Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen eine Abschiebungsandrohung mangels Darlegung von Verfolgungsgründen

Aktenzeichen  Au 6 K 16.30801

Datum:
5.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7, § 60a Abs. 1
AsylG AsylG § 3, § 4 Abs. 1, § 77 Abs. 2
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Wenn der Kläger erst auf seiner Reise in Griechenland aufgrund von Informationen koreanischer Missionäre über die verschiedenen Religionen und das Christentum auf den Gedanken gekommen ist, im Asylverfahren vorzutragen, er sei konvertiert, ist eine bereits in Afghanistan stattgefundene Konversion zum christlichen Glauben mit Blick darauf sowie unter Berücksichtigung seiner Lebensbiographie nicht glaubhaft. (redaktioneller Leitsatz)
2. Absolute Unglaubhaftigkeit der vorgetragenen Konversion, weil der Kläger erst kurz vor der mündlichen Verhandlung versucht hat, Kontakt zur katholischen Kirche in Deutschland aufzunehmen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Risiko, in Kabul durch Anschläge einen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (wie VGH München BeckRS 2013, 52737). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Anerkennung als Asylberechtigter oder auf die Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG liegen nicht vor (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist auch hinsichtlich der Ausreiseaufforderung, der Abschiebungsandrohung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und auf Gewährung sub-sidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG. Es wird in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids des Bundesamts (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Es ist stets Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Wegen des sachtypischen Beweisnotstands, in dem sich Flüchtlinge insbesondere im Hinblick auf asylbegründende Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, genügt für diese Vorgänge in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
b) Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht fest, dass das Vorbringen des Klägers hinsichtlich seines Verfolgungsschicksals nicht glaubhaft und damit nicht zutreffend ist. Bereits aus seiner Lebensbiographie heraus ist es nicht glaubhaft, dass er bereits in Afghanistan zum christlichen Glauben konvertiert ist bzw. sich dem christlichen Glauben zugewendet haben will. Er lebte in einem Dorf, von dem die nächstgrößere Stadt ungefähr drei Autostunden entfernt war und in der er nur ein Mal in seinem Leben war. In dem Dorf lebten ausnahmslos Moslems. Der Kläger selbst hat keine Schule besucht und war als Hirte im Dorf tätig. Selbst wenn er tatsächlich einmal geträumt hat, dass ihm eine Person erschienen sei und ihn auf das Verschwinden der Schafe aufmerksam gemacht haben will, ist es vielleicht noch nachvollziehbar, dass er daraufhin den Mullah aufsucht und ihm davon berichtet. Dass er daraufhin jedoch die Konsequenzen zieht, zum christlichen Glauben wechseln zu wollen, ist absolut unglaubhaft. Er hat in soweit überhaupt keine Anknüpfungspunkte, die ihm zum christlichen Glauben bewegen könnten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er sich aufgrund seines Bildungsniveaus mit den Erklärungen des Mullahs zufrieden gegeben hat. Das Gericht glaubt aber bereits nicht das „Erweckungserlebnis“, sondern geht davon aus, dass der Kläger – wie er in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat – auf seiner Reise in Griechenland Kontakt bekommen hat zu koreanischen Missionaren. Diese bieten den Flüchtlingen Unterstützung an und versuchen in diesem Zusammenhang, die Flüchtlinge zum christlichen Glauben zu führen. Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger aufgrund dieser Informationen über die verschiedenen Religionen und das Christentum auf den Gedanken gekommen ist, im Asylverfahren vorzutragen, er sei konvertiert.
Es ist auch – davon abgesehen – nicht nachvollziehbar, wieso seine Familie ihn nicht bereits in Afghanistan töten hat lassen, wo dies wesentlich einfacher passieren hätte können. Der Kläger selbst hat bei seiner Anhörung beim Bundesamt ausgeführt, dass die Familie „immer wieder versucht“ habe, ihn davon zu überzeugen, wieder zum Islam überzutreten. Sie hätte somit ausreichend Zeit gehabt, einen Tötungsversuch zu unternehmen.
Des Weiteren ist der Vortrag des Klägers auch widersprüchlich und auch insoweit unglaubhaft. Unabhängig davon, in welchem Jahr der Kläger nun tatsächlich geboren worden ist, gab er beim Bundesamt an, dass er mit 16 Jahren konvertiert sei, beim Verwaltungsgericht war er demgegenüber 18 oder 19 Jahre alt. Beim Bundesamt gab er an, von Griechenland aus seine Familie angerufen zu haben, nachdem der Vater gestorben war. Vor dem Verwaltungsgericht erklärte er demgegenüber, er habe in Serbien erfahren, dass sein Vater gestorben sei und dann seine Mutter angerufen. Er habe ihr daraufhin auf deren Nachfrage erzählt, wo er sich aufhalte. Dann seien die Leute gekommen. Mit dieser Korrektur seines Vorbringens versucht er, schlüssig darlegen zu können, wie die fünf Männer ihn gefunden haben. Es erscheint demgegenüber nämlich wenig nachvollziehbar, sowie er beim Bundesamt angegeben hat, dass er von Griechenland aus angerufen hat und die Männer ihn dann in Serbien gefunden hätten. Widersprüchlich ist auch, dass er beim Bundesamt angegeben hat, die Angreifer hätten ihm auf seine Frage 13 hin geantwortet, dass die Familie sie beauftragt hätte. Beim Verwaltungsgericht erklärte er demgegenüber, er habe erst im Nachhinein erfahren, wieso die Angreifer ihn angegriffen hätten. Er habe sie zwar auch gefragt, als sie ihn geschlagen hätten, aber sie hätten ihm nichts gesagt.
