Verwaltungsrecht

Erfolglose Klage gegen Einstellungsbescheid wegen Nichtbetreiben des Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 1 K 17.43736, M 1 S 17.43738

Datum:
28.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 13900
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 10 Abs. 2 S. 4, § 25 Abs. 5, § 32, § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Der Klage gegen einen Einstellungsbescheid nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG fehlt jedenfalls dann das Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 2 bis 5 AsylG gestellt werden kann, für den nicht die Ausschlussgründe für eine Wiederaufnahme nach § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG gelten. (Rn. 8)
2. Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG gilt auch für die Zustellung der Ladung zu einer Anhörung nach § 25 AsylG im Rahmen des § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG. (Rn. 13)
3. In diesem Fall kommt es auf die Frage der ordnungsgemäßen Erteilung des Rechtsfolgenhinweises nach § 33 Abs. 4 AsylG nicht an. (Rn. 17)
4. Im Fall des § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG ist die Möglichkeit der Einholung einer schriftlichen Stellungnahme nach § 25 Abs. 5 AsylG ausgeschlossen. (Rn. 16)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage bleibt ohne Erfolg.
1. Die Anfechtungsklage ist unzulässig. Ihr fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Dem Kläger wäre eine einfachere und nicht weniger effektive Möglichkeit zur Realisierung seines Rechtsschutzziels offen gestanden, nämlich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 33 Abs. 5 Satz 2 bis 5 AsylG. Nach diesen Vorschriften kann ein Ausländer, dessen Asylverfahren gemäß § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG eingestellt worden ist, persönlich beim Bundesamt – ohne weitere Voraussetzungen – die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen, was gemäß § 33 Abs. 5 Satz 5 AsylG zwingend zur Fortführung des eingestellten Asylverfahrens durch das Bundesamt und zur Wirkungslosigkeit des einstellenden Bescheids führt (zur Klarstellung ist der Bescheid noch förmlich aufzuheben, Heusch in BeckOK AuslR, Stand. 1.2.2018, AsylG § 33 Rn. 36). Der Wiederaufnahmeantrag führt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG nur dann nicht zur Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate – ohne Verschulden des Ausländers (siehe Heusch in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2018, AsylG § 33 Rn. 35) – zurückliegt (§ 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1 AsylG) oder das Asylverfahren bereits nach § 33 AsylG wieder aufgenommen worden war (§ 33 Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 AsylG, Fall der sog. Zweiteinstellung). Die Ausschlussgründe des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG lagen beim Kläger nicht vor, da er innerhalb der Neun-Monate-Frist ohne weiteres den Wiederaufnahmeantrag hätte stellen können und sein Asylverfahren nicht bereits schon einmal nach § 33 AsylG eingestellt war (ein Rechtsschutzbedürfnis wie hier verneinend Heusch in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2018, § 32 AsylG Rn. 32; zum Meinungsstand und differenzierten Betrachtung für den Fall der Ersteinstellung einerseits und den Fall der Zweiteinstellung andererseits ders. a.a.O., § 33 Rn. 39 ff.).
2. Im Übrigen hätte die Klage auch in der Sache keinen Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO bzw. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
a. Rechtsgrundlage für die Einstellung des Asylverfahrens – und die deklaratorische Feststellung der Fiktion der Rücknahme des Asylantrags nach § 33 Abs. 1 AsylG – ist § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG. Danach stellt das Bundesamt das Asylverfahren in den Fällen des § 33 Abs. 1 AsylG (und – hier nicht einschlägig – des § 33 Abs. 3 AsylG) ein. Gemäß § 33 Abs. 1 AsylG gilt ein Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Asylverfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt die Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG ist das Verfahren fortzuführen, wenn der Ausländer diesen Nachweis führt. Nach § 33 Abs. 4 AsylG ist der Ausländer auf die nach § 33 Abs. 1 AsylG eintretenden Rechtsfolgen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hinzuweisen.
Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind hier erfüllt.
aa. Der Kläger erschien zu dem für den 31.3.2017 anberaumten Termin zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG nicht. Der Kläger war zu diesem Termin ordnungsgemäß – mit Postzustellungsurkunde – geladen worden. Die Ladung erfolgte unter Angabe des vom Kläger dem Bundesamt mitgeteilten Namens an die ebenfalls vom Kläger dem Bundesamt mitgeteilte Adresse. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärte, ist dies seine bis heute gültige Adresse. Diese Ladung muss der Kläger gegen sich gelten lassen, auch wenn die Sendung wegen Nichtermittelbarkeit unter der angegebenen Adresse als unzustellbar zurückkam, § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG. Der Kläger war auf die Zustellungsvorschriften des § 10 AsylG vom Bundesamt in deutscher Sprache und in Übersetzung in seine Sprache schriftlich und gegen Empfangsbestätigung hingewiesen worden (§ 10 Abs. 7 AsylG, siehe Bl. 26 ff. der Bundesamtsakte). Die Zustellung der Anhörungsladung war damit zum Zeitpunkt der Aufgabe zur Post wirksam erfolgt, auch wenn der Kläger von der Anhörungsladung erst später aus dem streitgegenständlichen Bescheid erfuhr (zur Geltung der Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG auch für die Zustellung der Anhörungsladung nach § 25 AsylG im Rahmen des § 33 AsylG Heusch in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2018, AsylG § 33 Rn. 18, 19).
bb. Der Kläger hat die durch die Nichtwahrnehmung des Anhörungstermins nach § 25 AsylG gesetzlich eingetretene Vermutung des Nichtbetreibens des Asylverfahrens nicht widerlegt. Die Widerlegung kann auch noch nach Erlass des Einstellungsbescheids nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG erfolgen (Heusch in BeckOK AuslR, Stand 1.2.2018, AsylG § 33 Rn. 25). Der Kläger hat nicht gemäß § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG unverzüglich nachgewiesen, dass die Versäumnis des Termins auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Die Berufung auf die Nichtkenntnis von der Ladung geht an der Sache vorbei. Es kommt nämlich nicht darauf an, ob der Kläger zum damaligen Zeitpunkt Kenntnis von der Ladung hatte. Denn die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG knüpft an die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Klägers an, jederzeit für die befassten Behörden und Gerichte auch postalisch erreichbar zu sein. Die Ladungszustellung erfolgte korrekt unter der vom Kläger mitgeteilten Adresse. Allerdings war dort eine Zustellung an den Kläger nicht möglich, da der Kläger als Adressat der Sendung unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln war. Das ist durch die Postzustellungsurkunde, die eine öffentliche Urkunde mit voller Beweiskraft darstellt (siehe etwa VG Düsseldorf, U.v. 24.7.2015 – 13 K 4121/15.A – juris), belegt, ohne dass diese Feststellung in der Zustellungsurkunde durch die Klägerseite in Frage gestellt oder gar erschüttert worden wäre. Die Nichtermittelbarkeit muss der Kläger gegen sich gelten lassen. Er hat somit die Versäumung des Anhörungstermins zu vertreten. Die Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens ist nicht widerlegt.
cc. Ebenso wenig kann die Bevollmächtigte des Klägers durch ihren Hinweis auf eine angeblich bestehende Verwaltungspraxis, vor Einstellung des Asylverfahrens zunächst zu einer weiteren Anhörung zu laden, etwas zu Gunsten des Klägers herleiten. Die Bevollmächtigte benennt keine Referenzfälle. Dem Gericht ist eine solche Praxis auch nicht bekannt. Sie hätte vor dem klaren Wortlaut des § 33 Abs. 1 Satz 1 und 5 Satz 1 AsylG auch keinen Bestand. Denn diese Vorschriften ordnen zwingend an, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren einzustellen ist, sobald ein Fall des § 33 Abs. 1 AsylG vorliegt, also schon beim ersten versäumten Anhörungstermin nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG.
