Aktenzeichen Au 6 E 18.1242
Leitsatz
1. Dem Antrag auf einstweilige Anordnung mit dem Ziel der Aussetzung der Abschiebung fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn der Antragsteller bereits über eine gesetzliche Duldung verfügt. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote fällt ausschließlich in die Zuständigkeit des BAMF als Behörde der Bundesrepublik Deutschland und nicht der Ausländerbehörde. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der Antragsteller begehrt im Antragsverfahren die Feststellung von zielstaatbezogenen Abschiebungsverboten und darauf gestützt einer Aufenthaltserlaubnis durch die Ausländerbehörde des Antragsgegners sowie Prozesskostenhilfe hierfür.
I.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsbürger und reiste am 21. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Da er einer Ladung zur Anhörung – er hatte seinen Adressenwechsel nicht mitgeteilt – nicht nachkam, erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 29. April 2016 gegenüber dem Antragsteller einen (ersten) Bescheid u.a. mit der Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt wurde (Ziffer 1) und dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2).
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller verspätet Klage, welcher das Bundesamt durch Fortführung des Asylverfahrens abhalf. Dieses (erste) Klageverfahren wurde eingestellt (VG Augsburg, B.v. 24.2.2017 – Au 6 K 16.30810).
Mit (zweitem) Bescheid vom 9. Mai 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1) und auf Anerkennung als asylberechtigt (Ziffer 2) und den Antrag auf subsidiären Schutz ab (Ziffer 3) und stellte weiter fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat wurde angedroht (Ziffer 5); das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf dreißig Monate befristet (Ziffer 6). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Es seien zwar Atteste vorgelegt, aber die Erkrankungen seien in Afghanistan behandelbar.
Auch gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller verspätet Klage, welche er in der mündlichen Verhandlung zurücknahm; auch dieses (zweite) Klageverfahren wurde eingestellt (VG Augsburg, B.v. 3.3.2018 – Au 8 K 17.33086).
In der Folgezeit erhielt der Antragsteller Duldungen zuletzt befristet bis zum 3. Oktober 2018, wurde zur Beschaffung von Identitätspapieren aufgefordert, legte u.a. eine Tazkira vor und weigerte sich, freiwillig auszureisen, da er in Afghanistan nicht erhältliche Medikamente benötige (Behördenakte des Antragsgegners Bl. 248 f., 295).
Erstmals mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 18. Mai 2018 sowie später vom 9. Juli 2018 beantragte der Antragsteller bei der Regierung von, Zentrale Ausländerbehörde, sowie beim Landratsamt, „ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG festzustellen“ sowie „eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen“ unter Verweis auf anhaltende Magenschmerzen des Antragstellers in Folge einer wegen teilweiser Wirkstoff-Resistenz bislang nicht erfolgreich im Bundesgebiet behandelten Heliobacter-Infektion und auf ärztliche Atteste (u.a. zuletzt Dr., Internist, Attest vom 1.3.2018, ebenda Bl. 307), wonach eine Vorstellung in einer universitären Einrichtung erfolgen solle. Der Antragsgegner entsprach dem Begehren bisher nicht.
Nach Mitteilung des Bundesamts stellte der Antragsteller am 20. Juli 2018 einen Asylfolgeantrag (ebenda Bl. 363 f.), über den noch nicht entschieden ist.
Am 17. Juli 2018 ließ er neben Prozesskostenhilfe nach § 123 VwGO gegen den Antragsgegner beantragen,
1. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung über den Antrag auszusetzen,
2. dem Antragsgegner mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Antrag nicht durchgeführt werden dürfen.
Unter Bezugnahme auf den Antrag auf Feststellung von zielstaatbezogenen Abschiebungsverboten und einer Aufenthaltserlaubnis wurde ausgeführt, die Erkrankung des Antragstellers könne im Heimatland nicht medizinisch behandelt werden.
Der Berichterstatter wies die Bevollmächtigte des Antragstellers telefonisch auf Bedenken gegen die Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags hin.
Der Antragsgegner teilte fernmündlich auf gerichtliche Anfrage hin zunächst mit, der Antrag sei wegen Untertauchens des bislang im Regierungsbezirk … zugewiesenen Antragstellers zunächst nicht weiter bearbeitet worden; eine Abschiebung sei trotz vorliegenden Transit-Passes derzeit nicht geplant. Er beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Der Antragsteller sei mittlerweile – nach Stellung des hiesigen Eilantrags nach § 123 VwGO – einer Unterkunft im Regierungsbezirk … neu zugewiesen. Der Antragsgegner sei weder für die Feststellung von zielstaatbezogenen Abschiebungsverboten und darauf gestützt einer Aufenthaltserlaubnis zuständig; für letzteres sei nach Wiederauftauchen des Antragstellers eine Zuständigkeitsübertragung an die örtlich zuständige Ausländerbehörde vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der teilweise unzulässige Antrag auf einstweilige Anordnung ist im Übrigen unbegründet.
1. Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist unzulässig, soweit darin begehrt wird, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur Entscheidung über den Antrag auszusetzen, denn der Antragsteller verfügt bereits über eine gesetzliche Duldung nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG und damit über kein Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis Abs. 3 VwVfG vorliegen; die Prüfung obliegt nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG dem Bundesamt. Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG aber erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.
