Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen Ablehnung des Asylantrages

Aktenzeichen  M 6 K 17.30966

Datum:
27.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 3 Abs. 1,§ 3e, § 4 Abs. 1, Abs. 3
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Kabul einschließlich seines Umfeldes und einige weitere größere Städte können zumutbare innerstaatliche Fluchtalternativen iSd § 3e AsylG sein. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Einem arbeitsfähigen, gesunden jungen Mann ist es regelmäßig möglich, auch ohne nennenswertes Vermögen, durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan ist derzeit nicht zu einer extremen Gefahrenlage zugespitzt, so dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 S.1 AufenthG geboten wäre. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2017 entschieden werden, obwohl auf Seiten der Beklagten niemand erschienen ist. In der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Nichterscheinens eines Beteiligten ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.
2. Die Klage gegen die Nrn. 1, 3 – 6 des Bescheides der Beklagten vom 13. Januar 2017 hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 13. Januar 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO analog).
Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der mündlichen Verhandlung am 26. April 2017 (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz – AsylG -).
Zur Begründung der vorliegenden Entscheidung wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in der Begründung des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 13. Januar 2017 Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend wird ausgeführt:
2.1 Ob der Kläger im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG vor seiner Ausreise in seinem Heimatland einer Verfolgung ausgesetzt war, bleibt offen. Auch durch intensive Befragung des Klägers konnte im Verlauf der mündlichen Verhandlung nicht abschließend geklärt werden, wie genau sich das von ihm geschilderte Geschehen, das Anlass für seine Flucht gewesen sein soll, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, zugetragen hat. Selbst wenn man diese Unklarheiten zu Gunsten des Klägers bei Seite lässt, ist festzustellen, dass sich die Morde an seinem Vater und seinem Bruder nicht als gegen den Kläger gerichtete Verfolgungshandlungen darstellen. Er selbst hat vorgetragen, dass nach dem Wegzug der Familie aus seinem Heimatdorf es zu keinen weiteren Bedrohungen der Familie oder von ihm selbst gekommen sei.
2.2 Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür feststellbar, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine ernsthafte Gefahr oder Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 – 3 AsylG droht.
2.2.1 Es ist weder etwas dafür vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
2.2.2 Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG liegen in der Person des Klägers nicht vor.
Wie bereits ausgeführt, sind zwar zwei Familienmitglieder des Klägers – dieses Vorbringen als wahr unterstellt – Opfer von Gewalttaten mutmaßlich der Taliban geworden. Ursache hierfür könnte die Zusammenarbeit des Vaters und des Bruders mit der afghanischen Regierung und den Amerikanern gewesen sein. Da der Kläger nach seinen Angaben jedoch nur Schüler war und sonst keine weitere vergleichbare Tätigkeit wie sein Vater und sein Bruder ausgeübt hat, besteht aus Sicht des Gerichts kein Anlass, auch ihn aus diesen oder vergleichbaren Gründen zu verfolgen. Außerdem konnte er sich zusammen mit seiner Familie weiteren Bedrohungen durch Wegzug aus seinem ursprünglichen Heimatdorf entziehen. Es ist nichts dafür ersichtlich, weshalb die Taliban Grund haben sollten, die Familie weiterhin und erst recht an einem anderen Ort zu verfolgen. Aus diesem Grund hat das Gericht erhebliche Zweifel an der Echtheit des vorgelegten Drohbriefs der Taliban. Doch selbst wenn dieser echt wäre ist auch nach den eigenen Angaben des Klägers von keiner Fortsetzung der Verfolgung und Bedrohung gegenüber der Familie des Klägers nach deren Umzug mehr auszugehen.
2.2.3 Dem Kläger ist auch nicht nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Nach allen der Kammer vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Informationen ist nicht von einer ernsten individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in Afghanistan auszugehen. Hinsichtlich der Methodik zur Beurteilung dieser Frage folgt die Kammer der obergerichtlichen Rechtsprechung (z.B. BayVGH, B.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182, juris; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 613, NVwZ-RR 2014, 487; VG München, U.v. 3.4.2017 – M 17 K 16.34975, juris, Rn. 33 m.w.N.). Die Anwendung dieser Methodik auf den vorliegenden Fall ergibt, dass dem Kläger kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zuzuerkennen ist.
