Aktenzeichen W 2 K 18.32234
Leitsatz
1 Es ist weder erkennbar, dass die ivorische Polizei bei Ermittlungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrig vorgeht, noch dass sie nicht Willens oder in der Lage wäre, Zivilpersonen zu schützen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Unter Berücksichtigung der Förderungsmöglichkeiten im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr in den dafür vorgesehenen Programmen ist es auch einer alleinstehenden jungen Frau möglich, sich in einer der Großstädte der Elfenbeinküste niederzulassen und sich eine wirtschaftliche Existenz jedenfalls am Rande des Existenzminimums aufzubauen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Über die Verwaltungsstreitsache konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 3. April 2019 verhandelt und entschieden werden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 24. Oktober 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG, noch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG. Es liegen keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vor. Die Ausreiseaufforderung unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste und die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig.
Das Gericht folgt der entsprechenden Begründung im Bescheid vom 24. Oktober 2018 hinsichtlich der Versagung der Asylberechtigung, der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzes und von Abschiebungsverboten und verweist auf die dortigen Ausführungen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
1.1 Die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte liegen nicht vor, da die Klägerin aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft eingereist ist, Art. 16 a GG.
1.2 Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG kann nicht erfolgen.
Gemäß § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Gemäß § 3a AsylG gelten dabei Handlungen als Verfolgung, die gemäß Nr. 1 auf Grund ihrer Art oder Wiederholungsgefahr so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) keine Abweichungen zulässig sind, oder die gemäß Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss das Gericht auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit – und nicht etwa nur der Wahrscheinlichkeit – des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Aufgrund der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – InfAuslR 1989, 349). Maßgeblich sind die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und die Glaubwürdigkeit seiner Person. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher eine gesteigerte Bedeutung beizumessen. Auch unter Berücksichtigung des Herkommens, Bildungsstands und Alters muss der Asylbewerber im Wesentlichen gleichbleibende möglichst detaillierte und konkrete Angaben zu den Umständen machen.
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen hat die Klägerin eine flüchtlingsrechtlich relevante Vorverfolgung in der Elfenbeinküste nicht glaubhaft gemacht.
Es bestehen schon erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der dargestellten Verfolgungsgeschichte. Die Widersprüchlichkeiten wurden im angegriffenen Bescheid vom 24. Oktober 2018 ausführlich dargestellt. Auf die entsprechenden Ausführungen wird verwiesen.
Aber selbst bei Wahrunterstellung der Verfolgungsgeschichte fehlt es bereits an einem flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmerkmal im Sinne von § 3b AsylG. Die behauptete Verfolgung durch den Bruder des verstorbenen Mannes der Klägerin knüpft weder an die Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder die Zugehörigkeit der Klägerin zu einer bestimmten sozialen Gruppe an. Insbesondere ist weder vorgetragen noch auf der Grundlage der einbezogenen Erkenntnismittel ersichtlich, dass verwitwete Frauen in der Elfenbeinküste als soziale Gruppe im Sinne von § 3b Abs. 1 Nr. 4b) AsylG wahrgenommen würden. Es fehlt sowohl an einer deutlich abgrenzbaren Identität, als auch an einer gefestigten kollektiven Vorstellung innerhalb der ivorischen Gesellschaft, die Frauen mit einer Vergangenheit als Prostituierte als andersartig wahrnimmt. Im Kern handelt es sich um einen Konflikt aus dem familiären/privaten Bereich.
Darüber hinaus hätte die Klägerin innerstaatlichen Schutz in Anspruch nehmen können. Sie hat sich weder wegen des tätlichen Übergriffs noch wegen der behaupteten Drohung der Zwangsbeschneidung ihrer Tochter an die örtliche Polizei gewandt. (Art. 3d Abs. 1 AsylG). Zwar ist Korruption im Polizeibereich in der Elfenbeinküste auch aktuell ein Problem und wird systematisch betrieben (vgl. AA, Lagebericht v. 15.1.2018, S. 2). Unter dem Gesichtspunkt der Nachrangigkeit flüchtlingsrechtlicher Schutzgewährung ist es jedoch dann nicht entbehrlich, staatlichen Schutz gegen die Verfolgung nicht-staatlicher Dritter zu suchen, wenn dies aus objektiver Sicht nicht von vorne herein aussichtslos erscheint. Insbesondere im Hinblick auf die behaupteten Körperverletzungen kann nicht von vorherein davon ausgegangen werden, dass die staatlichen Sicherheitsorgane in der Elfenbeinküste generell nicht fähig oder willens gewesen wären, dem nachzugehen. In den Erkenntnismittel sind weder Aussagen darüber auffindbar, dass die ivorische Polizei bei ihren polizeilichen Ermittlungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit menschenrechtswidrig vorgehen würde, noch sind auch in den aktuellsten Erkenntnismitteln Aussagen darüber enthalten, dass die ivorische Polizei nicht Willens oder in der Lage wäre, Zivilpersonen zu schützen (vgl.: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Côte d‘Ivoire, vom Januar 2018; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zur Elfenbeinküste, Gesamtaktualisierung am 30.3.2018; Bertelsmann Stiftung 2018: Country Report – Côte d’Ivoire; Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2018a), Geschichte & Staat; Human Rights Watch: World Report 2018 vom 18.1.2018). Es wird nur erwähnt, dass Korruption innerhalb des Staatsapparates vorkommt, so dass sich Gefangene aus den Gefängnissen freikaufen können, und dass die Sicherheitskräfte zeitweise daran scheitern, gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren, insbesondere während interkommunaler Auseinandersetzungen über Grundbesitz. Es kann mithin nicht pauschal unterstellt werden, dass die ivorischen Sicherheitskräfte die Klägerin nicht schützen wollen oder können. So genügt der pauschale Hinweis der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, dass ihr zwangsverheiratete Schwager Verbindungen zur Polizei gehabt habe, nicht.