Soweit die Bevollmächtigte des Klägers weiter eine schriftliche Anhörung des Klägers ins Spiel bringt, bezieht sie sich damit auf die Vorschrift des § 25 Abs. 5 AsylG. Danach kann das Bundesamt bei einem Ausländer, der – wie hier – nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, von einer persönlichen Anhörung absehen, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt (§ 25 Abs. 5 Satz 1 AsylG). In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben (§ 25 Abs. 5 Satz 2 AsylG). Äußert sich der Ausländer innerhalb dieser Frist nicht, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage, wobei auch die Nichtmitwirkung des Ausländers zu würdigen ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AsylG). Die Möglichkeit, eine schriftliche Stellungnahme einzuholen, steht nach dem klaren Wortlaut von § 25 Abs. 5 Satz 1 AsylG im Ermessen des Bundesamts. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dieses Ermessen hier auf Null reduziert wäre, § 114 Satz 1 VwGO. Im Übrigen ordnet § 25 Abs. 5 Satz 4 AsylG das Unberührtbleiben von § 33 AsylG an. Daraus ist zu folgern, dass die Regelungen zum Nichtbetreiben eines Asylverfahrens nach § 33 AsylG unabhängig von der ansonsten bestehenden Möglichkeit einer Einholung einer schriftlichen Stellungnahme nach § 25 Abs. 5 Satz 1 bis 4 AsylG Geltung beanspruchen, also in den Fällen des § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG eine schriftliche Stellungnahme nicht eingeholt zu werden braucht oder präziser gesagt nicht eingeholt werden darf (siehe hierzu Schönenbroicher in BeckOK AuslR, Stand 1.5.2017, AsylG § 25 Rn. 17 f.). § 33 AsylG beinhaltet ein abschließendes Regelungskonzept zum Nichtbetreiben eines Asylverfahrens, das im Falle des nicht entschuldigten Versäumnisses eines persönlichen Anhörungstermins nach § 25 AsylG gemäß § 33 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG zwingend die Rücknahme des Asylantrags fingiert und die Einstellung des Verfahrens anordnet (§ 33 Abs. 1 und 5 Satz 1 AsylG).
dd. Auf die in der Rechtsprechung umfangreich erörterten Fragen im Zusammenhang mit dem in § 33 Abs. 4 AsylG vorgeschriebenen schriftlich und gegen Empfangsbestätigung zu erteilenden Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 AsylG im Hinblick auf den Inhalt des Hinweises, die Form seiner Bekanntgabe an den Ausländer und die Notwendigkeit einer Übersetzung des Hinweises in die Sprache des Ausländers (siehe die Nachweise bei Heusch in BeckOk AuslR, Stand 1.2.2018, AsylG § 33 Rn. 7 ff.) kommt es vorliegend nicht an. Denn in dem – hier gegebenen – Fall der Fiktion der Zustellung der Ladung zur persönlichen Anhörung nach § 25 AsylG gemäß § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG kann ein etwaig fehlerhaft erteilter Rechtsfolgenhinweis nach § 33 Abs. 4 AsylG nicht kausal für die Versäumung des Anhörungstermins gewesen sein (wie VG Stuttgart, U.v. 21.3.2018 – A 12 K 4987/17 – juris).
b. Rechtsgrundlage für die Verneinung der nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist § 32 AsylG. Danach entscheidet in den Fällen des § 33 AsylG das Bundesamt nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Der Kläger hat hierzu nichts vorgetragen. Abschiebungsverbote sind auch nicht ersichtlich.
c. Die Anfechtungsklage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 32, 38 Abs. 2 und § 75 Abs. 1 AsylG, die Befristung des gesetzlichen Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in §§ 11 Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG.
d. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Weiter ergeht im Verfahren M 1 S 17.43738 ohne mündliche Verhandlung
am 28. März 2018
folgender
Beschluss
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II.  Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
Der gemäß §§ 38 Abs. 2, 75 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bleibt ohne Erfolg. Die vom Gericht originär zu treffende Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin geht zu Lasten des Antragstellers, weil der Bescheid rechtmäßig ist (siehe obiges Urteil) und von daher kein Interesse an der Aussetzung seines Vollzugs anzuerkennen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.

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