Verwaltungsrecht

Erfolglose Verpflichtungsklage auf Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots

Aktenzeichen  Au 1 K 16.1127

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 2 S. 5, Abs. 3 S. 1, S. 3
VwGO VwGO § 88, § 113 Abs. 5
RL 2008/115/EG RL 2008/115/EG Art. 11 Abs. 2 S. 2
EMRK EMRK Art. 8
GG GG Art. 6
StGB StGB § 57

 

Leitsatz

1 Wendet sich ein Kläger gegen die Befristung der Wirkung der Sperrwirkung einer Ausweisung und Abschiebung, so hat er dieses Begehren allerdings grundsätzlich mit einer Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Sperrfrist zu verfolgen (BayVGH BeckRS 2016, 51737); für ein reines Aufhebungsbegehren bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis, weil andernfalls das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung „auf Null“ vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (BayVGH BeckRS 2016, 51737). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage, mit der er sich gegen die Länge der Befristung seines Einreise- und Aufenthaltsverbotes wendet.
Der am …1964 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 1990 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 7. Juli 1994 abgelehnt wurde. Am 4. November 1994 heiratete er eine deutsche Staatsangehörige und erhielt daraufhin am 22. November 1994 eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Bereits seit dem Jahr 1996 traten Eheschwierigkeiten auf, die zuletzt im Juli 1999 eskalierten, nachdem die Ehefrau des Klägers die Scheidung eingereicht hatte. In der Nacht vom 10. auf den 11. Juli 1999 erstach der Kläger seine Ehefrau. Ab 13. Juli 1999 befand sich der Kläger in U-Haft. Mit Urteil des Landgerichts … vom 13. Juli 2000 wurde er wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Nach den Feststellungen des Strafgerichts erstach der Kläger seine ahnungslose Ehefrau, um sich für die angestrebte Scheidung zu rächen. Zwei Schwestern des Klägers leben mit ihren Familien in Deutschland. Der Vater, der mit der Mutter der Ehefrau des Klägers verheiratet war, lebt mittlerweile größtenteils in Marokko. Der Kläger hat zwei leibliche Töchter (geboren am …1995 und …1999), zu denen seit der Straftat kein Kontakt mehr besteht.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2002 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland unbefristet ausgewiesen. Auf Anfrage der Ausländerbehörde teilte die zuständige Staatsanwaltschaft am 8. November 2002 mit, dass im Falle einer Ausweisung die Prüfung der Voraussetzungen des § 456a StPO (Absehen von der Vollstreckung bei Auslieferung, Überstellung oder Ausweisung) frühestens zum 1. Juli 2012 in Betracht komme. Mit Beschluss vom 7. September 2012 lehnte die zuständige Staatsanwaltschaft ein vorzeitiges Absehen von der Vollstreckung gemäß § 456a StPO ab, weil eine erhöhte Einreisegefahr wegen familiärer Bindungen im Bundesgebiet bestehe.
Nach Zustimmung der Strafvollstreckungsbehörde wurde der Kläger am 2. Dezember 2014 aus der Haft heraus nach Marokko abgeschoben. Im fachpsychiatrischen Gutachten vom 4. Juli 2014, das im Rahmen des Strafvollzugs zur Beurteilung der Möglichkeit, den Rest der lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, eingeholt wurde, wurde unter anderem ausgeführt, dass der Kläger eine Sozialtherapie für Gewaltstraftäter abgelehnt habe. Eine therapeutische Behandlung hinsichtlich seiner Straftat lehne er nach wie vor ab, es fänden jedoch regelmäßige Gespräche mit dem psychologischen Dienst statt. Bei der Straftat habe es sich um eine hochspezifische Täter-Opfer-Konstellation gehandelt. Er leugne den Mord an seiner Ehefrau weiterhin, jedoch sei die Wiederholungsgefahr sehr gering. Aus psychiatrischer Sicht seien vom Verurteilten keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr zu erwarten, weshalb er für die Allgemeinheit auch nicht mehr gefährlich sei.
Mit Schreiben vom 30. Dezember 2014 beantragte die Bevollmächtigte des Klägers, die in § 11 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen (Befristung „auf Null“).
