Aktenzeichen M 10 E 16.5758
VwGO VwGO § 44a, § 123
VwVfG VwVfG § 29
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller hat eine Zulassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt), Regionalstelle …, vom 29. September 2015 zur Durchführung von Integrationskursen nach § 18 IntV, befristet bis zum 30. Juni 2017.
Der Antragsteller hat am 20. Dezember 2016 beim Verwaltungsgericht München beantragt,
das Bundesamt wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller im Wege der Vertretung durch die Prozessbevollmächtigten vorläufig uneingeschränkt sowie in sämtliche Bestandteile der Behördenakten des Bundesamts betreffend die Zulassung als Träger zur Durchführung von Integrationskursen zu gewähren, bis über den Antrag der Prozessbevollmächtigten auf unbeschränkte und vollständige Akteneinsicht vom 2. Dezember 2016 rechtskräftig entschieden ist.
Zur Begründung wird vorgetragen, das Bundesamt habe dem Antragsteller mit Schreiben vom 10. November 2016 angebliche schwerwiegende Verletzungen im Zusammenhang mit der Ausübung der Trägerzulassung vorgeworfen und ein Anhörungsverfahren zum Zweck des beabsichtigten Widerrufs zur Trägerzulassung eingeleitet. Die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hätten beim Bundesamt um Akteneinsicht nachgesucht. Am 21. November 2016 hätten die Prozessbevollmächtigten Einsicht in einen Teil der Akten des Bundesamts im Zusammenhang mit der Trägerzulassung und dem beabsichtigten Widerruf nehmen können. Der zuständige Sachbearbeiter habe dabei erklärt, nicht sämtliche Aktenteile zur Einsicht zur Verfügung stellen zu können, da ein bestimmter Teil der Geheimhaltung unterliege. In einem Schreiben vom 21. November 2016 habe der Sachbearbeiter mitgeteilt, dass das Bundesamt neben bei Überprüfungen vor Ort gewonnenen Erkenntnissen auch Informationen vorliegen habe, die nach § 29 Abs. 2 VwVfG wegen berechtigter Interessen von Beteiligten geheim gehalten werden müssten. Eine Akteneinsicht dieser Unterlagen würde ihrem Inhalt nach Rückschlüsse auf beteiligte Personen (Lehrkräfte) zulassen, die im konkreten Fall nicht Preis gegeben werden dürften. Eine Akteneinsicht in diese Informationen sei weiterhin nicht ermöglicht worden. Dem Antragsteller sei eine Verlängerung der Anhörungsfrist letztmalig bis Ende Dezember 2016 gewährt worden.
Ein Anordnungsgrund ergebe sich schon daraus, dass das Bundesamt angekündigt habe, die Trägerzulassung zu widerrufen und sich hierbei auf angebliche schwerwiegende Verletzungen von Verpflichtungen des Antragstellers berufen habe. Um sein Anhörungsrecht ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, sei den Prozessbevollmächtigten uneingeschränkt Akteneinsicht in die Behördenunterlagen zu gewähren. Erst dann könne seitens des Antragstellers eine Stellungnahme zu den erhobenen Vorwürfen abgegeben werden. Das Bestehen einer Geheimhaltungsverpflichtung sei nicht nachvollziehbar. Es sei insbesondere nicht verständlich, warum es nicht erlaubt sein sollte, etwaige Erklärungen von Lehrkräften einzusehen. Jedenfalls könne das Bundesamt etwaige Erklärungen von Lehrkräften auch anonymisieren, was ein milderes Mittel gegenüber der Einsichtversagung wäre.
Die Antragsgegnerin hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag bleibt ohne Erfolg. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Wesentliche Nachteile sind dabei u.a. wesentliche rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Nachteile, die der Antragsteller in Kauf nehmen müsste, wenn er das Recht im langwierigen Hauptsacheprozess erstreiten müsste (Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, RdNr. 23 zu § 123).
