Aktenzeichen M 21 S 17.43192
Leitsatz
Die Absicht, zukünftig eine Berufsausbildung zu beginnen, ist im Rahmen der für die Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote nicht relevant. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der nicht ausgewiesene Antragsteller ist nach eigenen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger. Er reiste am 11. September 2015 von Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Mai 2016 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.
Einer in den Verwaltungsakten befindlichen VIS-Auskunft vom 30. Mai 2016 ist zu entnehmen, dass dem Antragsteller am 10.August 2015 in Lagos ein italienisches Schengenvisum für 20 Tage erteilt worden ist. Nach dieser Auskunft soll der Antragsteller im Visaverfahren einen gültigen nigerianischen Reisepass (Nr. A05364230, gültig von 20.05.2014 bis 19.05.2019) vorgelegt haben.
Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 4. August 2016 brachte der Antragsteller zur Begründung seines Asylbegehrens vor, seine Eltern und sein Bruder seien 2005 bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Sein Onkel habe nach dem Tod des Vaters auf dessen Erbe bestehend aus landwirtschaftlicher Fläche und Gebäuden Anspruch erhoben. Der Onkel habe dazu auch die Frau und die Kinder des Antragstellers vergiftet. Dies habe er, der Antragsteller, erfolglos bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Eines Tages habe er seinen Onkel zur Rede gestellt, weil dieser ein Stück des Landes verkauft habe. Dies habe in einer Messerstecherei geendet. Der Onkel habe auch versucht, ihn mit einem bösen Zauber zu belegen. Der Antragsteller sei dann zu Freunden gegangen. Dorthin sei die Polizei gekommen und habe sie verhaften wollen, da sie vermeintlich Separatisten seien. Daraufhin habe er das Land verlassen.
Mit Bescheid vom 17. Mai 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung sowie auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 bis 3). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht (Nr. 5). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
Zur Begründung heißt es in dem Bescheid, das Vorbringen des Antragstellers bleibe weitgehende vage, pauschal und widersprüchlich und lasse weder eine konkrete zeitliche Einordnung von Ereignissen zu, noch würden Ereignisse wirklich deutlich, lebensnah und nachvollziehbar dargestellt. Angebliche Ereignisse und Zusammenhänge würden aber wiederum erheblich in Frage gestellt durch die Tatsache der Ausstellung eines Schengen-Visums zu einem Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller nach einen eigenen Angaben längst ausgereist gewesen sein und sich in Libyen befunden haben müsse. Auch dass dem Antragsteller noch im Mai 2014 ein nigerianischer Reisepass ausgestellt worden sein solle, obschon er doch bereits als „Separatist“ bei der Polizei angeschwärzt worden und von ihr verhaftet werden sollte, stelle sich als wenig hilfreich dar. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller nicht auch in anderen Regionen seines Heimatlandes niederlassen und leben könne, um etwaigen privaten Zwistigkeiten möglichst auszuweichen. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz1 AufenthG lägen entsprechend der allgemeinen Lage in Nigeria und unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers nicht vor.
Der Antragsteller hat am 30. Mai 2017 zur Niederschrift Klage erhoben (M 21 K 17.43192), mit der er beantragt, den Bescheid vom 17. Mai 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
Gleichzeitig beantragt er, hinsichtlich der Ausreiseaufforderung und der Abschiebungsandrohung die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, er könne im September eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker beginnen.
Das Bundesamt hat mit Schreiben vom 2. Juni 2017 die Akten vorgelegt und sich weder zu der Klage noch zu dem Eilantrag geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten in diesem und im Klageverfahren sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag, die kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 AsylG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, wobei Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166 ff.). Die gerichtliche Überprüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat im Hinblick auf den nach Art .19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts erschöpfend, wenngleich mit Verbindlichkeit allein für das Eilverfahren zu erfolgen (BVerfG, B. v. 19.6.1990 – 2 BvR 369/90 – juris Rn. 20). Die Anforderungen entsprechen insofern denjenigen der Ablehnung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet (BVerfG, B. v. 19.6.1990 a.a.O. – juris Rn. 21).
Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Antrag zu Recht als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat und ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann.
Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen. Dies ist zwar der gesetzlichen Regelung des § 36 AsylG nicht ausdrücklich zu entnehmen, jedoch gebieten die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen der Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 103 Abs. 1 GG die diesbezügliche Berücksichtigung auch im Verfahren nach § 36 AsylG (vgl. zur vergleichbaren Rechtslage nach § 51 Ausländergesetz 1990 BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – BVerfGE 94, 166/221).
Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 AsylG offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft (einschließlich der Voraussetzungen für subsidiären Schutz) offensichtlich nicht vorliegen. Dies ist dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Antrags geradezu aufdrängt (BVerfG, B. v. 21.7.2000 – 2 BvR 1429/98 – juris Rn. 3).
Entsprechend diesem Maßstab begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen ernstlichen Zweifeln. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:
Soweit der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren nunmehr geltend macht, er beabsichtige, im September eine Berufsausbildung zu beginnen, spielt dies im Rahmen der für der Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG maßgeblichen Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote keine Rolle und vermag daher nicht zu einer für den Antragsteller günstigen Entscheidung im vorliegenden Verfahren führen.
Die auf der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet beruhende Abschiebungsandrohung mit der einwöchigen Ausreisefrist nach §§ 34, 36 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG ist damit nicht zu beanstanden.
Der Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Ge-richtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).