Mit Bescheid vom 1. Juli 2016 befristete der Beklagte die Wirkungen der Ausweisung und der Abschiebung des Klägers vom 2. Dezember 2014 unter der Bedingung des Nachweises der Straffreiheit auf die Dauer von 7 Jahren ab der Abschiebung (1.12.2021). Für den Fall, dass diese Bedingung nicht erfüllt werde, betrage die Wie-dereinreisesperre 9 Jahre ab der Abschiebung (1.12.2023). Zur Begründung wird ausgeführt, dass auf Grund der Ausweisung und der anschließenden Abschiebung die gesetzliche Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG eingetreten sei. Der Kläger habe jedoch einen Anspruch auf Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Diese Frist sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und dürfe 5 Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden sei. Die Wirkungen der Ausweisung und der durchgeführten Abschiebung würden auf die Dauer von 7 Jahren befristet. Diese Fristberechnung erfolge unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und werde als angemessen, aber auch ausreichend angesehen, um den mit der Abschiebung verfolgten Zweck zu erreichen. Der Kläger sei wegen Mordes, also eines der schwersten Verbrechen, ausgewiesen worden. Durch die Wiedereinreisesperre würden sowohl spezialals auch generalpräventive Zwecke verfolgt. So sollen sowohl der Kläger als auch andere Ausländer von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten und dadurch sowohl die Rechtsordnung als auch Menschenleben geschützt werden. Auf Grund des Ausweisungsanlasses ergebe sich eine Frist von bis zu 10 Jahren. In dem fachpsychiatrischen Gutachten vom 4. Juli 2014 sei dem Kläger eine günstige Sozialprognose ausgestellt worden. Dies sei bei der Bemessung der Frist als deutlich fristverkürzend zu werten. Das Motiv für den Mord sei allerdings gerade die Erkenntnis des bevorstehenden Verlustes des Aufenthaltsrechts durch die Trennung der Ehefrau gewesen. Im Falle einer erneuten Einreise und eines Anstrebens eines neuerlichen Daueraufenthaltsrechts könne jedoch die gleiche Situation wieder entstehen, die bereits zu der verurteilten Tat geführt habe. Auch sei der Grundsatz zu berücksichtigen, dass mit steigender Gewichtigkeit des zu schützenden Rechtsgutes die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten geringer anzusetzen seien. Fristverkürzend sei weiterhin zu werten, dass der Kläger Verwandtschaft im Bundesgebiet habe. Zu seinen ebenfalls im Bundesgebiet lebenden Kindern habe er jedoch seit der Tat keinen Kontakt mehr. Fristverlängernd sei jedoch zu werten, dass die Tat mit unglaublicher Brutalität ausgeführt worden sei und eine therapeutische Aufarbeitung der Tat nicht erfolgt sei. Erschwerend komme hinzu, dass es sich bei dem Opfer um die Mutter der eigenen Kinder gehandelt habe und die Tatumstände so eingerichtet worden seien, dass zwangsläufig eines der Kinder die ermordete Mutter auffinden musste. Auch der generalpräventive Aspekt spreche für eine längere Fristbemessung, da andernfalls der Eindruck erweckt werden könne, dass selbst bei schlimmsten Gewalttaten keine oder nur geringfügige ausländerrechtliche Konsequenzen zu erwarten wären. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 5 AufenthG könne die Befristung mit einer Bedingung versehen werden. Dieses trage auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung. Eine weitere Verkürzung als auf 7 Jahre sei im Hinblick auf die generalpräventiven Aspekte der Ausweisung nicht angemessen.
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am 5. August 2016 Klage erheben und beantragt,
den Bescheid des Landratsamts … vom 1. Juli 2016 insofern aufzuheben, als er die Sperrwirkung der Ausweisung auf 7 Jahre unter der Bedingung, dass Straffreiheit nachgewiesen wird, und auf 9 Jahre, wenn diese Bedingung nicht erfüllt wird, befristet.