Grundsätzlich darf dabei im Eilverfahren die Hauptsache nicht vorweggenommen werden; das Gericht darf im Grundsatz die Lage nur offen halten, um zu vermeiden, dass das Recht bis zu einer Klärung im Hauptsacheprozess untergeht oder seine Durchsetzung wegen des Zeitablaufs mit wesentlichen Nachteilen verbunden ist (Eyermann, a.a.O., RdNr. 66 a zu § 123). Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist aber dann möglich, wenn es zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist bzw. wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig erwirken kann und sein Begehren schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anzustellenden summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten bei Anlegung eines strengen Maßstabs erkennbar Erfolg haben muss (BVerwG v. 13.8.1999 BVerwGE 109, 258).
Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind dabei sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Anspruch, für den der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Regelung begründet, glaubhaft zu machen.
Der Antragsteller kann im vorliegenden Fall grundsätzlich nach § 29 VwVfG, welcher nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG für die Verwaltungstätigkeit des Bundesamts als Bundesbehörde Anwendung findet, Akteneinsicht geltend machen. Danach hat die Behörde den Beteiligten Einsicht in die das Verfahren betreffenden Akten zu gestatten, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen erforderlich ist. Insoweit ist der Antragsteller Verfahrensbeteiligter, da ihm nach seinem Vortrag die Zulassung zur Durchführung von Integrationskursen, die ihm unter dem 29. September 2015 nach § 18 Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) vom 13. Dezember 2004 erteilt worden war, widerrufen werden soll.
Allerdings ist nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung die behördliche Entscheidung darüber, ob Akteneinsicht zu gewähren ist bzw. in welchem Ausmaß Akteneinsicht gewährt wird, eine nach § 44a VwGO nicht selbstständig angreifbare Verfahrenshandlung. Nach § 44a VwGO können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden; dies gilt dann nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen nicht Beteiligten ergehen. Die behördliche Entscheidung über Einsicht in die Akten eines Verwaltungsverfahrens ist eine nicht selbstständig anfechtbare Verfahrenshandlung, jedenfalls dann, wenn ein Beteiligter die Einsicht innerhalb des laufenden Verwaltungsverfahrens und für dieses begehrt (so schon BVerwG, U.v. 12.4.1978 – VIII C 7.77 – juris; BayVGH, B.v. 18.5.1995 – 7 CE 95.1069 – BayVBl 1995, 631; OVG LSA, B.v. 5.1.2012 – 8 R 14/11 – juris Rn. 4; vgl. auch LSG BW, B.v. 12.11.2010 – L 5 KR 1815/10 B – juris Rn. 42 für die Anwendung des Rechtsgedankens des § 44a Satz 1 VwGO auch im sozialgerichtlichen Verfahren; OLG Düsseldorf, 1. Kartellsenat, B.v. 12.7.2016 – VI-Kart 3/16 (5) – juris Rn. 45 zur Anwendung von § 44a VwGO in einem Kartellverfahren wegen Ministererlaubnis zur Übernahme einer Supermarktkette; Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl. 2016, § 29 Rn. 38).
Danach stellt § 44a Satz 1 VwGO eine besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes dar (BayVGH, B.v. 19.12.2013 – 3 CE 13.1453 – juris Rn. 24 unter Hinweis auf Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Rn. 24 zu § 44a; Eyermann/Geiger, VwGO, 13. Aufl., Rn. 1 zu § 44a); § 44a VwGO betrifft Verfahrenshandlungen, die im Zusammenhang mit einem schon begonnenen und noch nicht abgeschlossenen Verfahren zum Erlass einer behördlichen, gerichtlich überprüfbaren Sachentscheidung stehen. Dabei handelt es sich bei einer Sachentscheidung um eine Einzelentscheidung der Behörde, die ein Verwaltungsverfahren abschließt und selbst gerichtlich überprüfbar ist. Unerheblich ist dabei, ob es zu dieser Sachentscheidung tatsächlich kommt. Maßgeblich ist nur, dass die Verfahrenshandlung auf eine Sachentscheidung gerichtet ist, also in einem Verwaltungsverfahren stattfindet, dessen Ziel der Erlass der Einzelentscheidung ist.