Nach dem aktuellen UNAMA-Bericht „Afghanistan annual report on protection of civilians in armed conflicts 2016“ vom Februar 2017 versteht diese Organisation unter der sog. Ostregion folgende Provinzen: Kunar, Laghman, Nangarhar und Nuristan. Dort leben insgesamt 2.164.300 Menschen, von denen im Jahr 2016 1.595 Opfer von Gewalt gegen Zivilisten im Rahmen der bestehenden Auseinandersetzungen wurden (Tote und Verletzte). Daraus errechnet sich eine Wahrscheinlichkeit von 1:1.356, Opfer solcher Auseinandersetzungen zu werden. Nimmt man im Sinne eines Sicherheitszuschlages mit Blick darauf, dass auf Grund der insgesamt schwierigen und unsicheren Lage in Afghanistan möglicherweise nicht alle Opfer Organisationen, wie der UNAMA, bekannt werden, eine um 50% höher liegende Opferzahl an, also vorliegend 2.392 Opfer, so errechnet sich hieraus eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 904, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Dieser Wert liegt deutlich oberhalb jenes Maßstabes von 1:800, den die obergerichtliche Rechtsprechung als Beurteilungsmaßstab dafür entwickelt hat, wann jedenfalls noch nicht vom Vorliegen einer jedermann betreffenden ernstlichen Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, ausgegangen werden muss (in Anschluss an BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 1 0 C 13.10, NVwZ 2012, 454).
2.2.4 Selbst wenn man hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Falle des Klägers zu einer anderen Einschätzung gelangen würde, wäre dieser nach § 4 Abs. 3 AsylG i.V.m. § 3 e AsylG auf eine innerstaatliche Fluchtalternative, nämlich insbesondere Kabul einschließlich seines Umfeldes zu verwiesen. Dasselbe gilt entsprechend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Kammer folgt in dieser Frage den tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, in dessen Beschluss vom 14. Februar 2017 (13a ZB 17.30010). Zunächst sieht das Gericht den Kläger nicht in einem Ausmaß als vorverfolgt an, dass er, wo immer er sich in Afghanistan aufhalten würde, mit einer Verfolgung zu rechnen hätte; das gilt auch unter Einbeziehung der Darstellungen des Klägers hinsichtlich der Ermordung seines Vaters und seines Bruders, weil der Kläger selbst zu solchen Verfolgungshandlungen durch eine eigene Tätigkeit keinerlei Anlass gegeben hat. Der Kläger hat aus Sicht des Gerichts für die Taliban keine so große Bedeutung, dass diese ihn überall in Afghanistan suchen und verfolgen würden. Er gehört auch nicht zu einer jener Gruppen, die im besonderen Maße Ziel willkürlicher Gewalt in Afghanistan sind, wie etwa Ärzte, Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten.