Zugleich wurde die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Zur Klagebegründung wird ausgeführt, dass der Kläger über 27 Jahre in Deutschland gelebt habe. Noch immer sei ein Großteil seiner Familie in Deutschland. Er habe zu diesen Familienangehörigen einen sehr guten Kontakt. Mit Urteil vom 13. Juli 2000 sei der Kläger wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Eine besondere Schwere der Schuld sei jedoch nicht festgestellt worden. Dem Kläger sei zu Gute gehalten worden, dass die Tat nicht von langer Hand geplant wurde und er nicht vorbestraft war. Die Befristung der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei allein unter präventiven Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen. Bei der Bestimmung der Länge der Frist seien das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung könne der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung „auf Null“ gebieten. Dies könne nach der Rechtsprechung z.B. in Betracht kommen, wenn seit dem Erlass einer nicht vollzogenen Ausweisung ein so langer Zeitraum verstrichen sei, dass die zum Zeitpunkt der Ausweisung bestehenden spezial- bzw. generalpräventiven Gründe entfallen seien. Der Kläger selbst stelle keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr dar. Er habe über 15 Jahre seiner Strafhaft verbüßt. Das Verhalten im Strafvollzug sei im gesamten Zeitraum einwandfrei und ohne Beanstandung gewesen. Dass vom Kläger keine weitere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgehe, ergebe sich auch aus der Tatsache, dass die von ihm zu verbüßende lebenslange Freiheitsstrafe zum 2. Dezember 2014 vom Landgericht … zur Bewährung ausgesetzt worden sei, weil im Falle des Klägers keine weiteren Straftaten zu erwarten seien. Da sowohl gutachterlich als auch gerichtlich festgestellt worden sei, dass vom Kläger keine Gefahr mehr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe und seit der Ausweisung nunmehr fast 14 Jahre vergangen seien, lägen die materiellen Voraussetzungen für die Befristung der Wirkung der Ausweisung vor. Da bereits jetzt mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger nicht erneut straffällig werde und sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet vertretbar sei, bedürfe es keiner weiteren Sperrfrist. Im Übrigen habe der Kläger auch durch die Vorlage des marokkanischen Führungszeugnisses seine Straffreiheit seit seiner Wiedereinreise nach Marokko am 2. Dezember 2014 nachgewiesen. Soweit die Befristung auf 7 Jahre unter der Bedingung der Straffreiheit ergangen sei, sei diese Bedingung rechtswidrig. Die Wirkung einer befristeten Einreisesperre dürfe grundsätzlich nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und führt aus, dass die beantragte Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung „auf Null“ nicht in Betracht kommen könne. Diese sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen denkbar. Die Abschiebung sei zum erstmöglichen Termin nach Rechtskraft des Ausweisungsbescheids durchgeführt worden. Die lange Dauer der Strafhaft könne zu keiner anderen Ansicht führen. Denn das würde bedeuten, dass gerade Straftäter, die hohe Freiheitsstrafen verbüßen und bei denen eine Abschiebung gemäß § 456 a StPO erst nach langer Haftzeit in Frage komme, regelmäßig eine Befristung „auf Null“ erlangen könnten. Ein Befristungsanspruch „auf Null“ komme auch im Hinblick auf die familiären Belange im Sinne von Art. 6 GG nicht in Betracht. Die Kernfamilie des Klägers halte sich in Marokko auf, zu seinen Kindern habe der Kläger seit der Mordtat keinen Kontakt mehr. Die Frist sei so bemessen worden, dass nach deren Ablauf mit hinreichender Sicherheit von einer nachhaltigen Verhaltensänderung ausgegangen werden könne. Der Kläger habe durch seine Tat und deren Motiv deutlich gezeigt, dass er sehr wenig auf das Leben eines anderen Menschen gebe und insbesondere in der Lage sei, selbst ihm nahestehenden Personen extreme Gewalt anzutun. Das Motiv der Tat sei darin zu sehen, dass der Kläger auf Grund der Trennung von seiner Ehefrau den Verlust seines Aufenthaltsrechts befürchtet habe. Eine Wiederholungsgefahr sei in einem solchen Fall bereits dann gegeben, wenn sich auch nur eine entfernte Möglichkeit weiterer Straftaten nicht ausschließen lasse, da ein überragend wichtiges Rechtsgut betroffen gewesen sei. Zwar sei durch das Landgericht … die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung beschlossen worden, jedoch würden sich die Voraussetzungen