Letztendlich kann aber auch dies dahinstehen. Denn jedenfalls stand und steht der Klägerin eine interne Fluchtalternative innerhalb der Elfenbeinküste zur Verfügung. Denn die Klägerin hat jedenfalls eine landesweite Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung hat bzw. keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht und er legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Der Klägerin war es zumutbar, sich zusammen mit ihren Kinder innerhalb der Elfenbeinküste, beispielsweise in einem anderen Ballungsraum – niederzulassen und dort – und sei es im Tagelöhner- oder Kleingewerbebereich – wirtschaftlich Fuß zu fassen. Die Klägerin erscheint als junge moderne Frau auf ihrem facebook-account. Um diese moderne Kommunikation zu pflegen, muss sie schreiben und lesen können. Mit diesen Fähigkeiten hätte die Klägerin ihr Existenzminimum sichern können.
Somit hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1.3 Der Klägerin steht auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zu.
Danach ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit werden die dortigen Bestimmungen über den Vorverfolgungsmaßstab, Nachfluchtgründe, Verfolgungs- und Schutzakteure und internen Schutz als anwendbar auch für die Zuerkennung subsidiären Schutzes erklärt.
Weder die Tatbestandmerkmale der Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe noch die Bedrohung des Lebens oder Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts kommen in Betracht.
Auch ist keine Schutzgewährung unter dem Gesichtspunkt einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung geboten.
Für die behauptete Verfolgung durch den Schwager wird auf die Ausführungen im Rahmen der Flüchtlingseigenschaft zur fehlenden Glaubwürdigkeit, die Möglichkeit internen Schutzes und die interne Fluchtalternative Bezug genommen.
1.4 Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Die Abschiebung eines Ausländers ist danach unzulässig, wenn ihm im Zielstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK droht oder wenn im Einzelfall andere in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbürgte, von allen Vertragsstaaten als grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien in ihrem Kern bedroht sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.5.2000 – 9 C 34/99 -, juris Rn. 11). Dabei können unter bestimmten Umständen auch schlechte humanitäre Bedingungen eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen. Ist die schlechte humanitäre Lage weder dem Staat noch den Konfliktparteien zuzurechnen, sondern bedingt durch die allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, kommt eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur dann in Betracht, wenn ganz außergewöhnliche Umstände in der Person des Antragstellers vorliegen, die über die allgemeine Beeinträchtigung der Lebenserwartung des Antragstellers im Herkunftsland hinausgehen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05, U.v. 28.6.2011 – 8319/07). Solche Umstände sind bei der Klägerin als junger, leistungsfähiger, gesunden Frau nicht ersichtlich. Dabei kann offenbleiben, ob sie tatsächlich nicht mehr auf das bestehende familiäre Netzwerk zurückgreifen kann, das bei ihren vielfältigen Facebook-Kontakten auftaucht. Denn unter Berücksichtigung der Förderungsmöglichkeiten im Rahmen einer freiwilligen Rückkehr in den dafür vorgesehenen Programmen ist es ihr auch als alleinstehenden jungen Frau möglich, sich in einer der Großstädte der Elfenbeinküste niederzulassen und sich eine wirtschaftliche Existenz jedenfalls am Rande des Existenzminimums aufzubauen.
Gesundheitsbedingte Einschränkungen im für ein Abschiebungsverbot relevanten Schweregrad sind weder durch aussagekräftige ärztliche Atteste substantiiert noch ersichtlich. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt mithin ebenfalls nicht in Betracht kommt.
1.5. Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis 3 AufenthG, § 36 Abs. 1 AsylG, deren Voraussetzungen hier gegeben sind.
1.6. Schließlich sind auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6 des Bescheids) keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Insbesondere sind keine Ermessensfehler des Bundesamts bei der Bemessung der Frist nach § 11 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AufenthG zu erkennen.
Somit hatte die Klage insgesamt keinen Erfolg.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.