidend ist, dass erkennbar ist, dass bei rechtzeitiger Antragstellung die fragliche Aufenthaltserlaubnis ohne erhebliche Probleme hätte verlängert werden können, und es im Rahmen einer Betrachtung der Umstände des Einzelfalles unverhältnismäßig wäre, ihn – unter Abbruch gewichtiger familiärer, wirtschaftlicher und sozialer Bindungen – auf eine Ausreise und ein nachfolgendes Visumverfahren zu verweisen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 S 19.914 2019-04-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller, ein marokkanischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seiner Beschwerde seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (M 24 K 19.913) weiter.
Gegenstand der Klage und des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO ist der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Februar 2019, mit dem diese ausgesprochen hat, dass der Antragsteller verpflichtet sei, das Bundesgebiet zu verlassen (Nr. 1), und ihm unter Bestimmung einer Ausreisefrist seine Abschiebung angedroht hat (Nr. 2).
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss vom 3. April 2019 abgelehnt. Soweit sich der Antrag gegen Nr. 1 des Bescheids richte, sei er unzulässig, weil es sich dabei nicht um einen Verwaltungsakt handle. Die Verpflichtung zu Ausreise folge unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass es einer Regelung durch die Ausländerbehörde bedürfe, daher handle es sich nur um einen Hinweis auf die gesetzliche Ausreisepflicht. Bezüglich Nr. 2 des Bescheids sei der Antrag unbegründet, weil der Bescheid insoweit aller Voraussicht nach rechtmäßig sei.
Die zulässige Beschwerde bleibt erfolglos. Die vom Antragsteller zur Begründung seiner Beschwerde dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO seine Prüfung zu beschränken hat, rechtfertigen nicht die Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Der maßgebliche Gesichtspunkt der Beschwerdebegründung ist die Ansicht des Antragstellers, dass er gar nicht vollziehbar ausreisepflichtig sei, weil ihm die Fiktionswirkung des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zugutekommen müsse. Er räumt zwar ein, dass er vor Ablauf der Gültigkeitsdauer seiner Aufenthaltserlaubnis (13. Februar 2019) keinen Antrag auf Verlängerung gestellt hat. Er habe jedoch gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf die Anordnung der Fortgeltungswirkung seiner abgelaufenen Aufenthaltserlaubnis gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG gehabt. Es liege eine unbillige Härte vor, weil er die Frist zur Antragstellung nur geringfügig überschritten habe und die Fristüberschreitung lediglich auf Fahrlässigkeit zurückzuführen sei; er schildert sodann ausführlich den seinerzeitigen Geschehensablauf.
Dieses Vorbringen, das gegenüber dem Verwaltungsgericht noch nicht geltend gemacht wurde und das deshalb darauf nicht eingegangen ist, rechtfertigt jedoch keine Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
Nach der – mit Gesetz vom 1. Juni 2012 (BGBl. I S. 1224) eingeführten – Regelung des § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG kann die Ausländerbehörde, wenn der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt wurde, zur Vermeidung einer unbilligen Härte die sich sonst aus § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ergebende Fortgeltungswirkung anordnen. Eine unbillige Härte in diesem Sinn wird angenommen, wenn der Ausländer die Frist zur Antragstellung nur geringfügig überschritten hat, die Fristüberschreitung lediglich auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist und bei einer summarischen Prüfung davon ausgegangen werden kann, dass – eine rechtzeitige Antragstellung vorausgesetzt – die beantragte Verlängerung des Aufenthaltstitels erteilt werden kann (vgl. z.B. Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.11.2018, § 81 Rn. 42.2, unter Berufung auf die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 17/8682 S. 22; BayVGH, B.v. 21.9.2016 – 10 ZB 16.1296 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.4.2016 – OVG 11 S 10.16 – juris Rn. 5). Allerdings führt nicht jede verspätete Antragstellung ohne weiteres zu einer übermäßigen, vom Gesetzgeber nicht gewollten Härte (Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 81 Rn. 27; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Jan. 2019, § 81 Rn. 107). Entscheidend für das Vorliegen einer unbilligen Härte ist, dass erkennbar ist, dass bei rechtzeitiger Antragstellung die fragliche Aufenthaltserlaubnis ohne erhebliche Probleme hätte verlängert werden können, und es im Rahmen einer Betrachtung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der (geringen) Dauer der Fristüberschreitung und des (geringen) Grades des Verschuldens des Ausländers, unverhältnismäßig wäre, ihn – unter Abbruch gewichtiger familiärer, wirtschaftlicher und sozialer Bindungen – auf eine Ausreise und ein nachfolgendes Visumverfahren zu verweisen (Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2017, § 81 Rn. 40; ähnlich Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Jan. 2019, § 81 Rn. 106).
