Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung – Ablauf der Klagefrist

Aktenzeichen  M 24 S 17.5652, M 24 K 17.5640

Datum:
8.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 12895
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Freizüg/EU § 5
VwGO § 74, § 80 Abs. 5
AufenthG § 84
BayVwZG Art. 5
ZPO § 177
BayVwVfG Art. 4

 

Leitsatz

§ 84 Abs. 1 AufenthG findet im Bereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU keine Anwendung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag (M 24 S 17.5652) wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens
M 24 S 17.5652 zu tragen.
III. Der Streitwert wird im Verfahren M 24 S 17.5652 auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird sowohl für das Eilverfahren M 24 S 17.5652 als auch für das Hauptsacheverfahren M 24 K 17.5640 abgelehnt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und Kläger, ein am … … … geborener polnischer Staatsangehöriger, wendet sich mit seiner am 4. Dezember 2017 bei Gericht eingegangenen Klage und dem zugleich gestellten Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin und Beklagten vom 11. Juli 2017, in dem festgestellt wurde, dass er sein Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet verloren hat (Nr. 1), ihm die Wiedereinreise und der Aufenthalt im Bundesgebiet für die Dauer von fünf Jahren – beginnend mit dem Tag der Ausreise – untersagt wurde (Nr. 2) und er unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert wurde (Nr. 3).
Dieser Bescheid wurde ihm gegen Empfangsbekenntnis am 12. Juli 2017 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) … … ausgehändigt (Bl. 41 d.A.).
Mit am 4. Dezember 2017 bei Gericht eingegangenem Schreiben vom 30. November 2017 erhob der Antragsteller und Kläger gegen den Bescheid vom 11. Juli 2017 Klage und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 und 27. Dezember 2017 beantragte er sowohl für das Eil- als auch für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe. Zugleich erhob er Klage auf Herausgabe seines polnischen Personalausweises, um sich bei seiner Verlobten anmelden und heiraten zu können. Diese Klage wird unter dem Aktenzeichen M 24 K 18.55 bei Gericht geführt.
Die Antragsgegnerin und Beklagte legte mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 die Behördenakten vor und beantragte, die Klage als unzulässig abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
Der streitgegenständliche Bescheid sei dem Antragsteller/Kläger am 12. Juli 2017 in der JVA … … gegen Empfangsnachweis ausgehändigt worden und seit 15. August 2017 bestandskräftig. Da die Klage unzulässig sei, fehle es dem Eilantrag an einem Rechtsschutzinteresse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten M 24 S 17.5652 und M 24 K 17.5640 und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ist abzulehnen, da er jedenfalls in der Sache keinen Erfolg hat.
1.1. Im Fall der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt gemäß § 5 Abs. 4 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) kommt eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO in der Regel nicht in Betracht, da die Klage bereits kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat; ein entsprechender Antrag wäre bereits nicht statthaft. Der angefochtene Bescheid vom 11. Juli 2017 ist nicht für sofort vollziehbar erklärt worden (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) und ist auch nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO). Insbesondere findet § 84 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), der in seinem Anwendungsbereich die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch ausschließt, im Bereich des Freizügigkeitsgesetzes/EU keine Anwendung.
Allerdings tritt nach herrschender Meinung (vgl. Eyermann, VwGO, 13. Auflage, § 80, Rn. 13) die mit der Erhebung der Klage kraft Gesetzes eintretende aufschiebende Wirkung der Klage dann nicht ein, wenn der Rechtsbehelf, vorliegend also die Klage, offensichtlich unzulässig ist.
So verhält es sich hier: Dem Antragsteller/Kläger wurde der Bescheid vom 11. Juli 2017 am 12. Juli 2017 nach Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) i.V.m. § 177 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der JVA … … gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Hierfür konnte die … … die Amtshilfe der JVA in Anspruch nehmen (Art. 4 Abs. 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes – BayVwVfG). Die am 12. Juli 2017 zu laufen beginnende Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO von einem Monat endete somit am 14. August 2017 um 24.00 Uhr (§ 57 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 ZPO). Die am 4. Dezember 2017 bei Gericht eingegangene Klage ist somit offensichtlich verfristet. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich (§ 60 VwGO).
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO vorliegend ausnahmsweise statthaft ist. Ihm fehlt insoweit auch nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, da der Antragsteller/Kläger sein Ziel, die Frage geklärt zu bekommen, ob seine Klage aufschiebende Wirkung hat oder nicht, nicht auf anderem Weg schneller und einfacher erreichen könnte (vgl. Eyermann, VwGO, 13. Auflage, vor §§ 40-53, Rn. 11 ff.).
1.2. Der Antrag hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1.2.1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall eines gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für einen gesetzlich angeordneten sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
1.2.2. Vor diesem Hintergrund überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners. Denn bei summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wird die in der Hauptsache erhobene Klage keinen Erfolg haben, weil sie unzulässig ist, da sie – wie oben bereits ausgeführt – nach Ablauf der gesetzlichen Klagefrist erhoben wurde.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit Nrn. 1.5 des Streitwertkatalogs.
4. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird sowohl für das Eilverfahren als auch für das Hauptsacheverfahren abgelehnt.
4.1. Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist dabei bereits dann gegeben, wenn ein Obsiegen des Beteiligten ebenso wahrscheinlich ist wie sein Unterliegen. Die Erfolgsaussichten des gerichtlichen Verfahrens müssen im Zeitpunkt der Bewilligungsreife als offen zu beurteilen sein (BayVGH B.v. 23.10.2005 – 10 C 04.1205 – juris).
4.2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da weder der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch die Klage hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO haben. Auf die vorstehenden Ausführungen wird insofern Bezug genommen.
Mangels Erfolgsaussichten des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO und der Klage konnte vorliegend davon abgesehen werden, den Antragsteller/Kläger unter Fristsetzung zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 bis 4 und § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO aufzufordern.
4.3. Die Entscheidungen über die Prozesskostenhilfe ergehen kostenfrei.

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