Aktenzeichen 9 ZB 19.31841
Leitsatz
1 Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen; die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Gehörsverstoß nicht zu begründen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 4 K 17.33789 2019-04-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 9 ZB 19.30847 – juris Rn. 3 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
a) Hinsichtlich der als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage, „ob Flüchtlinge aus Sierra Leone, die erwiesener Maßen psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, diese bei einer Rückkehr in ihr Heimatland überhaupt erhalten können und ihnen deshalb auf Grund der in Sierra Leone herrschenden humanitären Situation Gefahr für Leib oder Leben droht“, ist schon die Entscheidungserheblichkeit bzw. Klärungsfähigkeit nicht ausreichend dargelegt. Denn das Verwaltungsgericht hat die behauptete posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwerwiegende psychische Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG), anhand der vorgelegten fachärztlichen Atteste nicht nachvollziehen können. Es hat insbesondere nicht die Überzeugung gewonnen, dass behauptete traumatisierende Ereignisse stattgefunden haben und somit auch die vom Kläger gegenüber dem Arzt angegebenen Suizidgedanken für den Fall einer Rückkehr, „da er dann Angst habe, dass ihm seine damaligen Opfer seine Glieder amputieren werden“, als völlig unglaubhaft eingestuft. Die ärztlichen Aussagen, dass im Hinblick auf die neben der posttraumatischen Belastungsstörung attestierte Depression mit einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum Suizid zu rechnen sei, wenn der Kläger in sein Heimatland abgeschoben werden würde, bzw. die Erkrankung nach dem Ablehnungsbescheid verstärkt aufgetreten sei, da Ängste vor einer zu befürchtenden Abschiebung bestünden, bewertete das Verwaltungsgericht nicht als zielstaatsbezogene Umstände im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG. Eine Behandlung mit Antidepressiva in Sierra Leone hat es zudem als erreichbar angesehen. Darauf, dass nicht von der Sicherstellung einer therapeutischen oder psychiatrischen Behandlung ausgegangen werden könne, komme es im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG, wonach die Gleichwertigkeit der Versorgung im Zielstaat mit derjenigen in Deutschland nicht erforderlich sei, nicht an. Gegen die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts wendet sich zwar der Kläger und kritisiert dessen tatrichterliche Sachverhaltswürdigung. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind nach § 78 Abs. 3 AsylG aber gerade kein Grund für die Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2019 – 9 ZB 17.31736 – juris Rn. 4).
b) Die Frage, „ob im Falle der offensichtlichen Beweisnot eines asylsuchenden Flüchtlings die Anforderungen an die Aufklärung des Gerichts im Rahmen der vom Kläger geschuldeten Glaubhaftmachung dazu führen, dass vermeintlich widersprüchliche Angaben des jeweiligen Asylantragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einerseits und dem entscheidenden Gericht andererseits ohne entsprechende gerichtliche Aufklärungsbemühungen, insbesondere unter Beinbeziehung der von der Aussagepsychologie ermittelten Realitätskriterien und Lügensignale nicht zur Bewertung der Aussage als unglaubwürdig führen dürfen“, ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – juris Rn. 3). In welchem Umfang dabei eine Auseinandersetzung und Prüfung des Tatsachenvortrags zu erfolgen hat, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Dies ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 9 ZB 18.32680 – juris Rn. 23).
2. Soweit der Kläger mit seinem Zulassungsvorbringen „Verfahrensfehler“ geltend macht, kämen Verstöße gegen das rechtliche Gehör in Betracht (vgl. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), die jedoch nicht vorliegen.
Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere, dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden. Das Gericht hat sich mit den wesentlichen Argumenten des Klagevortrags zu befassen, wenn sie entscheidungserheblich sind. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG kann jedoch nur dann festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.4.2019 – 9 ZB 19.30847 – juris Rn. 7). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist allerdings nicht schon dann verletzt, wenn der Richter zu einer unrichtigen Tatsachenfeststellung im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit der Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Parteien vorgetragenen Tatsachen gekommen ist. Auch die bloße Behauptung, das Gericht habe einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen oder das Gericht habe es versäumt, Beweis zu erheben, vermag einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 15.2.2017 – 2 BvR 395/16 – juris Rn. 5 m.w.N.).
a) Indem der Kläger in Bezug auf die von ihm behauptete Entführung durch eine Rebellengruppe im Kindesalter kritisiert, dass das Verwaltungsgericht sich mit dem Anhörungsverlauf beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nicht näher auseinandergesetzt habe, weil es keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob der Kläger durch den Anhörenden unterbrochen worden sei, ob es sich um ein wörtliches Protokoll handele und dass es zwei Rückübersetzungen, jeweils mit Korrekturen und Ergänzungen gegeben habe, wird kein Gehörsverstoß dargelegt. Dass es sich beim Anhörungsprotokoll des Bundesamts um kein Wortprotokoll handelt, welches Unterbrechungen oder Korrekturen bzw. Ergänzungen in wörtlicher Wiedergabe enthalten müsste, ergibt sich bereits aus § 25 Abs. 7 AsylG, wonach über die Anhörung eine Niederschrift aufzunehmen ist, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Das Zulassungsvorbringen enthält auch keine Ausführungen dazu, inwieweit der Vortrag des Klägers im Anhörungsprotokoll fehlerhaft oder unvollständig wiedergegeben sein sollte. Das Verwaltungsgericht hat im Übrigen in seinem Urteil zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger die Richtigkeit und Vollständigkeit der im Anhörungsprotokoll wiedergegebenen Angaben mit seiner Unterschrift bestätigte.