Nach diesem Maßstab hat der Antragsteller hier eine unbillige Härte nicht dargelegt, auch wenn man zu seinen Gunsten davon ausgeht, dass in seiner Äußerung bei seiner Vorsprache und Anhörung am 22. Februar 2019 („Ich muss hierbleiben, ich arbeite hier. …“) ein Antrag auf Verlängerung seiner (bereits abgelaufenen) Aufenthaltserlaubnis und gleichzeitig eine Geltendmachung einer unbilligen Härte zu sehen ist.
Bereits seine Darstellung, warum ihm wegen seiner verspäteten Antragstellung auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis lediglich Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, ist in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Er räumt zwar ein, das Schreiben der Ausländerbehörde vom 13. Dezember 2018 erhalten zu haben, mit dem diese ihn auf den Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis am 13. Februar 2019 hingewiesen und ihm einen „verbindlichen Termin“ zur deren Verlängerung am 12. Februar 2019 zugeteilt hat. Er behauptet, er habe irrtümlich als Vorsprachetermin den 22. Februar 2019 gelesen und sei zugleich davon ausgegangen, dass seine Aufenthaltserlaubnis erst am 22. Februar 2019 ablaufe. Damit ist jedoch sein weiteres – und von der Antragsgegnerin bezweifeltes – Vorbringen nicht zu vereinbaren, wonach er am 15. und am 18. Februar 2019 zweimal vergeblich bei der Ausländerbehörde vorzusprechen versucht habe, um seine Aufenthaltserlaubnis verlängern zu lassen, dort jedoch jeweils zu falschen Sachbearbeitern geschickt worden sei; wenn er der Meinung war, am 22. Februar 2019 einen Termin zur Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zugeteilt bekommen zu haben, ergibt ein solches Verhalten keinen Sinn.
Weiter ist nicht erkennbar, dass die Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers gemäß § 38a AufenthG bei rechtzeitiger Antragstellung ohne weiteres verlängert worden wäre. Denn es lagen Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz über (angebliche) salafistische/jihadistische Äußerungen bzw. Verhaltensweisen vor. Ob sich daraus ein Ausweisungsinteresse im Sinn von § 54 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 4 AufenthG und damit ein Versagungsgrund nach § 5 Abs. 4 AufenthG bzw. das Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ergibt, wäre vor einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zunächst näher aufzuklären und zu prüfen gewesen, insbesondere durch eine – jedenfalls am 22. Februar 2019 noch nicht erfolgte – Anhörung des Antragstellers.
Schließlich ist bei einer Gesamtbetrachtung auch aus den Lebensumständen des Antragstellers keine unbillige Härte festzustellen, wenn er entsprechend seiner vollziehbaren Ausreisepflicht aufgrund des nicht rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags (gegebenenfalls vorübergehend) das Bundesgebiet verlassen muss. Er hat keine Familienangehörigen in Deutschland und allenfalls kurzfristige Arbeitsverhältnisse (nach seinen Angaben wurde ein Arbeitsverhältnis in der Probezeit am 1. Februar 2019 gekündigt; ein am 13. Februar 2019 geschlossenes Arbeitsverhältnis wurde am 22. Februar 2019 wieder aufgelöst).
Da somit bereits der Tatbestand einer unbilligen Härte im Sinn des § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG nicht vorliegt, kann offenbleiben, ob es sich bei einer Anordnung der Fortgeltungswirkung um eine gebundene oder um eine Ermessensentscheidung handelt (für eine Ermessensentscheidung: Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.11.2018, § 81 Rn. 42.1; Samel in Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl. 2018, § 81 Rn. 27; Hailbronner, AuslR, Stand Mai 2017, § 81 Rn. 39; für eine gebundene Entscheidung oder jedenfalls eine Ermessensreduzierung auf Null: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 81 Rn. 57; Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Stand Jan. 2019, § 81 Rn. 108).
War aber eine (Ermessens-)Entscheidung nicht zu treffen, erweist sich die Frage, ob in eine solche die gegen den Antragsteller erhobenen Vorwürfe salafistischer/jihadis-tischer Äußerungen bzw. Verhaltensweisen hätten eingestellt werden können oder müssen, als nicht entscheidungserheblich. Da diese Vorwürfe keine für die Entscheidung erheblichen Tatsachen waren, kann auch kein Verstoß gegen das Anhörungsgebot des Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG vorliegen.
Hinsichtlich des Erlasses der Abschiebungsandrohung als solcher hat bereits das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass eine mögliche Verletzung der Anhörungsvorschriften die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst habe. Denn eine andere Entscheidung in der Sache sei angesichts der kraft Gesetzes vollziehbaren Ausreisepflicht des Antragstellers infolge des abgelaufenen Aufenthaltstitels nicht möglich gewesen. Insbesondere habe (auch insofern) kein Ermessensspielraum für die Antragsgegnerin bestanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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