Nach dem Vortrag des Antragstellers handelt es sich hier bei der Prüfung eines möglichen Widerrufs der Zulassung um ein derartiges Verwaltungsverfahren. Das Bundesamt hat wohl aufgrund vertraulicher Hinweise von Beschäftigten des Antragstellers Kenntnis von Verfahrensmängeln beim Antragsteller im Rahmen der von ihm durchgeführten Integrationskursen erhalten und deshalb auch vor Ort Ermittlungen in den Unterrichtsräumen und bei den Lehrkräften des Antragstellers vorgenommen. Die Erkenntnisse dieser Überprüfung können nach Auffassung des Antragstellers möglicherweise zu einem Widerruf der ihm erteilten Zulassung für die Durchführung von Integrationskursen führen. Für dieses Verwaltungsverfahren mit dem Ziel eines Widerrufs der erteilten Zulassung steht den Antragsteller grundsätzlich das Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG zu, das er aber nach § 44a VwGO nicht isoliert gerichtlich geltend machen kann. Insoweit fehlt es an einem in einem Eilverfahren geltend zu machenden Anordnungsanspruch auf Akteneinsicht noch vor Abschluss des Verwaltungsverfahrens.
Es liegt auch nicht ausnahmsweise ein besonderes Interesse des Antragstellers vor, welches im Rahmen des gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahrens eine Durchbrechung der Anordnung des § 44a VwGO gebieten würde. So ist ausnahmsweise doch ein Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben und einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren, wenn anders dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn, dass ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen (BVerfG, B.v. 15.8.2002 – 1 BVR 1790/00 – juris). Bei der Auslegung des § 44a VwGO ist die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Abs. 4 GG angemessen zu berücksichtigen; der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen darf für die Rechtsuchenden nicht zu unzumutbaren Nachteilen führen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen sind (OVG NRW, B.v. 20.7.2016 – 4 B 690/16 – juris Rn. 4 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 24.10.1990 – 1 BVR 1028/90 – juris Rn. 27). Danach kann vorbeugender Rechtsschutz ausnahmsweise dann gewährt werden, wenn ein qualifiziertes, d.h. gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse vorliegt und der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann.
Derartige Konstellationen, in denen bereits vorbeugender Eilrechtsschutz zur Verhinderung von sonst unumkehrbaren rechtlichen Nachteilen zu leisten ist, hat die Rechtsprechung beispielsweise bei beamten- oder richterrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren oder bei Zulassungsentscheidungen bei kontingentierten Vergabeentscheidungen gesehen (Zulassung zu Wochenmärkten, Jahrmärkten und ähnlichen Veranstaltungen mit begrenzten Vergabemöglichkeiten; vgl. z.B. OVG NRW, B.v. 20.7.2016, HAO, Festsetzung eines Wochenmarkts; BVerfG, B.v. 14.1.2004, 1 BVR 506/03 – juris, Aufnahme eines konkurrierenden Bewerbers in den Krankenhausplan).
Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht erkennbar. Der Antragsteller befindet sich schon in keinem unmittelbaren Konkurrenzverhältnis auf einem Markt für limitierte Zulassungen zu Integrationskursen. Vielmehr kann nach der Integrationskursverordnung jeder Träger zugelassen werden, der die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt. Der Antragsteller kann durchaus auf nachgängigen Rechtsschutz verwiesen werden; falls der Antragsgegner tatsächlich einen Widerruf der dem Antragsteller erteilten Lizenz ausspricht, ist hiergegen Klage mit aufschiebender Wirkung möglich. Sollte der Antragsgegner den sofortigen Vollzug eines etwaigen Widerrufs aussprechen, steht dem Antragsteller Eilrechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu. Dieser nachgängige Rechtsschutz kann, soweit erforderlich, auch binnen kürzester Zeit bei den Verwaltungsgerichten nachgesucht werden. Der Antragsteller hat nicht dargetan, warum gerade in seinem Fall vorbeugender Rechtsschutz für die Gewährung von Akteneinsicht und Durchbrechung der Regelung des § 44a VwGO erforderlich sein sollte.
Damit ist der Antrag mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit dem Streitwertkatalog.