b) Soweit ein Verfahrensfehler darin gesehen wird, dass das Verwaltungsgericht Realitätskriterien, die der Aussage des Klägers immanent seien, nicht ausreichend gewürdigt habe, kann dies einen Gehörsverstoß schon deshalb nicht begründen, weil das Verwaltungsgericht die Aussagen des Klägers nicht etwa deshalb als unglaubhaft erachtet hat, weil es diese als vage und detailarm bewertet bzw. das Fehlen von entsprechenden Realitätskriterien festgestellt hat; vielmehr hat es dem Vorbringen deshalb keinen Glauben geschenkt, weil es dieses als widersprüchlich und teilweise in unglaubwürdiger Weise gesteigert erachtet hat (vgl. Urteilsabdruck S. 9 bis 12). Der Sache nach rügt der Kläger auch lediglich die Würdigung des Streitstoffs durch das Verwaltungsgericht, womit die Annahme eines Verstoßes gegen das rechtliche Gehör grundsätzlich nicht begründet werden kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn diese auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13 m.w.N.). Derartige Verstöße zeigt die Zulassungsbegründung nicht auf.
c) Soweit der Kläger vorbringt, dass das Verwaltungsgericht konkreten Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen habe, weil es einen Widerspruch darin gesehen habe, dass der Kläger gegenüber dem Bundesamt die Verletzung mit einem Messer und im Bezirkskrankenhaus einen Schwertangriff angegeben habe, während im angefochtenen Bescheid des Bundesamts von Messer oder Schwert die Rede sei, ist schon fraglich, inwieweit ein diesbezüglicher Fehler des Verwaltungsgerichts bei der Sachverhaltswürdigung entscheidungserheblich sein könnte. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, dass dem Kläger in Anbetracht seiner widersprüchlichen Angaben zur Entführung durch Rebellen auch hinsichtlich der angeblich anschließenden Ereignisse nicht geglaubt werden könne. Zudem hat es noch einen weiteren Widerspruch im Zusammenhang mit dem Zustandekommen der Beinverletzung angeführt (s. UA S. 10 f.). Abgesehen davon sind die Feststellungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der unterschiedlichen Angaben des Klägers zur Tatwaffe zutreffend. Nach dem Anhörungsprotokoll hat der Kläger nur von einem Messer gesprochen. Dem angefochtenen Bescheid, der Messer und Schwert erwähnt, kann dagegen lediglich entnommen werden, dass die Diskrepanz in den Schilderungen Klägers gegenüber Bundesamt und Bezirkskrankenhaus zwar gesehen, ihr jedoch augenscheinlich keine weitere Bedeutung beigemessen wurde.
d) Soweit nach dem Zulassungsvorbringen ein Verfahrensfehler darin gesehen wird, dass das Verwaltungsgericht den klägerseits vorgelegten Attesten vom 8. März 2019 und 26. Juli 2018 keine Abschiebungshindernisse entnommen hat, obwohl Suizidgefahr attestiert worden sei, kann auf die Ausführungen unter 1 a) und 2 b) verwiesen werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung begründen keinen Zulassungsgrund.
3. Die Berufung ist auch nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG zuzulassen.
Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil von einer Entscheidung eines der in § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG genannten Gerichte abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung der genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben oder einer inhaltsgleichen Rechtsvorschrift ausdrücklich oder konkludent abrückt. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Im Zulassungsantrag muss daher ein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet werden und einem Rechtssatz des anderen Gerichts unter Darlegung der Abweichung gegenüber gestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 29.6.2018 – 9 ZB 18.31509 -juris Rn. 7 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht, weil schon kein abstrakter Rechtssatz des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts herausgearbeitet wird, der von einem Rechtssatz des genannten Divergenzgerichts abweichen soll. Dem Zulassungsvorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass sich das Verwaltungsgericht zwar in seinen Obersätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch Wiedergabe der angeführten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen hat, im entschiedenen Einzelfall aber trotzdem einen anderen rechtlichen Standpunkt eingenommen und von dort aus abweichende Rechtssätze zugrunde gelegt hat (vgl. Kraft in Eyermann VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 37 m.w.N.). Auch mit der im Gewand einer Divergenzrüge vorgebrachten Kritik des Klägers an der Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Verneinung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird kein im Asylverfahrensrecht vorgesehener Zulassungsgrund angesprochen (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2018 – 9 ZB 16.30193 – juris Rn. 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).