Absolut unglaubhaft ist seine Konversion auch deshalb, weil er es – obwohl er bereits über drei Jahre in Deutschland lebt und auch im Hinblick auf die Probleme mit seinem Bein – offensichtlich erst kurz vor der mündlichen Verhandlung versucht hat, Kontakt zur katholischen Kirche in Deutschland zu erhalten. Gerade im Hinblick darauf, welche Gefahren und Mühen der Kläger wegen seiner angeblichen Konversion auf sich genommen hat, wäre es nahegelegen, Hilfe und Halt im christlichen Glauben zu finden. Es wäre nahegelegen, die entsprechenden Personen zeitnah anzusprechen und um Hilfe zu bitten.
2. Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 AufenthG berücksichtigt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Allgemeine Gefahren können nur dann Schutz vor Abschiebung begründen, wenn der Ausländer einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Fall seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwerster Verletzung ausgeliefert würde und diese Gefahren alsbald nach seiner Rückkehr und landesweit drohen würden (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2011 – 10 C 14/10 – BVerwGE 140, 319 Rn. 23).
Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage ergibt sich für den Kläger in Kabul als möglichem Zielort der Abschiebung weder aus seiner Volkszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage Das Risiko, dort durch Anschläge
Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist weit unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (BayVGH, B.v.19.6.2013 – 13a ZB 12.30386 – juris). Aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6. November 2015 zur Lage in Afghanistan (im Folgenden: Lagebericht) ergibt sich nicht, dass sich die Sicherheitslage in Kabul im Vergleich zur Einschätzung in den vorangegangenen Lageberichten verändert habe. Darin war die Sicherheitslage in Kabul unverändert als stabil beschrieben worden. Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, MA) führt zwar in ihrem im Februar 2016 veröffentlichten Jahresbericht für 2015 an, dass sie im Jahr 2015 die höchste Zahl an zivilen Opfern seit 2009 dokumentiert hat. Nachdem es bereits in den Jahren 2013 und 2014 einen Anstieg in der Zahl der zivilen Todesopfer und Verletzten gegeben hatte, stieg im Jahr 2015 die Zahl der durch konfliktbedingte Gewalt getöteten und verletzten ZivilistInnen im Vergleich zum Jahr 2014 um vier Prozent auf 11.002 zivile Opfer (3.545 Tote und 7.457 Verletzte). Wie UNAMA erläutert, ist der Anstieg in der Gesamtzahl der zivilen Opfer vor allem durch eine Zunahme an komplexen Anschlägen und Selbstmordanschlägen sowie gezielten Tötungen durch regierungsfeindliche Kräfte zu erklären. Darüber hinaus stieg auch die Zahl von Opfern, die durch Regierungskräfte im Zuge von Luft- und Bodengefechten verursacht wurden. UNAMA zu Folge führten komplexe Anschläge und Selbstmordanschläge in der Zentralregion, insbesondere in der Stadt Kabul, zu einem 18-prozentigen Anstieg in der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2015 (vgl. ACCORD: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, Stand: 5.7.2016, http: …www.ecoi.net/news/188769::afghanistan/101 .allgemeine-sicherheitslage-in-afghanistan-chronologie-fuer-kabul.htm). Dass sich die Sicherheitslage in Kabul jedoch derart gravierend verschlechtert hat, dass der Kläger Gefahr liefe, dort alsbald einer extremen Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu sein, ergibt sich auch aus den aktuellen Auskünften nicht (s. auch BayVGH, B.v. 14.1.2015 – 13a ZB 14.30410 – juris Rn. 5; zum bewaffneten Konflikt: BayVGH, B.v. 17.8.2016 -13a ZB 16.30090 – Rn. 10 m.w.N).
Dem Kläger droht auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Kabul. Der Kläger ist zwar offensichtlich durch die Verletzung seines Beines in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Ihm ist es aber nach eigenen Angaben möglich, zu arbeiten. So hat er eine Tätigkeit bei einem Supermarkt in München. Auch bei der Anhörung beim Bundesamt erklärte er, dass er arbeiten gehen könne, dass sei nicht das Problem. Hinzukommt, dass seine Familie ebenfalls in Kabul lebt. Nachdem es nach Überzeugung des Gerichts nicht glaubhaft ist, dass diese ihn verfolgt, ist davon auszugehen, dass diese ihn unterstützen wird. Er hat demnach familiäre Anknüpfungspunkte, die ihm zumindest die Anfangssituation erleichtern können. Im Übrigen sind unter Berücksichtigung der Auskunftslage insbesondere Rückkehrer aus dem Westen in einer vergleichsweise guten Position, die durchaus auch Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts eröffnet (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 13.5.2013 – 13a B 12.30052 – juris Rn. 12).
3. Gegen die Befristung von Einreise- und Aufenthaltsverboten nach § 11 Abs. 7,
Abs. 1 und Abs. 6 AufenthG sind keine substantiierten Einwände erhoben worden; schutzwürdige entgegenstehende Belange des Klägers sind auch sonst nicht ersichtlich.
4. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.

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