hierfür von denen für die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung hinsichtlich des Zweckes deutlich unterscheiden. Es sei vorrangige Aufgabe der Justiz, eine einmal begangene Tat zu ahnden, während es Aufgabe der Ausländerbehörde sei, weitere Taten für die Zukunft auszuschließen, die nicht nur durch den Kläger selbst, sondern auch durch andere Ausländer begangen werden könnten. Das vorliegende Gutachten stufe zwar die Möglichkeit weiterer Straftaten als sehr niedrig ein, doch reiche bereits dieser Grad der Wiederholungsgefahr für die Verfügung einer Sperrfrist aus. Da der bevorstehende Verlust seines Aufenthaltsrechts Motiv der Tat war, handele es sich bei diesem Umstand um einen wesentlichen Faktor für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr. Auf Grund der besonderen Umstände des Falles des Klägers sei die Sperrfrist um 3 Jahre verringert worden, obgleich der Kläger seine Tat immer noch leugne, eine Therapie ablehne und keine schutzwürdigen familiären Bindungen in Deutschland bestünden. Für dringende familiäre Besuche könne er ferner auf die Möglichkeit einer Betretenserlaubnis verwiesen werden.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung konnte nicht entsprochen werden, da die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Denn die Rechtsverfolgung darf nicht in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden und unbemittelten Personen soll ein weitgehend gleicher Zugang zum Gericht ermöglicht werden wie Personen, denen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen (ständige Rechtsprechung vgl. BVerfG, B.v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
1. Der Kläger verfolgt mit seiner Klage das Ziel, den Bescheid des Beklagten vom 1. Juli 2016 aufzuheben und die Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung „mit sofortiger Wirkung zu befristen“.
Wendet sich ein Kläger gegen die Befristung der Wirkung der Sperrwirkung einer Ausweisung und Abschiebung, so hat er dieses Begehren allerdings grundsätzlich mit einer Verpflichtungsklage auf Verkürzung der Sperrfrist zu verfolgen (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – juris Rn. 47). Für ein reines Aufhebungsbegehren bestünde kein Rechtsschutzbedürfnis, weil andernfalls das Einreise- und Aufent haltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG unbefristet gelten würde. Die Bevollmächtigte des Klägers hat zwar lediglich die Aufhebung des Befristungsbescheides beantragt, doch ist dieser Antrag gemäß § 88 VwGO sachgerecht auszulegen. Unter Berücksichtigung der Klagebegründung und des bei der Behörde gestellten Antrags auf Festsetzung einer Sperrwirkung „auf Null“ ist davon auszugehen, dass der Kläger die Verpflichtung des Beklagten auf Festsetzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots „auf Null“ erstrebt, so dass der Kläger mit sofortiger Wirkung wieder in die Bundesrepublik einreisen könnte. Die in diesem Sinne ausgelegte Klage ist somit zulässig.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist jedoch nicht begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Befristung der Sperrwirkungen „auf Null“ nicht zu, so dass die Klage in der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird (§ 113 Abs. 5 VwGO).
a) Rechtsgrundlage für die im streitgegenständlichen Bescheid getroffene Befristungsentscheidung ist § 11 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG in der Fassung vom 20. Oktober 2015. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Befristungsbegehrens ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts.
Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs, ein Aufenthaltstitel erteilt werden. Dieses Einreise- und Aufenthaltsverbot ist von Amts wegen zu befristen. Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden (BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 10 B 14.1854 – juris Rn. 6). Das Gericht darf die Länge der Frist grundsätzlich nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüfen. Eine Verkürzung der Dauer der Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot durch das Gericht selbst kommt also nur in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung „auf Null“ vorliegt. In allen anderen Fällen ist zwar die Entscheidung der Verwaltungsbehörde aufzuheben, jedoch muss das Gericht der Verwaltungsbehörde erneut Gelegenheit geben, ihr Ermessen rechtsfehlerfrei auszuüben (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – C B 15.1854 – juris Rn. 47).
Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Sie soll zehn Jahre nicht überschreiten (§ 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG).
Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen; es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das einer zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Bei einer aus generalpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung kommt es darauf an, wie lange von ihr eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht. Hierbei sind die Umstände des Einzelfalls anhand des Gewichts des Ausweisungsgrundes zu berücksichtigen. In einem zweiten Schritt ist die so ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und den Vorgaben aus Art. 8 EMRK, zu überprüfen und gegebenenfalls zu verkürzen (BVerwG, U.v. 6.3.2014 -1 C 2/13 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 12.7.2016 – 10 BV 14.1818 – juris). In ganz besonderen Ausnahmefällen kann eine Ermessensreduzierung „auf Null“ in Betracht kommen, wenn eine vollständige Beseitigung der in § 11 Abs. 1 Auf-enthG geregelten Wirkungen der Ausweisung geboten ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn seit der Verfügung einer nicht vollzogenen Ausweisung ein so langer Zeitraum verstrichen ist, dass die zum Ausweisungszeitpunkt bestehenden spezial- oder generalpräventiven Gründe entfallen sind. Ein Anspruch auf vollständige Beseitigung der Wirkungen der Ausweisung kann sich auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben, etwa weil schützenswerte familiäre Belange im Sinne von Art. 6 GG dies erfordern (BVerwG, U.v. 6.3.2014 -1 C 2/13 – juris Rn. 13).
b) Ein Anspruch auf eine Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung „auf Null“ besteht im vorliegenden Fall nicht.
aa) Der Beklagte hat zunächst in einem ersten Schritt die nach § 11 Abs. 2 i.V.m.
Abs. 3 AufenthG zu bestimmende Frist auf 10 Jahre angesetzt und diese in einem zweiten Schritt im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Klägers auf die Dauer von 7 Jahren befristet. Diese ausführlich begründete Ermessensentscheidung, die vom Gericht nur in dem durch § 114 Satz 1 VwGO vorgegebenen Rahmen überprüft werden kann, begegnet angesichts der Schwere der vom Kläger begangenen Straftat und der wenig schutzwürdigen Bindungen im Bundesgebiet keinen Bedenken. Nach § 11 Abs. 2 Satz 5 Auf-enthG ist es auch zulässig, diese Befristung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit der Bedingung einer nachweislichen Straffreiheit zu versehen. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Beklagte für den Fall, dass Straffreiheit nicht nachgewiesen wird, die Wiederein-reisesperre auf 9 Jahre festsetzte. Denn zum einen hätte der Kläger in diesem Fall nicht nachgewiesen, dass er keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr darstellt, so dass eine Verlängerung der Wiedereinreise-sperre gerechtfertigt wäre, zum anderen liegt das Fristende selbst für diesen Fall unter der Obergrenze des § 11 Abs. 3 Satz 3 AufenthG von 10 Jahren.
bb) Der Umstand, dass Ausweisungsanlass eine bereits im Jahr 1999 begangene Straftat war, der Kläger jedoch erst am 2. Dezember 2014 auf der Grundlage der Ausweisungsentscheidung vom 30. Oktober 2002 aus der Haft heraus abgeschoben wurde, führt nicht zu einem Anspruch auf eine Ermessensreduzierung „auf Null“.
