Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylverfahren

Aktenzeichen  9 ZB 19.31644

Datum:
8.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27537
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78
VwGO § 108 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Es ist ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Tritt das Zulassungsvorbringen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Lage der Homosexuellen in Sierra Leone nicht substantiiert entgegen und nennt keine vom Gericht nicht berücksichtigte Tatsachen- oder Erkenntnisquellen, ist die grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 4 K 17.33345 2019-03-20 VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG).
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine konkrete noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, deren Beantwortung sowohl für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich sein wird und die über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder für die Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist eine Frage auszuformulieren und substantiiert anzuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 ZB 19.30057 – juris Rn. 2 m.w.N.). Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
1. Der Kläger sieht eine grundsätzliche Bedeutung in der Tatsachenfrage, ob Flüchtlingen die nach Sierra Leone zurückkehren, aufgrund der dort herrschenden humanitären Situation Gefahr für Leib oder Leben droht. Das Verwaltungsgericht hat im Wege der nach § 84 Abs. 4 VwGO und § 77 Abs. 2 AsylG zulässigen Verweisung auf den zuvor ergangenen Gerichtsbescheid sowie den angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge darauf abgestellt, dass der junge und gesunde Kläger mit Schulbildung sowie Arbeitserfahrungen als Mechaniker in der Lage sein werde, seine Existenz im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone sicherzustellen. Abgesehen davon, dass das Zulassungsvorbringen dem nicht substantiiert entgegentritt, sondern fehlende Unterstützungsmöglichkeiten durch die Großfamilie behauptet, obwohl das Verwaltungsgericht eine entsprechende Bedürftigkeit des Klägers nicht festgestellt hat, setzt es sich auch nicht mit den eingeführten Erkenntnismitteln auseinander. Stützt sich das Verwaltungsgericht – wie hier – bei seiner Entscheidung auf bestimmte Erkenntnismittel oder gerichtliche Entscheidungen, ist erforderlich, dass das Zulassungsvorbringen zumindest einen überprüfbaren Hinweis auf andere Gerichtsentscheidungen oder auf vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte sonstige Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, etwa entsprechende Auskünfte, Stellungnahmen, Gutachten oder Presseberichte, die den Schluss zulassen, dass die aufgeworfene Frage einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich ist und damit einer Klärung im Berufungsverfahren bedarf (BayVGH, B.v. 18.7.2019 – 9 ZB 19.32572 – juris Rn. 4).
2. Die weiter aufgeworfene Frage, „ob im Falle der offensichtlichen Beweisnot eines asylsuchenden Flüchtlings die Anforderungen an die Aufklärung des Gerichts im Rahmen der vom Kläger geschuldeten Glaubhaftmachung dazu führen, dass vermeintlich widersprüchliche Angaben des jeweiligen Asylantragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einerseits und dem entscheidenden Gericht andererseits ohne entsprechende gerichtliche Aufklärungsbemühungen, insbesondere unter Einbeziehung der von der Aussagepsychologie ermittelten Realitätskriterien und Lügensignale nicht zur Bewertung der Aussage als unglaubwürdig führen dürfen“, ist jedenfalls nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, dass es ausschließlich Sache des Tatrichters ist, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 22.2.2005 – 1 B 10.05 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 118.01 – juris Rn. 3). In welchem Umfang dabei eine Auseinandersetzung und Prüfung des Tatsachenvortrags zu erfolgen hat, lässt sich nicht verallgemeinernd beantworten. Dies ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. BayVGH, B.v. 30.10.2018 – 9 ZB 18.32680 – juris Rn. 23).
3. Soweit der Kläger noch vorbringt, dass es grundsätzliche Bedeutung habe, dass Homosexualität in Sierra Leone nicht gebilligt werde und Verfolgungsmaßnahmen nach sich ziehe, und daraus eine Frage abgeleitet werden könnte, die auf ihre grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit untersucht werden kann, fehlt es ebenfalls zumindest an der ausreichenden Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass dem Kläger, dem es nicht geglaubt hat, homosexuell zu sein, im Fall der Rückkehr selbst dann keine Verfolgung drohe, wenn ihm Homosexualität zugeschrieben werde. Homosexualität sei in Sierra Leone nicht unter Strafe gestellt bzw. würden maßgebliche Gesetze nicht vollzogen. Soweit noch ein entsprechendes Gesetz aus der britischen Kolonialzeit existiere, finde dieses keine Anwendung. Für fehlende Schutzgewährung vor Verfolgungshandlungen Dritter durch staatliche Behörden in Sierra Leone lägen keine Erkenntnisse vor. Zumindest bestehe eine Fluchtalternative. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen, zumal es auch keine überprüfbaren Hinweise auf vom Verwaltungsgericht bisher nicht berücksichtigte Tatsachen- oder Erkenntnisquellen enthält, die eine andere Würdigung zulassen würden (BayVGH, B.v. 18.7.2019 – 9 ZB 19.32572 – juris Rn. 4). Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass der Kläger ohne jede Konkretisierung und Quellenangabe mitteilt, dass der UN-Menschenrechtsausschuss sich bereits besorgt über Meldungen von Gewalt gegen Lesben und Schwule äußere sowie Sierra Leone vergeblich auffordere, seine Gesetze zu überarbeiten, um ein Verbot der Diskriminierung des betroffenen Personenkreises sicherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Mit der nach § 80 AsylG unanfechtbaren Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

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