Nach allen dem Gericht vorliegenden Informationen gelten in Afghanistan neben der bereits genannten Zentralregion um Kabul jedenfalls noch einige weitere größere Städte als so sicher, dass es dem Kläger auch zugemutet werden kann, sich dort niederzulassen (vgl. den Bericht des Auswärtigen Amtes vom Dezember 2016 sowie den zusätzlich als Erkenntnismittel in das vorliegende Verfahren eingeführten Bericht der UN – General Assembly Security Council „The situation of Afghanistan and it ´s Implications for international peace and security“ v. 3.3.2017, sowie UNHCR „The UN Refugee ageny – Tough choices for Afghan refugees’ returning home after years in exile“ v. 3.2.2017). Zwar berichten sämtliche Erkenntnisquellen übereinstimmend von einer nach wie vor angespannten Sicherheitslage sowie insgesamt in jeder Hinsicht schwierigen Lebensbedingungen in Afghanistan. Insbesondere größere Städte, wie etwa Helmand, das inzwischen von den Taliban erneut befreite Kundus oder Bamjan gelten jedoch nach übereinstimmenden Einschätzungen als erheblich sicherer als manche Landesteile, in denen nach wie vor oder erstmals bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, wie etwa in den südlichsten Provinzen. Besonders aber in der Millionenstadt Kabul und der dazugehörigen Provinz mit mehr als 3 Mio. Einwohnern ist der Kläger zur Überzeugung des Gerichts nach Auswertung aller relevanten Erkenntnisquellen hierzu keiner existentiellen Gefährdung, insbesondere nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr der Verletzung von Leib und Leben ausgesetzt. Vielmehr ist er als gesunder, arbeitsfähiger, allein stehender junger Mann in der Lage, dort zu überleben und sich eine, wenn auch bescheidene Existenzgrundlage aufzubauen. Dabei werden ihm zur Überzeugung des Gerichts auch seine Familienangehörigen behilflich sein, die in seinem Heimatland sowie im Ausland leben, nach Angaben des Klägers durchaus in guten wirtschaftlichen Verhältnissen.
2.3 Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vor.
Bei den national begründeten Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK – und den nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand (BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14.10, BVerwGE 140, 319, Rn. 61).
Vorliegend gibt es im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. § 3 EMRK keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Kläger wäre im Fall seiner Rückkehr in sein Heimatland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt. Es müsste mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dem Kläger eine solche unmenschliche Behandlung oder extreme Gefahr drohen oder es müssten so schlechte humanitäre Bedingungen herrschen, dass sein Überleben als gefährdet erscheint. Für all dies ist nach den Umständen des vorliegenden Falles nichts ersichtlich. Auch der Kläger selbst hat nicht vorgetragen, weshalb ein Überleben – schlimmstenfalls am Rande des Existenzminimums – für ihn in Afghanistan schlichtweg unmöglich sein sollte. Der vorstehend zitierte UN-Bericht spricht zwar von schwierigen Bedingungen für Rückkehrer, nennt aber auch zahlreiche positive Aspekte und stellt fest, rund drei Viertel der für den Bericht befragten Rückkehrer hätten auch nach mehreren Monaten Aufenthalt erklärt, ihre Rückkehr sei die richtige Entscheidung gewesen. Zusammenfassend geht das Gericht deshalb im Fall des Klägers, auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044, juris, Ls. 1 und Rn. 5), davon aus, dass es einem arbeitsfähigen, gesunden jungen Mann regelmäßig möglich ist, auch ohne nennenswertes Vermögen, im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan durch Gelegenheitsarbeiten in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Auch unter Auswertung der zuletzt in das vorliegende Verfahren eingeführten Erkenntnismittel liegen dem Gericht keine Informationen derart vor, dass sich diese Aussage nicht weiterhin so aufrechterhalten ließe. Vielmehr gibt es einzelne, wenn auch kleine positive Anzeichen hinsichtlich einer Stabilisierung der Lage zumindest in einigen Teilen des Landes, jedenfalls aber keine derart signifikante landesweite Verschlechterung der Lage, dass dem Kläger und auch sonst keinem außer Landes befindlichen afghanischen Staatsangehörigen die Rückkehr in sein Heimatland nicht zugemutet werden könnte.
Die allgemeine Gefahrenlage in Afghanistan stellt sich auch nicht als für den Kläger derart zu einer extremen Gefahrenlage zugespitzt dar, dass eine entsprechende Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geboten wäre.
Ob diese Annahme auch dann noch so aufrechterhalten werden kann, wenn eine Rückkehr des Klägers in sein Heimatland konkret ansteht, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Dazu ist die Lage in Afghanistan viel zu volatil und instabil. Sie wird anhand dann aktueller Erkenntnisse zu gegebener Zeit neu zu ermitteln und zu bewerten sein.
3. Da sich die Nrn. 1, 3 und 4 des Bescheides vom 13. Januar 2017 somit als rechtmäßig erweisen, durfte das Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG eine Ausreiseaufforderung und eine Abschiebungsandrohung aussprechen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylG gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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