Zwar wurde in der Rechtsprechung entschieden, dass wegen eines seit Erlass einer nicht vollzogenen Ausweisung verstrichenen Zeitraums die zum Zeitpunkt der Ausweisung bestehenden spezial- bzw. generalpräventiven Gründe entfallen sein können (vgl. BVerwG, U.v. 6.3.2014 – 1 C 2/13 – juris), doch ist der hier zu entscheidende Fall grundlegend anders gelagert. Dass der Kläger trotz des Ausweisungsbescheides vom 30. Oktober 2002 erst am 2. Dezember 2014 abgeschoben wurde, lag ausschließlich daran, dass die zuständige Staatsanwaltschaft wegen der Schwere der Tat und der Gefahr einer erneuten Wiedereinreise des Klägers einer Abschiebung zu einem früheren Zeitpunkt nicht zugestimmt hatte. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte sich der Betroffene, der als Asylberechtigter anerkannt worden war, über einen Zeitraum von 10 Jahren in Freiheit bewährt. Der Kläger hat sich jedoch seit Anordnung der Untersuchungshaft am 13. Juli 1999 bis zur Abschiebung am 2. Dezember 2014 ausschließlich im geschlossenen Vollzug befunden. Es kann keine Rede davon sein, dass er im Alltag durch langjährige Straflosigkeit bewiesen hat, dass von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mehr ausgeht. Auch der Umstand, dass sich der Kläger im Rahmen des Strafvollzuges unauffällig und ohne disziplinarische Verfehlungen verhalten hat, führt nicht dazu, dass eine so besondere Ausnahmesituation gegeben ist, auf Grund derer die Öffentlichkeit sich davon überzeugen konnte, dass der Kläger keine weiteren Straftaten mehr begeht. Darüber hinaus kommt es bei einer (auch) aus generalpräventiven Gründen verfügten Ausweisung darauf an, wie lange von ihr eine abschreckende Wirkung auf andere Ausländer ausgeht. Angesichts der Schwere der Straftat, bei der nicht auszuschließen ist, dass gerade die ausländerrechtliche Stellung des Klägers deren Begehung begünstigte, besteht ein erhebliches Interesse daran, Ausländern vor Augen zu führen, dass eine solche Tat neben strafrechtlichen Sanktionen auch erhebliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen hat. Schon aus diesem Grund besteht für eine Befristung der Sperrwirkungen „auf Null“ keine Veranlassung.
cc) Eine Ermessensreduzierung „auf Null“ ist auch nicht deswegen veranlasst, weil die Strafvollstreckungskammer von der weiteren Vollstreckung der lebenslang verhängten Freiheitsstrafe absah und den Strafrest zur Bewährung aussetzte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prog nose zu treffen, wann eine vollständige Beseitigung der in § 11 Abs. 1 Auf-enthG geregelten Wirkungen der Ausweisung geboten ist. Sie sind an die Feststellungen und Beurteilungen der Strafgerichte rechtlich nicht gebunden. Entscheidungen der Strafgerichte nach § 57 StGB sind zwar von tatsächlichem Gewicht und stellen bei der ausländerrechtlichen Prognose ein wesentliches Indiz dar; von ihnen geht aber weder eine Bindungswirkung noch eine Regelvermutung aus, selbst wenn zu ihrer Vorbereitung ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde (vgl. ausführl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10/12 – NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 17 ff. m.w.N.; BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 10 B 14.1854 – juris Rn 8). Dies gilt umso mehr hinsichtlich der Frage, wann aus generalpräventiven Gesichtspunkten der Ausweisungszweck erreicht ist.
dd) Besondere schützenswerte familiäre Bindungen, die im Rahmen des Art. 6 GG ausnahmsweise zu einer Befristung der Wirkungen der Ausweisung und Abschiebung „auf Null“ führen konnten, liegen beim Kläger nicht vor. Zu seinen beiden leiblichen Töchtern hat er seit dem Jahr 1999 keinen Kontakt mehr. Der mittlerweile 82jährige Vater des Klägers lebt größtenteils in Marokko und hält sich lediglich zur medizinischen Behandlung in Deutschland auf. Der Kontakt zu den ebenfalls in Deutschland lebenden Schwestern des Klägers kann auch durch Besuchsaufenthalte in Marokko aufrecht erhalten werden. Zudem stellte der Beklagte bei dringenden Einreisewünschen eine Betretenserlaubnis in Aussicht.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die vom Beklagten angestellten Ermessenserwägungen, die vom Gericht lediglich im Rahmen des § 114 Satz 1 VwGO zu überprüfen waren, keinen rechtlichen Bedenken begegnen. Der Beklagte hat die persönlichen Umstände des Klägers zutreffend gewürdigt und konnte auch auf Grund spezial- und generalpräventiver Erwägungen weiterhin von einer Wiederholungsgefahr ausgehen. Da die Klage somit voraussichtlich keinen Erfolg hat, war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen.

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