Aktenzeichen B 3 K 16.31571
Leitsatz
Die Überstellung von Drittstaatsangehörigen nach Italien, die dort als Flüchtlinge anerkannt wurden, verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK. Sie können in Italien trotz fortbestehender Defizite staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung am 05.04.2017 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten bei der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
Die zulässig Klage (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 09.08.2016, 1 C 6.16, juris; OVG NRW, U. v. 22.09.2016, 13 A 2448.15.A, juris) ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 03.11.2016 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
1. Der Asylantrag der Klägerin in Deutschland ist unzulässig.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen bei der Klägerin vor. Der Klägerin wurde bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union -Italien – internationaler Schutzstatus im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt (vgl. hierzu ausführlich VG Bayreuth, U. v. 02.02.2017, B 3 K 16.30085).
2. Das Bundesamt hat in Ziffer 2 des Bescheides zutreffend festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S.1 AufenthG vorliegen (vgl. § 31 Abs. 3 AsylG).
a) Es ist davon auszugehen, dass trotz fortbestehender Defizite anerkannte Flüchtlinge in Italien staatliche Hilfen in Anspruch nehmen können und eine Überstellung nicht gegen Art. 3 EMRK verstößt. Das Gericht schließt sich insoweit den Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen in seinen Urteilen vom 22.09.2016 (13 A 2448/15.A, juris) und 24.08.2016 (13 A 63/16.A, juris) an.
b) In der Person der Klägerin selbst liegen auch keine individuellen, besonderen Gründe vor, die eine Zuordnung zur Gruppe der besonders verletzlichen Personen erfordern und eine Überstellung nach Italien als menschenrechtswidrig erscheinen lassen. Der EGMR hat in seiner „Tarakher-Entscheidung zwar ausgeführt, dass insbesondere minderjährige Asylbewerber eines besonderen Schutzes bedürften, weil sie besondere Bedürfnisse hätten und extrem verwundbar seien. Das gelte auch, wenn die Kinder von ihren Eltern begleitet würden. Eine Überstellung nach Italien in solchen Fällen verstoße deshalb nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die italienischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach die Betroffenen eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind (vgl. EGMR, U. v. 04.11.2014, Nr. 29217/12, Tarakhel ./. Schweiz, juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss vom 17.09.2014 (2 BvR 732/14) festgestellt, dass auf Grund der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG im Dublin-System zur Vermeidung erheblicher konkreter Gesundheitsgefahren für neugeborene und Kleinstkinder bis drei Jahren eine ausreichende Versorgung im Zielstaat sicherzustellen ist. Hierzu sei es notwendig, sich mit den Behörden des Zielstaates abzustimmen.
Die Klägerin fällt jedoch ersichtlich nicht unter diesen besonders schutzbedürftigen Personenkreis. Sie ist vielmehr die volljährige Tochter einer Familie, die sich bereits mehrere Jahre in Italien (2008 bis 2010 und 2011 bis 24.05.2015, unterbrochen durch einen sechsmonatigen Aufenthalt in Österreich) aufgehalten hat und dort die Schule besucht hat. Die Klägerin zählt offensichtlich vielmehr zu dem Personenkreis, der die jeweiligen Vorteile mehrerer Asylverfahren in den EU-Staaten genießen und in Anspruch nehmen möchte.
c) Eine Ausweitung der obigen Rechtsprechung erscheint auch unter Berücksichtigung der deutschen Grundrechte nicht geboten. Insoweit sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb sich die Lage in Italien soweit verändert haben sollte, dass die Rechtsprechung des BVerfG auszuweiten wäre. Dies widerspräche letztendlich dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens, das aus der uneingeschränkten und umfassenden Anwendung der Europäischen Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention resultiert (vgl. VG Lüneburg, U. v. 13.12.2016, 8 A 175/16, juris).
d) Darüber hinaus lässt auch das Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die Versorgung der anerkannten Flüchtlinge in Italien in irgendeiner Weise unmenschlich oder erniedrigend wäre. Der Vortrag, die volljährige Klägerin wolle bei Ihren Eltern in Deutschland bleiben, weiterhin aufs Gymnasium gehen und den Schulabschluss in Deutschland machen ist zwar menschlich nachvollziehbar, kann aber jedenfalls in vorliegenden Verfahren kein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot begründen. Über inlandsbezogene Abschiebungshindernisse im Hinblick auf den eventuellen Verbleib der (minderjährigen) Familienangehörigen ist ggf. in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.
3. Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides beruht auf § 35 i.V.m. § 36 AsylG. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Die einwöchige Ausreisefrist des § 36 Abs. 1 AsylG wurde dem Bescheid zutreffend zugrunde gelegt.
4. Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit des von der Beklagten festgesetzten Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.
5. Weitere bzw. andere Gesichtspunkte, die gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 03.11.2016 sprechen, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert richtet sich nach § 30 RVG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.