Hier ist der Antragsteller nach Rücknahme seiner (zweiten) Asylklage und damit unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylerstantrags durch Bescheid vom 9. Mai 2017 nach § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, weil er einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Aufenthalt im Bundesgebiet erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Ihm ist darin auch die Abschiebung angedroht worden. Da er nach Aktenlage einen Folgeantrag gestellt hat, über den das Bundesamt nach Aktenlage noch nicht entschieden hat, bedarf es zum Vollzug der Abschiebungsandrohung zwar keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung mehr. Die Abschiebung darf aber nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden. Eine solche Mitteilung ist in den vorgelegten Behördenakten nicht enthalten und von den Beteiligten auch nicht glaubhaft gemacht worden. Da eine Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan und damit nicht in einen sicheren Drittstaat i.S.v. § 26a Abs. 2 AsylG mit Anlage I zum AsylG erfolgen soll, besteht für den Antragsteller derzeit eine gesetzliche Duldung.
Dass diese gesetzliche Duldung entfallen wäre oder der Antragsgegner sie missachtete, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO). Im Gegenteil hat der Antragsgegner dem Antragsteller ohnehin eine Duldung zuletzt befristet bis zum 3. Oktober 2018 bescheinigt. Hätte der Antragsteller Zweifel am Fortbestand der mit der Bekanntgabe eines Abschiebungstermins auflösend bedingten Duldung (Behördenakte Bl. 299), hätte zunächst eine Rückfrage beim Antragsgegner unter Verweis auf etwaige Duldungsgründe genügt statt einer unmittelbaren Erhebung eines Eilantrags bei Gericht.
2. Der Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners, dem Antragsgegner mitzuteilen, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen bis zur Entscheidung über den Antrag nicht durchgeführt werden dürfen, ist ebenfalls unzulässig, da er eine sinnlose Selbstverpflichtung des Freistaats Bayern bedeutete.
3. Soweit der Antrag auf einstweilige Anordnung dahin zu verstehen sein sollte, dass dem Antragsteller wegen eines Anspruchs auf Feststellung von zielstaatbezogenen Abschiebungsverboten und darauf gestützt einer Aufenthaltserlaubnis ein Duldungsanspruch zustünde, ist der Antrag im Übrigen unbegründet, weil dem Antragsteller insoweit ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch fehlen.
a) Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, aus anderen Rechtsgründen als dem o.g. § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG heraus einen Anspruch zu besitzen, nicht abgeschoben zu werden. Es liegt derzeit kein Rechtsanspruch auf Duldung vor, noch sind sonstige Gründe ersichtlich, aus denen die Abschiebung des Antragstellers nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist.
Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und dem Ausländer keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG). Die Abschiebung des Antragstellers ist jedoch weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen ansonsten unmöglich.
aa) Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse wie eine Reiseunfähigkeit hat der Antragsteller auch mit seinen vorgelegten Attesten nicht im Sinne von § 60a Abs. 2c AufenthG glaubhaft gemacht, sondern sich auf eine Nichtbehandelbarkeit in Afghanistan bezogen.
bb) Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben vorliegend keinen Duldungsanspruch.
Soweit der Antragsteller meint, einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Afghanistans zu besitzen, ist für die Prüfung eines solchen etwaigen Anspruchs ausschließlich das Bundesamt als Behörde der Bundesrepublik Deutschland nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG und nicht die Ausländerbehörde des Antragsgegners zuständig. Diese ist vielmehr nach § 42 Satz 1 AsylG an die bestandskräftige negative Feststellung des Bundesamtes durch Bescheid vom 9. Mai 2017 gebunden. Solange das Bundesamt also im Folge- bzw. Wiederaufgreifensverfahren keine gegenläufige Entscheidung getroffen und seine frühere Feststellung geändert hat, kann die Ausländerbehörde hiervon nicht abweichen, auch nicht nach § 73 Abs. 2 AufenthG. Das dortige Beteiligungserfordernis erfasst lediglich Verfahren außerhalb eines förmlichen Asylverfahrens im Sinne des § 13 Abs. 2 und § 31 Abs. 3 AsylG; für letztere hingegen ist § 42 AsylG vorrangig anwendbare lex specialis.
cc) Erst recht steht dem Antragsteller deswegen derzeit auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu, weil eine Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG derzeit fehlt.
b) Der Antragsteller hat auch nicht einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, insbesondere nicht aufgezeigt, weshalb ihm nicht zumutbar sein soll, die Entscheidung des Bundesamtes über seinen Folge- bzw. Wiederaufgreifensantrag abzuwarten und ggf. bei Bedarf einen etwaigen Duldungsanspruch dann – behördlich und notfalls auch gerichtlich – geltend zu machen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Antragsverfahren folgt aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
III.
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten für das Antragsverfahren ist unbegründet, weil die Erfolgsaussichten des Antragsverfahrens nach Vorstehendem nicht gegeben sind.
Gemäß § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt (Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist im Verfahren ohne Vertretungszwang immer geboten, wenn es in einem Rechtsstreit um nicht einfach zu überschauende Tat- und Rechtsfragen geht (Eyermann, a.a.O., Rn. 38).
Ausgehend von obigen Erwägungen ist Prozesskostenhilfe zu versagen. Es kommt nicht mehr darauf an, ob der erwerbstätige Antragsteller leistungsfähig und deswegen nicht bedürftig im Sinne der Prozesskostenhilfe ist.